Science Fiction Klassiker I: Cordwainer Smith




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Science Fiction Klassiker I: Cordwainer Smith

Beitragvon nevermore » Fr 13. Jun 2008, 22:46

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Ich möchte mal einen meiner persönlichen Lieblingsautoren vorstellen - einen etwas obskuren und leider nicht allzu bekannten Autor aus der klassischen SF-Ära, Cordwainer Smith.

Cordwainer Smith, bürgerlich Paul A. Linebarger (1913 bis 1966), war amerikanischer Psychologe und Schriftsteller sowie Professor für Asiatische Studien. Linebargers Science Fiction ist eine Version der „Future History“; der Großteil seiner Geschichten (außer fünf Kurzgeschichten) ist im selben fiktiven Universum innerhalb einer einheitlichen Chronologie angesiedelt, die ca. 14.000 Jahre Menschheits-„Geschichte“ schreibt – die Welt der „Instrumentalität der Menschheit“. Das Werk besteht aus einem zweiteiligen Roman mit dem Titel Norstrilia, zuvor aufgelegt als „Der Planetenkäufer“ und „Die Untermenschen“, und 32 Shortstories, die gesammelt in „The Rediscovery of Man“ (Hardcover-Edition) aufgelegt sind, deutschsprachig aber nur über mehrere Sammelbände verteilt vorliegen.

Linebargers Science Fiction gehört zum Außergewöhnlichsten und Bizarrsten, was das Genre an Literatur hervorgebracht hat (Autoren der „Hard Science Fiction“ wie Lem weigerten sich, sie als Science Fiction anzuerkennen, und bezeichneten sie als „Märchen“ –allerdings sollte dies nicht dazu verleiten, dass man sie in das klassische Fantasy-Genre einordnen könnte). Ungewöhnlich sind zum einen seine sehr bildreiche, lyrische und an chinesische Texte erinnernde Sprache, vor allem aber seine Kreationen und das Linebarger –Universum selbst. Der Großteil der Geschichten liegt in einer postapokalyptischen Ära, die ca. 10.000 Jahre in der Zukunft angesiedelt ist. Nach einem Niedergang der irdischen Zivilisation in Kriegen und Krisen haben sich die Menschen in isolierte Städte zurückgezogen, Monster und umherirrende Kriegsmaschinen haben jahrhundertelang die Erdoberfläche beherrscht. Nun beginnt die Menschheit, die Erde zurückzuerobern, und errichtet ein allumgreifendes Regime, die „Instrumentalität der Menschheit“, die versucht, alte Kulturen und Sprachen wiederzubeleben („The Rediscovery of Man“). Die Menschen besiedeln entfernte Planeten, darunter Altnordaustralien, Norstrilia. Mit Hilfe des „Planoforming“ werden Tausende von Welten kolonisiert, und die Menschen passen sich an bizarre Umweltbedingungen an, wie sie nahe des veilchenblauen Sterns, Viola Siderea oder auf dem krebserzeugenden Planeten Arachosia herrschen. Mit Hilfe einer auf Norstrilia aus den Absonderungen kranker Schafe gewonnenen Droge hat die Menschheit eine Lebensdauer von mehreren hundert Jahren erlangt. Die Instrumentalität wehrt alle Gefahren, die der Menschheit durch potenzielle Rivalen drohen, ab, und erhält die geschützte und gleichzeitig entmündigte Menschheit mit Drogen und Elektrostimulation in einem Zustand fortwährenden Glücks. Politische Konflikte und Kriege sind abgeschafft, alle Massenkommunikation und alles Geschichtswissen ist der Instrumentalität vorbehalten. Wessen Meinung abweicht oder wer auch nur von tabuisierten Dingen weiß, der wird einer Gehirnwäsche unterzogen. Der Großteil der Arbeit wird von Robotern erledigt. Das Resultat: Die Menschen verkümmern und dämmern dahin bzw. bleiben nur auf beschwerlichen Welten wie Norstrilia aktiv. In Schmutz, Not und ohne Rechte vegetiert eine Unterklasse von Wesen dahin: Genetisch in Menschenform transformierte Tiere, ausgestattet mit Intelligenz und speziellen Talenten, die zu Dienerzwecken gezüchtet und als Sklaven gehalten werden. Sie kämpfen verzweifelt gegen die Instrumentalität um ihre Gleichberechtigung. Am Ende des Zyklus sind die Untermenschen mit ihren Emanzipationsbestrebungen ein gutes Stück vorangekommen, und die Instrumentalität entlässt die echten Menschen aus ihrer Utopie, damit sie wieder zu leben lernen.

Linebargers Universum enthält eine ganze Reihe sehr bizarrer Kreationen: den Planeten Norstrilia, eine Halbwüste, wo die „Unsterblichkeitsdroge“ Stroon von gigantischen, virusinfizierten Schafen geernet wird; Planoforming-Schiffe mit einer Besatzung aus Menschen, die telepathisch mit Katzen verknüpft sind; Habermänner und ihre Überwacher, deren Sinnesnerven durchtrennt wurden, um „Raumschmerzen“ zu blockieren, Mensch-Maschinen, deren Körper und Geist getrennt wurden; der Strafplanet Shayol, auf dem Kriminelle durch genetische Manipulation als nachwachsendes „Ersatzteillager“ für Organtransplantationen „verwendet“ werden.

Linebargers Stories bewegen sich zwischen Science Fiction, Märchen und Horror - sie sind alles andere als „nett“, oft nichts für zartbesaitete Gemüter und sicherlich nicht kindgerecht. Sie sind auch mythisch und visionär – es wird an uralte mythologische Figuren wie Tiermenschen angeknüpft und es werden neue erfunden, Jungsche Archetypen tauchen auf, christliche ebenso wie buddhistische und taoistische Motive werden verwendet. Gleichzeitig ist sie in ihren Themen zutiefst sozialkritisch. Science Fiction der sehr außergewöhnlichen Art – wer hineinschnuppern möchte, ein paar seiner Shortstories finden sich in diesem legalen, freien Online-Archiv:

http://www.freesfonline.de/authors/Cord ... Smith.html

eine ins Deutsche übersetzte Shortstory hier:

Ein Planet namens Shayol
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Beitragvon Demona » Sa 14. Jun 2008, 00:03

Ich tat mich Anfangs etwas schwer mit der Geschichte, vllt. weil ich auf Kurzinfos, worum es da in dieser Geschichte geht, stehe. :D

Aber je mehr man von der Geschichte las, umso mehr fesselte sie einen auch.
Was hatte es eigentlich mit dem miauen auf sich? Das war doch eine Erinnerung von Mercer bevor er fest genommen wurde, oder?

Bei manchen Dingen stellt sich mir eh die Frage, in welchen Namen manche Verbrechen unter die Rubrik "Verbrechen an der Menschheit" bzw. welcher Vorwand nötig ist, um einen Krieg anzuzetteln

Interessant ist auch zu wissen, dass die USA das Orange-Gift nicht erst in Vietnam einsetzte sondern schon vorher an einigen Grenzabschnitten zu Kanada. Sie wollten so verhindern, dass die Indianer die Reservate verließen und in das indianerfreundlichere Kanada gingen.

Auch wurden in Kanada in alten, längst verlassenen Forts unterirdische Gefängnisse gebaut, um dort "staatsfeindliche" Indianer und ihre Helfer zu verhören, zu foltern und z.T. dann "auf der Flucht" zu töten.

Erstaunlich, dass gerade die USA solche Lager immer wieder neu erfinden.


Edit: Sehr toll fand ich diesen Teil am Ende der Geschichte! Ich mag Frauen, die wissen was sie wollen! ;)

»Eine Frage«, rief die Edle Petete aus. »Edle Dame ...?«, antwortete die Edle Johanna mit all der Höflichkeit, die einer ehemaligen Kaiserin gebührte.
»Wird es uns erlaubt sein zu heiraten?«
Die Edle Johanna schien überrascht. »Das weiß ich nicht.« Sie lächelte. »Ich wüsste allerdings keinen Grund, warum es verboten sein sollte ...«
»Dann beanspruche ich diesen Mann namens Mercer für mich«, verkündete die Edle Petete. »Als die Drogen am stärksten waren und die Schmerzen am schlimmsten, war er derjenige, der immer noch zu denken versucht hat. Kann ich ihn haben?«
Mercer fand ihre Vorgehensweise zwar ausgesprochen willkürlich, doch er war so glücklich, dass er nicht widersprach. Die Edle Johanna betrachtete ihn prüfend und nickte dann.
"Möge Gott sein zwischen Dir und dem Leid, an allen verlassenen Orten, die Du erreichen wirst." (ägyptischer Segensspruch "Babylon 5")

"Wichtig ist nur, was du mit der Zeit anfängst, die dir in deinem Leben gegeben ist." (Gandalf zu Frodo in Moria, HdR- Die Gefährten)
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Beitragvon nevermore » Sa 14. Jun 2008, 00:07

Nein, man hat nie erfahren, was sein "Verbrechen" eigentlich war. Leider muss man, wenn man Linebargers sonstige Geschichten kennt, es durchaus für möglich halten, dass er wegen "verbotenen Wissens" oder sowas ähnlichem verurteilt worden ist. Das namenlose Verbrechen gegen die kaiserliche Familie - sagt er. Das Kaiserreich ist einer der Feinde der Instrumentalität. Er erinnert sich an den Palast, muss also direkt dort gewesen sein. Was dieses Namenlose Verbrechen ist, steht vermutlich irgendwo in den anderen Geschichten, aber ich erinnere mich grade leider nicht.

Ich halte leider keine der Visionen von Linebarger für völlig unrealistisch. Auch die mit den Untermenschen nicht (dieser Erzählungsstrang hat nach dem Thema "Hauselfen" für mich in HP nochmal eine ganz andere Bedeutung gewonnen). Wenn die Gentechnik tatsächlich so weit kommt, halte ich das leider für durchaus denkbar, dass man anfängt, derartige intelligente "Tiermenschen" buchstäblich als Arbeitstiere zu züchten und wie Leibeigene zu halten. Erst vor ein paar Tagen hörte ich im Radio, dass sie Stammzellenforschung mit der Mischung von menschlichem und tierischem Erbgut betreiben wollen oder gar schon genehmigt bekommen haben. Womit man dann wieder beim Thema "Persönlichkeitsrechte" wäre - das hatte man ja andernorts schon mit Robotern und anderen AIs, aber die Variante "Tiermenschen" kannte ich anderweitig bisher noch nicht.

Der "Kuhmann" auf Shayol ist einer der "Untermenschen", der als Sklaven gezüchteten Tiermenschen. Von den ganzen Smith-Themen finde ich das das interessanteste. Leider auch das, welches vermutlich nicht so ganz unrealistisch ist.

Ich gehe davon aus, dass das Miauen von neugeborenen Katzenmenschen stammt.
nevermore
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