Ich möchte mal einen meiner persönlichen Lieblingsautoren vorstellen - einen etwas obskuren und leider nicht allzu bekannten Autor aus der klassischen SF-Ära, Cordwainer Smith.
Cordwainer Smith, bürgerlich Paul A. Linebarger (1913 bis 1966), war amerikanischer Psychologe und Schriftsteller sowie Professor für Asiatische Studien. Linebargers Science Fiction ist eine Version der „Future History“; der Großteil seiner Geschichten (außer fünf Kurzgeschichten) ist im selben fiktiven Universum innerhalb einer einheitlichen Chronologie angesiedelt, die ca. 14.000 Jahre Menschheits-„Geschichte“ schreibt – die Welt der „Instrumentalität der Menschheit“. Das Werk besteht aus einem zweiteiligen Roman mit dem Titel Norstrilia, zuvor aufgelegt als „Der Planetenkäufer“ und „Die Untermenschen“, und 32 Shortstories, die gesammelt in „The Rediscovery of Man“ (Hardcover-Edition) aufgelegt sind, deutschsprachig aber nur über mehrere Sammelbände verteilt vorliegen.
Linebargers Science Fiction gehört zum Außergewöhnlichsten und Bizarrsten, was das Genre an Literatur hervorgebracht hat (Autoren der „Hard Science Fiction“ wie Lem weigerten sich, sie als Science Fiction anzuerkennen, und bezeichneten sie als „Märchen“ –allerdings sollte dies nicht dazu verleiten, dass man sie in das klassische Fantasy-Genre einordnen könnte). Ungewöhnlich sind zum einen seine sehr bildreiche, lyrische und an chinesische Texte erinnernde Sprache, vor allem aber seine Kreationen und das Linebarger –Universum selbst. Der Großteil der Geschichten liegt in einer postapokalyptischen Ära, die ca. 10.000 Jahre in der Zukunft angesiedelt ist. Nach einem Niedergang der irdischen Zivilisation in Kriegen und Krisen haben sich die Menschen in isolierte Städte zurückgezogen, Monster und umherirrende Kriegsmaschinen haben jahrhundertelang die Erdoberfläche beherrscht. Nun beginnt die Menschheit, die Erde zurückzuerobern, und errichtet ein allumgreifendes Regime, die „Instrumentalität der Menschheit“, die versucht, alte Kulturen und Sprachen wiederzubeleben („The Rediscovery of Man“). Die Menschen besiedeln entfernte Planeten, darunter Altnordaustralien, Norstrilia. Mit Hilfe des „Planoforming“ werden Tausende von Welten kolonisiert, und die Menschen passen sich an bizarre Umweltbedingungen an, wie sie nahe des veilchenblauen Sterns, Viola Siderea oder auf dem krebserzeugenden Planeten Arachosia herrschen. Mit Hilfe einer auf Norstrilia aus den Absonderungen kranker Schafe gewonnenen Droge hat die Menschheit eine Lebensdauer von mehreren hundert Jahren erlangt. Die Instrumentalität wehrt alle Gefahren, die der Menschheit durch potenzielle Rivalen drohen, ab, und erhält die geschützte und gleichzeitig entmündigte Menschheit mit Drogen und Elektrostimulation in einem Zustand fortwährenden Glücks. Politische Konflikte und Kriege sind abgeschafft, alle Massenkommunikation und alles Geschichtswissen ist der Instrumentalität vorbehalten. Wessen Meinung abweicht oder wer auch nur von tabuisierten Dingen weiß, der wird einer Gehirnwäsche unterzogen. Der Großteil der Arbeit wird von Robotern erledigt. Das Resultat: Die Menschen verkümmern und dämmern dahin bzw. bleiben nur auf beschwerlichen Welten wie Norstrilia aktiv. In Schmutz, Not und ohne Rechte vegetiert eine Unterklasse von Wesen dahin: Genetisch in Menschenform transformierte Tiere, ausgestattet mit Intelligenz und speziellen Talenten, die zu Dienerzwecken gezüchtet und als Sklaven gehalten werden. Sie kämpfen verzweifelt gegen die Instrumentalität um ihre Gleichberechtigung. Am Ende des Zyklus sind die Untermenschen mit ihren Emanzipationsbestrebungen ein gutes Stück vorangekommen, und die Instrumentalität entlässt die echten Menschen aus ihrer Utopie, damit sie wieder zu leben lernen.
Linebargers Universum enthält eine ganze Reihe sehr bizarrer Kreationen: den Planeten Norstrilia, eine Halbwüste, wo die „Unsterblichkeitsdroge“ Stroon von gigantischen, virusinfizierten Schafen geernet wird; Planoforming-Schiffe mit einer Besatzung aus Menschen, die telepathisch mit Katzen verknüpft sind; Habermänner und ihre Überwacher, deren Sinnesnerven durchtrennt wurden, um „Raumschmerzen“ zu blockieren, Mensch-Maschinen, deren Körper und Geist getrennt wurden; der Strafplanet Shayol, auf dem Kriminelle durch genetische Manipulation als nachwachsendes „Ersatzteillager“ für Organtransplantationen „verwendet“ werden.
Linebargers Stories bewegen sich zwischen Science Fiction, Märchen und Horror - sie sind alles andere als „nett“, oft nichts für zartbesaitete Gemüter und sicherlich nicht kindgerecht. Sie sind auch mythisch und visionär – es wird an uralte mythologische Figuren wie Tiermenschen angeknüpft und es werden neue erfunden, Jungsche Archetypen tauchen auf, christliche ebenso wie buddhistische und taoistische Motive werden verwendet. Gleichzeitig ist sie in ihren Themen zutiefst sozialkritisch. Science Fiction der sehr außergewöhnlichen Art – wer hineinschnuppern möchte, ein paar seiner Shortstories finden sich in diesem legalen, freien Online-Archiv:
http://www.freesfonline.de/authors/Cord ... Smith.html
eine ins Deutsche übersetzte Shortstory hier:
Ein Planet namens Shayol