Mo 22. Okt 2018, 18:12
Folge 25, Staffel 2: "Anasazi / Anasazi"(Kopie von SciFi-Forum)
Was ist nicht alles los in diesem furiosen Staffelfinale, Auftakt zum vielleicht besten Dreiteiler der Serie. In der Wüste New Mexicos findet ein Navajo-Junge einen vergrabenen Güterwaggon und einen nicht-menschlich aussehenden Leichnam. Ein Hacker stiehlt Daten über Kontakte mit Außerirdischen aus dem Verteidigungsministerium, und übergibt das Datenband an Mulder. Das Syndikat vergiftet Mulder mit LSD-verseuchtem Wasser, und ermordet seinen Vater. Scully hat alle Hände voll zu tun, jemanden zu finden, der die in Navajo-Sprache verschlüsselten Dateien übersetzt, und den unter Drogen stehenden Mulder unter Kontrolle zu bekommen. Als Mulder in der Wüste von New Mexico wieder zu sich kommt, findet er im Güterwaggon aufgestapelte Leichen.
Die Daten, die der Hacker Sunna aus dem Verteidigungsministerium stiehlt, sind die sog. "Majestic 12"-Dokumente, um die sich in RL eine Menge Verschwörungstheorien ranken (siehe
hier). Sie enthalten laut Sunna alle Informationen im Zusammenhang mit Kontakten mit Außerirdischen seit den 1940er Jahren. Die Bedeutung der Daten wird gleich nach dem Intro deutlich gemacht, als italienische, japanische, deutsche und amerikanische Regierungsbeamte telefonisch benachrichtigt werden. Das Ausmaß der Verschwörung, von Deep Throat schon in der ersten Staffel angedeutet, wird hier deutlich - sie geht weit über die USA hinaus. Alle sind sich einig, dass die Sicherheitslücke sofort geschlossen werden muss, und der Raucher zieht die Sache an sich. Einerseits wird hier deutlich, welch hochrangige Stellung er haben muss, andererseits deutet sich an, dass er anscheinend selbst innerhalb der Verschwörung noch seine eigene Agenda hat, denn als er dem deutschen Gesprächspartner sagt, er habe bereits alles erledigt, hat er in Wirklichkeit noch nicht einmal damit angefangen.
Es ist nun definitiv klar, dass Bill Mulder Teil der Verschwörung war, denn er ist der erste, den der Raucher aufsucht. Mulder sen. wird vom Raucher gewarnt und ihm wird geraten, alles zu leugnen, aber er entscheidet sich, Fox alles zu beichten und zitiert diesen her. Bevor er jedoch auspacken kann, wird er von Krycek erschossen. Immerhin deutet er vorher noch das grausige Geheimnis an: "Fox, you're going to hear the words and they'll come to make sense to you." - "What words?" - "The merchandise".
In "Anasazi" wird nun bekräftigt, was sich in "Colony" und "Endgame" schon andeutete: Mulder ist nicht nur zufällig in diese Sache hineingestolpert, sondern er ist durch die Beteiligung seines Vaters mittelbar in die Verschwörung verwickelt. Ähnlich wie in Star Wars ist das übergeordnete Geschehen gleichzeitig eine Muldersche Familienangelegenheit. Wieder das Motiv der von den Eltern oder Ahnen geerbten unerledigten Hausaufgaben, vor denen man nicht davonlaufen kann. Hier auf der persönlichen Ebene, aber später in der Episode auch auf einer viel größeren.
Das Syndikat, oder Teile davon, will nun ernsthaft Mulder (den Sohn) aus dem Verkehr ziehen (der Raucher hat hier seine eigene Agenda; dies geht offenbar nicht auf ihn zurück: "You wouldn't harm him?" -- "I've protected him this long, haven't I?"). Erst wird er unter Drogen gesetzt (schön, wie zu Beginn der Episode Mulder immer wieder mit einem Wasserglas zu sehen ist), wobei man den Tod Unbeteiligter billigend in Kauf nimmt. Aufgrund seiner Attacke auf Skinner wird er aus dem FBI entfernt. (Eine fantastische Szene ist die Befragung Scullys durch das FBI - am Tisch sitzt u.a. Chris Carter höchstselbst, der sie fragt: "Your partner. Weren't you originally assigned to agent Mulder to debunk his work?" Was für eine brilliante Idee, die Figur Scully vor ihren Schöpfer zu zerren, der sie fragt, warum sie nicht den Job macht, für den sie ursprünglich vorgesehen war.
Carter räumt hier nicht ohne Selbstironie ein, wie weit sich die Figur - und die Serie - von dem, was er sich ursprünglich vorgestellt hatte, wegentwickelt hat.) Als Mulder dann X zu rufen versucht, kommt der nicht. Dann erschießt man seinen Vater, und versucht ihm, den Mord anzuhängen. Wäre Scully nicht da gewesen und hätte ihn davor bewahrt, Krycek zu erschießen, dann hätte das Komplott vermutlich sogar funktioniert. Aber egal was sie anstellen, egal wie durchgedreht sich Mulder verhält, sie können nicht verhindern, dass Scully weiter zu ihm hält.
In der Wüste von New Mexico kommt er dann dahinter, was es mit "the merchandise" auf sich hat. Die Szenen dort (in den Produktionsnotizen las ich, dass sie in einem Steinbruch bei Vancouver gefilmt wurden, der mit über 6000 Litern Farbe rot gestrichen wurde, um nach Navajo-Wüste auszusehen - das war vor den heutigen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung!) sind voll von Symbolik und Metaphern. Schon im Teaser wird der Bahnwaggon durch ein Erdbeben freigelegt - "the Earth has a secret to tell", sagt der alte Navajo Albert Hosteen. Als wollte sie das grausige Geheimnis wieder ausspucken. Die Tagline der Episode "Éí 'Aaníígóó 'Áhoot'é" bedeutet "The Truth is Out There" in der Sprache der Navajo.
Die Leichen, die Mulder findet, hält er zunächst für Außerirdische, bis er die Pockenimpfungsnarben entdeckt. Die grausigen Bilder im Waggon erinnern an Bilder aus einem Vernichtungslager der Nazis - die Bezeichnung der Opfer als "merchandise" macht klar, als was sie von den Tätern betrachtet wurden. Wer die Täter waren, darüber lässt die Episode auch keinen Zweifel: "Mulder, in these files I found references to experiments that were conducted here in the US by Axis Power scientists who were given amnesty after the war." Für die Experimente wurden Wissenschaftler der Achsenmächte, somit unter anderem auch Nazi-Wissenschaftler eingesetzt.
Hosteen arbeitete als Codierer für die Alliierten im Zweiten Weltkrieg, und ist daher über die Ereignisse im Bilde. Er glaubt, dass mystische Kräfte am Werk sind, um sie ans Licht zu bringen. "In the desert, things find a way to survive. Secrets are like this too. They push their way up through the sands of deception so that men can know them." Nichts verschwindet spurlos. Hosteen erzählt Mulder auch von den Anasazi, einem Indianerstamm, der vor 600 Jahren in der Gegend gelebt hat, und angeblich spurlos verschwunden ist. Hosteen glaubt, die Anasazi wurden von Außerirdischen entführt, was bedeuten würde, die Präsenz der Aliens und deren Eingreifen auf der Erde geht viel weiter als bis zum Roswell-Absturz zurück.
"Anasazi" ist ein fantastisches Staffelfinale, das wirklich nichts zu wünschen übrig lässt. Eine besondere Stärke ist hier wieder die Verknüpfung zu Vorgängen in der realen Geschichte: Die Majestic 12-Dokumente, die Kooperation von Nazi-Wissenschaftlern mit den Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg, die Idee, dass einen diese Vergangenheit wieder einholen wird. Noch dazu endet sie mit einem großartigen Cliffhanger, als der Raucher Mulder bis zum Güterwaggon verfolgt und diesen anzündet. Wie wird er den Anschlag überleben? Ich gebe sechs gestohlene DAT-Bänder dafür.