Lobotomie




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Lobotomie

Beitragvon Eve » Mi 9. Jul 2008, 01:14

Das Thema "Lobotomie" habe ich schon immer interessiert und gleichzeitig mit einem Kopfschütteln betrachtet. In meiner FF habe ich das Thema vor einigen Monaten angesprochen und jetzt kam dieser sehr interessante Artikel bei Spiegel-Online. Medizinische Fehltritte sind mitunter wohl die Schlimmsten und Gruseligsten, die es so gibt.
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von Anzeige » Mi 9. Jul 2008, 01:14

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Beitragvon Demona » Mi 9. Jul 2008, 07:09

Sehr interessaner Artikel. Genauer werde ich ihn mir heute abend durchlesen, jetzt habe ich ihn mal gr überflogen...

Es gab auch mal einen Film mit Jessica Lange in der Hauptrolle (cih glaube dafür wurde sie auch für den Oscar nominiert) über eine junge Frau in den 30igern (?) Jahren, die in Hollywood eine unglaubliche Karriere vor sich hatte. Da sie jedoch sehr selbstbewusst für die damalige Zeit war und die Studiobosse sie für "schwierig" hielten, ließen sie sie über ihre Eltern für unmündig erklären und sie wurde in die geschlossene Anstalt einweisen.
Diese wollte u.a. durch Lobotomie ihre Patienten wieder "normalisieren". Die junge Frau durchlief ein wahres Martyrium bis sie wieder frei kam, aber als gebrochener Mensch. Ich glaube der Film hieß "Francy" oder so...
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Beitragvon Eve » Mi 9. Jul 2008, 08:47

Den Film kenne ich gar nicht mal... :oops:

Ich bin sofort an die neuseeländische Autorin Janet Frame erinnert worden, die aufgrund eines zurückliegenden Suizidversuchs in eine Anstalt eingewiesen wurde. Man hatte Schizophrenie diagnostiziert - eine Fehldiagnose - und sie für acht Jahre in der Anstalt behalten. Die Frau wurde mit Elektroschocks behandelt und entkam knapp der geplanten Lobotomie; das auch nur, weil ihr erstes Buch veröffentlicht worden war.
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Beitragvon seirex » Mi 9. Jul 2008, 11:58

Hi!

Da ich ja meinen Zivildienst in einer Psychiatrie absolviert habe,
habe ich natürlich auch einiges über die Zustände "früher und heute" mitbekommen.

Wenn man sich gewisse Patienten anschaut,
dann sieht man, dass die Lobotomie eben nicht verschwunden ist.
Heute heisst sie nur anders: Neuroleptika.
Der einzige Fortschritt der Neuroleptika ist, dass es in den meisten Fällen keine Dauerschädigung gibt.
Aber so gut wie alle Patienten sind ganz eindeutig antriebslos.

So wie ich gehört habe ist auch die Elektroschocktherapie noch nicht am Ende.

Wenn ihr ein gutes Buch zu der Reformation der Psychiatrien in Deutschland lesen wollt,
dann empfehle ich euch März von Heinar Kipphardt.
Da geht es mitunter auch um Lobotomie.

LG

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Beitragvon Gast » Mi 9. Jul 2008, 17:55

Hallo!

Dieser Bericht ist auf den ersten Blick sicherlich schockierend, aber andererseits muss man sich auch vor Augen führen, dass affektive Störungen welcher Art auch immer grundsätzlich phsysiologische Ursachen haben und höchstens mittels psychosozialer Faktoren verstärkt bzw. "aktiviert" werden.

D.h. die Lösung für die Heilung/ Linderung solcher psychischer Störungen sind durchaus in der Physiologie, v.a. des Gehirns zu suchen. Man muss natürlich die Tatsache berücksichtigen, dass im Gehirn die Schaltzentrale für das gesamte Verhalten eines jeden Menschen, seiner Psyche, Emotionalität und Instinkte liegt und in Anbetracht dessen muss man auch sehen, dass das Gehirn im Allgemeinen noch viel zu unerforscht ist, um solche Operationen durchzunehmen.

Ich finde es also keineswegs verwerflich, die Heilung solcher Krankheiten im Eingriff in die Physiologie des Gehirns zu suchen. Die Ausführung ist nochmal eine ganz andere Sache. Ohne Zweifel kann man Freeman wohl nicht als positives Beispiel anführen. Er wollte Aufmerksamkeit und bewundert werden, vll war er auch dem Geld ganz zugetan, aber in erster Linie wollte er meiner Meinung nach in die Medizinhistorik eingehen. Das Wohl seiner Patienten lag ihm dabei nur in sofern am Herzen, als dass er deren Genesung für seine Statistik festhalten konnte.
Am Ende des Artikels wird auch erwähnt, dass der Ruf der Psychochirurgie noch heute unter den damaligen Aktivitäten Freemans leidet und das finde ich persönlich nicht sehr fortschrittlich.
Es gab schon immer schwarze Schafe in der Entwicklung der Medizin, die auf perfide Art und Weise als Retter der Menschheit in die Geschichte eingehen wollten und dafür auch eine dauerhafte Schädigung bis hin zum Tod ihrere Patienten in Kauf nahmen.

Wenn man sich ein bißchen über bekannte Störungen der Affektivität wie z.Bsp. die Schizophrenie oder Depressionen informiert, dann erkennt man schnell, dass die anfängliche Ursache in dem Zusammenspiel mehrerer physiologischer Vorkomnisse liegt (Genetik, Sauerstoffmangel, Infektionen, etc.), welche die Entwicklung des Gehirns, namentlich die Vernetzung der Nervenzellen beeinflusst.
Ich finde den Ansatz also nicht unbedingt falsch, die Heilung solcher Krankheiten eben auch im Gehirn zu suchen.

Operationen am Gehirn finde ich erst recht nicht verwerflich. Trepanationen (Schädelöffnungen) zu heilenden Zwecken gibt es schon sehr lange in der Menschheitsgeschichte. Nach Funden kann man die ersten Trepanationen bereits auf die Jungsteinzeit datieren. Sie wurden bei traumatischen Kopfverletzungen und auch damals bereits irrigerweise bei Epilepsien, Manien oder rasenden Kopfschmerzen angewandt. Auch Hippokrates oder Galenos hielten viel auf diese Operation. Im frühen Mittelalter wurde diese Art der Behandlung von dem Christentum verboten und erst ab dem 13. Jh. wurde dieser Eingriff wieder vermehrt durchgeführt. Heutzutage, in der modernen Medizin, zählt die Trepanation zu den Standardeingriffen. Über das Schädelloch können Katheter und Drainagen eingelegt werden, z.B. zur Entlastung eines raumfordernden Hämatoms oder als Liquordrainage zum Abfluss des Hirnwassers (Liquor) bei erhöhtem Hirndruck.
Hirnoperationen gelten auch heutzutage in vielen Fällen noch als spektakulär, aber sie sind weit fortgeschritten und ich denke, dass solche Leute wie Freeman und deren Missbrauch der Medizinforschung letzten Endes nur den Fortschritt der Medizinforschung behindern.
Sicher ist das schockierend und pervers, was damals passiert ist, aber meiner Meinung kann das keinesfalls für die gesamte Psychochirurgie an sich stehen. Ich halte es also durchaus für möglich, dass auch ein operativer Eingriff in kommender Zeit zu einer Linderung solcher psychischen Krankheiten führen kann.

Für überaus wichtig halte ich es aber, dass in solchen Fällen immer zu 100% sicher ist, dass der jeweilige Patient auch tatsächlich unter einer solchen affektiven Störung leidet. Im Falle des von Freeman operierten Jungen war nicht nur die Operation an sich ein grausamer Fehltritt, sondern auch die Diagnose hierzu.
Ich sehe ein, dass das durchaus ein schwieriges Thema ist, aber ich denke nicht, dass man es einfach als verwerflich abtun sollte, da in späteren Jahren vielen Menschen durch die Forschung in diesem Bereich geholfen werden könnte und bereits geholfen wird.

Neuroleptika sind auch so ein Streitthema und das ist auch gut so, da die Handhabung solcher Methoden immer in der Kritik stehen sollte, um ihren Missbrauch gering zu halten, aber sie von vorne herein als schlecht abzustempeln empfinde ich als ignorant, da tatsächlich viele Menschen mit Hilfe solcher chemischer Keulen ihr Leben erst wieder in den Griff bekommen haben.

Forschung bringt leider nicht nur Fortschritt, sondern zieht auch Missbrauch mit sich, der wiederum nicht selten im Fortschritt endet.
Als flexibel denkender Mensch sollte man sich darüber bewusst sein.



Liebe Grüße
Trevor
Gast
 

Beitragvon Eve » Mi 9. Jul 2008, 18:42

@ Trevor: In den Beiträgen hat niemand Neuroleptika oder gar die gesamte Psychochirurgie schlecht gemacht. Ich stimme deiner Meinung sogar zu, dass gewisse Eingriffe und Medikamente helfen können. Einzig die Tatsache, wie Freeman "gearbeitet" hat und wie leichtfertig Lobotomie im Allgemeinen damals angewandt worden war finde ich verwerflich. Leider sorgen erst solche Skandale dafür, dass mit viel mehr Umsicht behandelt oder operiert wird.

LG, Eve
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Beitragvon Demona » Mi 9. Jul 2008, 19:19

@ Eve

Der Film heißt "Frances" und erzählt die Lebensgeschichte der Schauspielerin Frances Farmer.


Infos über den Film hier
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