Lesezirkel "Die Nebel von Avalon" von Marion Zimme




Von Rotkäppchen über Orpheus bis zur Artus-Sage

Lesezirkel "Die Nebel von Avalon" von Marion Zimme

Beitragvon nevermore » So 1. Feb 2009, 17:16

Die Nebel von Avalon


Dann will ich mal den Lesezirkel einleiten; wie vorgeschlagen werde ich immer dann weitermachen, wenn zu einem Kapitel keine neuen Beiträge mehr kommen. Ich fange an mit dem Prolog. Der ist zwar kurz, aber es sind einige interessante Gedanken drin, die vielleicht der Diskussion wert sind.

Im Prolog erzählt Morgaine in einer nach Artus Tod geschriebenen Retrospektive über das Verhältnis zwischen Christentum und ihrem eigenen Glauben. Sie betrachtet nicht Christus als Feind, wohl aber die christlichen Priester, die lehren, dass die Göttin ein böser Geist sei und ihre Macht vom Teufel komme. Im Unterschied zu ihrem eigenen Glauben, nach dem die Menschen durch ihre Gedanken und Taten die Welt selber erschaffen, geht das Christentum von einer von Gott unveränderlich geschaffenen Welt aus. Die Idee, dass Menschen Einfluss auf die Schöpfung haben könnten, empfinden christliche Priester als Bedrohung. Morgaine fürchtet, dass die Christen in der Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen werden. Die Folge ist, dass die Welt der Feen immer ferner rückt und schließlich die Feenwelt und die heilige Insel Avalon nur noch Eingeweihten zugänglich sein wird. Bevor die Christen kamen, konnte jeder Avalon erreichen, heute landet ein Reisender dagegen auf der christlichen "Insel der Mönche", während ihm Avalon verborgen bleibt.

Morgaine geht außerdem auf Artus ein, ihren Bruder, Geliebten und König. Artus ist zum Zeitpunkt ihrer Erzählung tot, bzw. er ruht auf der Insel Avalon. Während sie ihn besonders zu Ende seiner Herrschaft als Gegner ihres Glaubens ansah, betrachtete sie ihn, als er starb, als Bruder, der Hilfe braucht - und wurde umgekehrt von ihr selbst als Priesterin angesehen.

Schließlich beschreibt Morgaine noch einige weitere Unterschiede zwischen ihrem und dem christlichen Glauben. Ihre Gabe des zweiten Gesichts, die vom Christentum als Teufelswerk betrachtet wird, und die Einsicht, dass die Wahheit viele Gesichter hat, und es von den Menschen selber abhängt, welchen Weg sie einschlagen. Und dass alle Götter ein Gott, und alle Göttinnen eine Göttin sind.

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Wie ich meine - und was ich denke, das man im Hinterkopf behalten solle - beschreibt Morgaine in diesem Prolog den entscheidenden Unterschied zwischen dem Christentum und dem Göttinnen-Glauben (ich weiß nicht, ob man ihren Glauben als "Wicca" bezeichnen sollte, denn es gibt noch andere Versionen des Göttinnen-Glaubens und ich bin auch nicht sicher, dass alle mit Zimmer-Bradleys Darstellung glücklich oder auch nur einig wären) vor allem durch zwei Dinge. Erstens darin, dass in ihrem Glauben die Anderswelt eine legitime Existenz ist, die nicht als "böse" bewertet wird, und dass der Durchgang zwischen "normaler" Welt und Anderswelt grundsätzlich offen ist. Im Christentum dagegen wird die Anderswelt als die Domäne des Bösen betrachtet und man versucht, die Tore zu dieser Welt zu verschließen. Zweitens darin, dass in ihrem Glauben Menschen durch ihre Gedanken und ihren Willen die Welt ständig neu erschaffen, und ihren Lebensweg selbst bestimmen, und dass es die eine richtige Wahrheit und den einen wahren Gott nicht gibt. Im Christentum hingegen hat nur ein Gott, der christliche, eine Existenzberechtigung, und die Welt wurde von ihm unveränderlich erschaffen. Sie geht nicht darauf ein, wie das Christentum die Frage nach der Wahl des Lebenswegs sieht.

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Darstellung des Christentums so ganz zutreffend ist. Christliche Riten sprechen oft auch transzendente Sphären an, die eine Art von "Anderswelt" sind. Es ist zwar nicht die Welt der Feen, aber die Welt der Engel. Insofern ist auch im Christentum die transzendente Sphäre den Menschen nicht verschlossen. Auch was den zweiten Punkt betrifft, die Frage, ob Menschen die Welt neu erschaffen, oder ihren Lauf beeinflussen können, glaube ich nicht, dass alle Christen zustimmen würden, dass der Lauf der Dinge gottgegeben ist. Das scheint mir nur auf bestimmte Formen des Christentums zuzutreffen, gegen die sie sich hier richtet.

Was meint ihr?
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Beitragvon Alsionna » Mo 2. Feb 2009, 13:04

Eigentlich ergeben sich die Antworten auf deine Fragen aus der Erzählperspektive des Prologs. Morgaine spricht selbst, das ist ihre subjektive Meinung aus der Sicht einer heidnischen Priesterin, die das Christentum nie studiert hat. Ihre Ansichten über das Christentum entstammen oberflächlichem Religionsunterricht in der Kindheit und den Beobachtungen einer Außenstehenden, meist sogar Gegnerin. Sie beschreibt die Christen, wie sie sie erlebt hat, Mißverständnisse, Animositäten, Vorurteile und eine völlig andere Weltsicht inklusive. Als nun weise Frau bemüht sich Morgaine sogar um ein gewisses Maß an Fairness,
Christus ist nicht mein Feind, aber seine Priester, die die Göttin einen bösen Geist nennen.
kann aber letztendlich nicht über ihren eigenen Schatten springen.
Zimmer-Bradley schafft damit etwas, was einer anderen Autorin so grandios mißungen ist, sie stellt die Sicht ihrer Heldin nicht als innerbuchliche Tatsache, sondern als persönliche Meinung dar. Der Leser, wohl eher die Leserin ;) - Avalon ist ein femistisches Kultbuch, empfindet Sympathie, ohne gezwungen zu sein, Morgaine immer 100% zuzustimmen. Im Laufe der Geschichte bekommen wir solche subjektiven Kommentare auch noch von anderen Charakteren.

Die Anderweltvorstellungen der keltischen Heiden sind unwahrscheinlich kompliziert und oft auf den ersten Blick widersprüchlich. Ein Unterschied zur christlichen Vorstellung und auf diesen scheint Morgaine anzuspielen, ist die Anderswelt(en) ist nicht das Totenreich und nicht übernatürlich, sie ist ein anderer Teil der realen Welt. So wie Morgaine die Christen verstanden hat, gibt es für diese die reale von ihrem einen Gott geschaffene Welt der sterblichen Menschen und die der übernatürlichen Wesen, und Toten. Alles, was nicht irdisch ist, muß also für den Christen entweder Himmel oder Hölle sein. Das Avalon der Priesterinnen und die noch weiter hinter den Nebeln liegende Insel der Feen ist eindeutig nicht mit dem christlichen Himmel gleichzusetzen, also muß es für einen Christen zu den höllischen Gefilden gehören. Die Bewohner der Anderswelt sind nicht tot, also müssen sie dämonische Käfte haben. Eine sehr schlichte Vorstellung, aber Morgaine hat es, wie wir noch sehen werden, auch kaum mit der geistigen Elite des Christentums zu tun.
In der christlichen Vorstellung gibt es einen von Gott geschaffenen ?Richtig?-Zustand der Welt. Veränderungen durch menschliche Taten und Gedanken sind entweder durch Teufel und Dämonen inspirierte Zerstörung oder durch Gott inspirierte Erhaltungs- und Wiederherherstellungsversuche. In der heidnische Vorstellung, wie sie im Buch beschrieben wird, ist die zyklische Veränderung natürlich und richtig, Wachsen, Gedeihen, Verblühen, neues Wachstum.
Eine Toten-Anderswelt gibt es in der Avalonreligion nicht, nur eine Zwischenstationen, zwischen den Leben.

Du hast übrigens Recht, das Buch beschreibt nicht die Vorstellungen der halb-offiziellen Wicca (Gardner). Ich würde vorschlagen, wir benutzen die Begriffe heidnisch und christlich im allgemeinsten Sinne und fügen nur bei Bedarf keltisch/britisch oder sächsisch dazu.
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Beitragvon Demona » Mo 2. Feb 2009, 21:15

Für mich ist Morgaine - entgegen manch anderer Erzählungen über sie - eine sehr faire und auf gewisse Weise tolerante Frau.

Ich habe den Prolog noch einmal gelesen und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Menschen mit den Einzug des Christusglaubens ihre Fantasie verloren haben und deshalb die Feeninsel Avalon nicht mehr finden konnten.
Die Prister setzten die Vorgaben des Christenglaubens starr um und ließen keinen Freiraum für Interpretationen bzw. den Glauben an etwas anderes außer dem einem Gott.
Wie Morgaine sagte: "Die Menschen schaffen die Welt, die uns ergibt, durch das, was sie denken, jeden Tag neu."
Wenn ich mich recht erinnere sagte Galadriel im HdR: Und aus Geschichten wurden Märchen und aus Märchen wurden Legenden. (zumindest so ähnlich)

Jedoch war es zu dieser Zeit nicht verwunderlich, dass Menschen, die anders waren und an etwas anderes glaubten was Böses angehangen wurde. Außerdem war die Angst vor dem Unbekannten und Unerklärlichem um einiges größer wie heute und Menschen mit der Fähigkeit einer Morgan le Fay wurdens chon aus dem Grund gemieden.
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Beitragvon nevermore » Mi 4. Feb 2009, 19:22

Machen wir mal weiter mit Buch 1 (Die Hohepriesterin), Seiten 13 bis 39 in der Fischer-Taschenbuch-Ausgabe. Das erste dieser beiden Kapitel erzählt von Igraines Leben auf Tintagel, einem Kloster in Cornwall, wo sie mit ihrem Gemahl Gorlois, ihrer kleinen Tochter Morgaine und ihrer Schwester Morgause lebt. Igraine stammt von der Heiligen Insel Avalon und hat auf Befehl der Herrin von Avalon, Viviane, Gorlois geheiratet, als sie 14 oder 15 Jahre alt war. Außerdem lebt auf der Burg noch Pater Columba, ein christlicher Priester, der wie alle christlichen Priester Avalon für suspekt und seherische Gaben für Teufelswerk hält. Insgesamt fühlt sich Igraine von Gorlois gut behandelt, besser, als es für gewöhnlich zu erwarten wäre. Igraine bekommt in diesem Kapitel Besuch von Viviane und dem Merlin von Britannien, Taliesien. Beide berichten ihr von ihren Plänen, das zerfallende Reich unter einem neuen Großkönig, den sowohl der christliche als auch der heidnische Teil Britanniens akzeptiert, zu vereinen. Igraine soll die Mutter dieses künftigen Großkönigs werden, indem sie vom designierten Nachfolger des gegenwärtigen Kaisers Ambrosius, Uther, ein Kind bekommt.

Das zweite Kapitel berichtet von Igraines Reaktion auf diese neuerlichen Anweisungen von Viviane. Sie ist entsetzt, da sie zunächst glaubt, von ihr würde Ehebruch erwartet. Als sie protestiert, erklärt man ihr, dass sie Gorlois keinen Sohn gebären wird und Gorlois sterben würde. Es sei für das Schicksal von Avalon und das Überleben des Göttinnen-Glaubens nötig, dass sie die ihr zugewiesene Rolle spiele. Igraine ist alles andere als begeistert. Man weist sie an, sie solle dafür sorgen, dass sie Gorlois auf seiner anstehenden Reise nach Londinium begleitet, wo sie Uther treffen wird.

Die Kapitel enthalten außerdem noch einen Haufen Exposition über den christlichen und heidnischen Glauben, und über die Charaktere Igraine, Morgause und Viviane.

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Der heidnische Glauben von Avalon und vor allem Viviane haben bei mir in diesem Kapitel keinen besonders sympathischen Eindruck hinterlassen. Die Art und Weise, wie Igraine da bereits als Mädchen als Schachfigur gebraucht wurde und auch hier wieder wird, weil das übergeordnete Wohl (über das natürlich Viviane und der Merlin allein im Bilde sind) es erfordert, und die manipulativen Taktiken (Drohungen mit dem Untergang der ganzen Feenwelt und Schmeicheleien), derer sich Viviane bedient, stellen selbst Dumbledore noch in den Schatten. Igraine muss sich hier sehr in die Enge getrieben gefühlt haben und es ist verständlich, dass sie sich vor dieser Übermacht beugt. Von dem, was oft in feministischen Kreisen betont wird, nämlich die Bedeutung der Selbstbestimmung, merkt man hier nicht viel.
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Beitragvon Alsionna » Fr 6. Feb 2009, 16:07

Viviane ist nicht die nette Feen-Patin aus Aschenputtel in diesem Kapitel, im Gegensatz zu Dumbledore tut sie auch nicht so. Sie pocht Igraine gegenüber auf ihrem ehrfache Authorität, Familienoberhaupt als älteste Schwester, Lehnsherrin als Herrin von Avalon und religiöses Oberhaupt als Hohe Priesterin. Dazu kommt natürlich auch noch, daß ihre und die Zukunftsvisionen von Taliesin innnerhalb der Geschichte, wo Magie existiert, Tatsache sind. Igraine wird Gorlois keinen Sohn gebären, warum auch immer, Gorlois wird sterben, sie wird stattdessen von Uther schwanger, das ist einfach so.
!3 bis 15 als heiratsfähiges Alter für Mädchen ist zeit- und genrebedingt, genauso arrangierte Ehen. Der freie Wille ist so eine Sache, Igraine ist unglücklich, aber sie begehrt nicht auf. Da stellt sich die Frage, ob Viviane ihre Schwester auch mit Gewalt nach Tintagel verschickt hätte. Vermutlich nicht, aber wer kann das wissen? Im Übrigen hätte das auch nur den Weg zu den vorhergesehenen Ereignissen geändert, nicht ihr Eintreten verhindert.
Viviane handelt machtpolitisch logisch. Frauen an der Macht sind doch nicht plötzlich bessere Menschen. Übrigens sind wir noch ganz am Anfang der Geschichte, Zimmer-Bradleys Figuren reflektieren ihre Handlungen und entwickeln sich.
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Beitragvon Demona » So 8. Feb 2009, 17:04

Ehrlich gesagt, gefällt mir Vivianne da auch nicht besonders.

Für mich besteht da auch kein Unterschied zwischen einen machtbesessenen Mann oder Frau an der Spitze.
Auch der Grund rechtfertigt da für mich nicht die Mittel. In der Vergangenheit hat sich ja des öfteren gezeigt, das so etwas nach hinten los gehen kann.

Igraine hat sich mit ihrer Ehe arrangiert und es zeigt sich ja auch, dass sie nicht unbedingt unglücklich ist. Sie hat ihre Tochter, die sie sehr liebt und ihr Gatte hat ihrem Wunsch - sich ganz ihrer Tochter zu widmen - entsprochen, auch wenn dies heißt, dass der erwünschte Thronerbe später geboren wird.

Das es nun nicht mehr dazu kommt, da Vivianne und Merlin in der Zukunft den Tod des Königs sahen ist eine andere Geschichte. Aber jetzt noch von der Schwester Ehebruch zu verlangen, nur damit Artur geboren werden kann, das geht auch für mich ein bisschen zu weit.
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Beitragvon nevermore » So 8. Feb 2009, 20:14

Ich sollte vielleicht anmerken, dass ich inzwischen lese-technisch auf S. 450 anbgelangt bin und daher was meinen Eindruck Viviannes Handlungen betrifft davon schon etwas beeinflusst bin.

Alsionna hat geschrieben:Viviane ist nicht die nette Feen-Patin aus Aschenputtel in diesem Kapitel, im Gegensatz zu Dumbledore tut sie auch nicht so.


Ich finde Viviannes Art und Weise, Igraine zu schmeicheln und ihre Wichtigkeit zu betonen, schon sehr manipulativ. Ich habe mich gefragt, wie ehrlich ihre Gefühle für Igraine wirklich sind.

Dazu kommt natürlich auch noch, daß ihre und die Zukunftsvisionen von Taliesin innnerhalb der Geschichte, wo Magie existiert, Tatsache sind. Igraine wird Gorlois keinen Sohn gebären, warum auch immer, Gorlois wird sterben, sie wird stattdessen von Uther schwanger, das ist einfach so.


Dem liegt ein sehr deterministisches Weltbild zugrunde, dass die Zukunft eh unveränderlich ist. Nicht in jeder Geschichte, in der es Formen von Magie gibt, ist das so.

Der freie Wille ist so eine Sache, Igraine ist unglücklich, aber sie begehrt nicht auf. Da stellt sich die Frage, ob Viviane ihre Schwester auch mit Gewalt nach Tintagel verschickt hätte. Vermutlich nicht, aber wer kann das wissen? Im Übrigen hätte das auch nur den Weg zu den vorhergesehenen Ereignissen geändert, nicht ihr Eintreten verhindert.


Wenn die Ereignisse ohnedies eingetreten wären, hätte man Igraine auch nicht gegen ihren Willen dazu bringen müssen, ein Kind mit Uther zu bekommen. Für mich widerspricht sich das etwas: Entweder die Visionen sind Tatsache, dann kann Igraine tun und lassen was sie will, die Göttin wird es schon richten. Warum dann überhaupt die Diskussionen? Oder die Zukunft ist, um mit Yoda zu sprechen, "immer in Bewegung", dann machen Igraines Entscheidungen sehr wohl einen Unterschied und Viviannes Versuche, sie zu beeinflussen, sind jedenfalls aus ihrer Sicht sinnvoll. Dass Igraine nicht aufbegehrt, wundert mich wie gesagt nicht, denn wenn einem angedroht wird, die eigene Entscheidung sei ausschlaggebend dafür, ob die Feenwelt weiterexistieren kann, dann ist das besonders für eine junge Frau ein Argument, dem man sich kaum verschließen kann. Wenn die Zukunft nicht unveränderlich ist, woher nimmt Vivianne dann die Sicherheit, dass ihre Visionen den einzig richtigen Weg zeigen?

Was die Frage "Frauen oder Männer an der Macht" betrifft, hatte ich das Verständnis, dass es jedenfalls in einigen Formen des Feminismus (ich denke hier zum Beispiel an Starhawks Bücher) nicht in erster Linie darum geht, ob an der Spitze Männlein oder Weiblein steht, sondern mehr um die Art und Weise, wie die Machtstrukturen aussehen. Eben dass nicht von oben nach unten einfach befohlen wird, und die auf den unteren Schichten haben sich zu fügen, weil man es "oben" besser weiß. Beim Verhältnis Vivianne zu Igraine sehe ich aber genau das, und es scheint mir ähnlich wie in der etablierten Kirche strukturiert.
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Beitragvon Alsionna » Mo 9. Feb 2009, 14:55

Ich komme mir so ein bißchen albern vor, falls der Eindruck entstanden ist, daß ich Vivianes Verhalten voll und ganz gut heiße. Ich bin auch froh, daß ich's im realen Leben nicht mit ihr zu tun habe. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, daß das Buch mir kritiklose Bewunderung diktiert.
Ja, sie manipuliert ihre Umgebung wie Dumbledore, aber sie beruft sich dabei größtenteils auf Pflichterfüllung, der sie selbst auch ihre eigenen Gefühle unterordnet. Dumbledore spielt mit zwischenmenschlichen Gefühle. Persönliche kann ich eher damit leben, wenn jemand etwas verlangt, weil er es für notwendig hält und sich selbst auch diesen Sachzwängen unterordnet, als wenn er mir suggeriert, daß das er aus reiner Liebe nur mein Bestes will. Da kommt bei mir immer der alte Spruch aus meiner Jugend raus :"Kriegste aber nicht."

Der Determinismus der Visionen ist m.E. in "Avalon" sehr weit gefaßt. Es passiert nichts, was dem Plan der Göttin zuwiderläuft, aber der Weg dorthin und wie das Endergebnis im Detail aussieht, hängt klar von den handelnden Personen ab. Viviane und Taliesin interpretieren ihre Visonen so, daß die Macht der alten Religion wieder aufgebaut werden muß und planen entsprechend. Die Göttin scheint da toleranter zu sein, ihr reicht offensichtlich auch ein gesichertes Britannien unter christlicher Herrschaft.
Viviane verlangt doch gar keinen Ehebruch von Igraine, sie ist davon überzeugt, daß Gorlois rechtzeitig das zeitliche segnet. Wobei Ehebruch in ihrer Vorstellung sowieso nicht vorkommt, eine Frau hat ihrer Ansicht nach, das Recht zu schlafen mit wem sie will, eheliche Treue ist christlich-patriarchalisches Besitzdenken.
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Beitragvon nevermore » Mo 9. Feb 2009, 22:58

Alsionna hat geschrieben: Ich habe allerdings nicht den Eindruck, daß das Buch mir kritiklose Bewunderung diktiert.


Das zu beurteilen muss ich abwarten, bis ich es zu Ende gelesen habe ;) Da es anscheinend als so eine Art Pionierarbeit im Zusammenhang mit einer feministischen Religion betrachtet wurde, ist bei mir der Eindruck entstanden, dass diese Darstellung insgesamt als positives Gegenbeispiel zur etablierten Kirche betrachtet wurde. Vielleicht habe ich das aber auch falsch verstanden.

Ja, sie manipuliert ihre Umgebung wie Dumbledore, aber sie beruft sich dabei größtenteils auf Pflichterfüllung, der sie selbst auch ihre eigenen Gefühle unterordnet. Dumbledore spielt mit zwischenmenschlichen Gefühle. Persönliche kann ich eher damit leben, wenn jemand etwas verlangt, weil er es für notwendig hält und sich selbst auch diesen Sachzwängen unterordnet, als wenn er mir suggeriert, daß das er aus reiner Liebe nur mein Bestes will. Da kommt bei mir immer der alte Spruch aus meiner Jugend raus :"Kriegste aber nicht."


Das ist sicher individuell verschieden. Ich habe größere Probleme mit diesem Schuldgefühle-wecken und Druck aufbauen - nach dem Motto: "An dir hängt das Schicksal des ganzen Feenreichs, du bist die Auserwählte, die im Interesse des übergeordneten Wohls so handeln musst, wie ich es sage". Hinzu kommt, dass ich aus meinem persönlichen Weltbild heraus diese Sachzwänge nicht abkaufe. Ich glaube nicht, dass die Zukunft unveränderlich vorbestimmt ist.

Viviane verlangt doch gar keinen Ehebruch von Igraine, sie ist davon überzeugt, daß Gorlois rechtzeitig das zeitliche segnet. Wobei Ehebruch in ihrer Vorstellung sowieso nicht vorkommt, eine Frau hat ihrer Ansicht nach, das Recht zu schlafen mit wem sie will, eheliche Treue ist christlich-patriarchalisches Besitzdenken.


Was Viviane verlangt, ist aber in Igraines Augen Ehebruch. Auch hier wieder, Viviane verlangt von Igraine, dass sie mit Artur ein Kind bekommt, und dass Gorlois vorher stirbt, ist lediglich eine Behauptung von ihr, an die man glauben kann oder auch nicht, je nachdem, ob man glaubt, dass die Zukunft vorherbestimmt ist. Genau genommen war Igraine auch noch mit Gorlois verheiratet, als Artus gezeugt wurde. Jedenfalls wusste sie von seinem Tod noch nichts definitives. Also war es Ehebruch. Und da Igraine diejenige ist, von der diese Handlung verlangt wird, ist meiner Meinung nach ihr Glauben hier zu respektieren, egal ob Viviane das für patriarchalisches Besitzdenken hält oder nicht.
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Beitragvon Alsionna » Mo 9. Feb 2009, 23:22

Was Viviane verlangt, ist aber in Igraines Augen Ehebruch. Auch hier wieder, Viviane verlangt von Igraine, dass sie mit Artur ein Kind bekommt, und dass Gorlois vorher stirbt, ist lediglich eine Behauptung von ihr, an die man glauben kann oder auch nicht, je nachdem, ob man glaubt, dass die Zukunft vorherbestimmt ist. Genau genommen war Igraine auch noch mit Gorlois verheiratet, als Artus gezeugt wurde. Jedenfalls wusste sie von seinem Tod noch nichts definitives. Also war es Ehebruch. Und da Igraine diejenige ist, von der diese Handlung verlangt wird, ist meiner Meinung nach ihr Glauben hier zu respektieren, egal ob Viviane das für patriarchalisches Besitzdenken hält oder nicht.

Igraine ist in dem selben Glauben wie Viviane erzogen worden und hat ihn zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht innerlich abgelegt. Sie ist keine Christin. Viviane kommt garnicht auf die Idee, daß Igraine das mit dem Ehebruch so eng sieht.
Über den Akt des Ehebruch und Igraine Gewissensbisse sollten wir beim entsprechenden Kapitel weiterreden.
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