Staffel 6, Episode 2: Home
Review:
"Vor dem Sturm" - so heißt der erste - und meines Erachtens in seiner Bedeutung unterschätzte - Roman Theodor Fontanes, der während der Befreiungskriege 1813 spielt. "Vor dem Sturm" könnte auch gut der Titel der Episode 2 von Staffel 6 GOT heißen. Denn der "rote Faden", also das, was alle Folgen dieser Staffel verbindet (und sogar mit Dorne aus Folge 1 verbindet) ist ein atemberaubendes Voranschreiten der Handlung, in welcher Nägeln mit Köpfen gemacht werden. Ausgleichende oder zumindest abwartende Charaktere, die strategisch weitblickend denken, zum Teil den Frieden wahren wollen, zum Teil einfach aus Vorsicht agieren, werden in Folge 1 und jetzt in Folge 2 einfach "aus dem Weg" geräumt. Trifft es in Episode 1 den auf Ausgleich bedachten Fürsten von Dorne (mag dieser in der Buchvorlage noch so machiavellistische Pläne gehabt haben), traf es am Ende von Staffel 4 Tywin Lannister, so ist es jetzt der Tywin Lannister der Boltons, Roose Bolton, der "dran glauben" muss. Wie ich in meinem Review zu Episode 1 bereits vermutete, wird der Vatermord hiervollzogen. Nachdem Ramsey Bolton die Nachricht erhält, dass Lady Walder ein gesundes Baby zur Welt gebracht hat, zögert er nicht lange, ersticht seinen Vater und wirft die lästige Stiefmutter samt neugeborenem Kind den Hunden zum Fraß vor (letzteres mal wieder, wie leider zu häufig in GOT, eine extrem grausame Szene, wie ich finde, die aber leider - was Ramsey Bolton angeht - "in character" zu sein scheint.) Mit dem Mord ist Ramsey Alleinerbe der Boltons und Herrscher des Nordens. Aber wie lange wird er sich halten können? Auf jeden Fall deutet nun alles auf Kampf und bevorstehende Konfrontation hin. Ganz ähnlich wie in Dorne in der Episode zuvor, als die mordlustigen Sandsnakes dort das Ruder übernahmen (man beachte auch die Parallelität der Szenen: die Ermordung des Fürsten von Dorne erfolgt, nachdem er die Nachricht von Myrcellas Ermordung gelesen hat; Ramsey entschließt sich zum Mord an seinem Vater, nachdem die Nachricht vom geborenen Erben eingetroffen ist). In Dorne und jetzt in Winterfell Psychopathen die "Chefs" ihrer jeweiligen Häuser. Das kann ja nicht gut gehen, wir befinden uns wahrlich "vor dem Sturm."
"Im Sturm" befinden wir uns buchstäblich auf den Eiseninseln. In der Buchvorlage war es nur angedeutet, hier wird es wahr: Euron entledigt sich seines Bruders, stößt ihn von der sturmumwehtenBrücke, um selber beim bevorstehenden Königs-Thing zum neuen Herrn der Eiseninseln gewählt zu werden. Halten sich die Macher an die Buchvorlage, dürfte Euron dies auch werden. Die Konflikte, etwa mit Tochter Asha, die zuvor noch eine Auseinandersetzung mit Balon wegen ihres Bruders Theon auszustehen hatte und nun Rache schwört, sind auch hier vorprogrammiert. Erneut befinden wir uns buchstäblich "vor dem Sturm".
"Vor dem Sturm" befinden wir uns auch in King`s Landing: der Machtkampf zwischen den kirchlichen Fanatikern um den High Sparrow erreicht mit einer hitzigen Auseinandersetzung zwischen Jaime und dem High Sparrow einen ersten Höhepunkt. Liest man die Beschreibung zur nächsten Episode, so gilt auch hier: die Konfrontation ist wohl nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Dies wird verstärkt dadurch, dass der zögernde und schwache Tommen sich bei seiner Mutter für seine Weigerung, sie an den Sarg Myrcellas zu lassen, entschuldigt und von ihr Hilfe erbittet. Cersei, die ihren Sohn liebt (wer bleibt ihr sonst noch?), sichert ihm diese Hilfe zu und verzeiht ihm. Tommenist aber auch hier der letzte auf Ausgleich bedachte Charakter in King`s Landing. Sollte er - wie Doran, der Fürst von Dorne, und - so unsympathisch er war - Balon, der Herr der Eiseninseln - ebenfalls sterben, so wäre die letzte Person, die einen Frieden oder eine Art Kompromiss in den sieben Königslanden erzielen könnte, auch tot. Kevan Lannister ist nicht mehr in der Serie aufgetreten, sein Schicksal aus dem Epilog des letzten Bandes kennen wir.
Auf Ausgleich bedacht in diesem Kampf um Throne scheint noch Bran zu sein. Doch der ist jenseits der Mauer und wird vom dreiäugigen Raben, hervorragend verkörpert durch Max von Sydow, darin unterrichtet, gezielt in seine Träume einzudringen. Doch auch hier zeigt sich erneut der "rote Faden" der Staffel: die friedliche Vergangenheit (er sieht seinen Vater, seinen Onkel und seine Tante Lyanna Stark als Kinder (die Einführung der letzteren dürfte ein weiterer Hinweis auf die R + L = J-Theorie sein, auf die ja schon die Unterhaltung von Sansa mit Littlefinger hingedeutet hatte)) gehört der Vergangenheit ein. Der dreiäugige Rabe mahnt Bran, auf die zukunft zu achten und auch das Kind des Waldes ahnt, dass Bran bald Hilfe brauchen wird. Auch hier zeigt sich wieder: wir stehen "vor dem Sturm."
Auch der Handlungsstrang um Tyrion und Varys geht, nachdem er in Episode 1 m.E. stagniert hatte, nun einen deutlichen Schritt voran. Wir erfahren, dass die Sklavenjäger in den Nachbarstädten von Mereen die Macht übernommen haben, wir wissen, dass dies auch in Mereen versucht wird (so brannten ja die Schiffe nicht umsonst in dem Mereen gewidmeten Teil von Episode 1). Auch hier stehen wir vor kämpferischen Auseinandersetzungen, auch hier könnte "Vor dem Sturm" das Leitmotiv der Episode sein. Dass Tyrion mit Daenerys Drachen Rhaegon und Vyseris so gekonnt umgeht und wir erfahren, dass es sein Wunsch war, Drachen zu besitzen, könnte die Theorie erhärten, dass entweder Tyrion selber oder zumindest seine Halbgeschwister Jaime und Cersei keine Lannisters sind. Die Theorien sind ja bekannt. Wunderbar hier auch wieder der trockene Witz Tyrions, der Varys ermahnt, ihn solche gefährlichen Dinge doch nicht wieder tun zu lassen. Wie auch immer: auch hier geht es voran.
Voran geht es auch in dem Arya-Strang, denn Aryawird nach erneutem Zweikampf mit Faif von Jaqen H'ghar wieder als Assassinin aufgenommen. Sie hatte den Test bestanden: trotz mehrfacher Aufforderung durch ihn blieb sie dabei, keinen Namen zu besitzen. Wir dürfen gespannt sein, was Arya als Assassinin im "Kampf der Throne" noch unternehmen wird....
Etwas überraschend - für mich - kommt die Trennung zwischen Sansa, die zur Mauer aufbricht, um bei ihrem Bruder Jon Schutz zu finden und Theon, der beteuert, zwar für Sansas Befreiung alles tun und für sie sterben zu wollen, aber sie - seiner Schuldgefühle gegenüber den Starks wegen - nicht zur Wall begleiten will. Er wird wohl zu den Eiseninseln aufbrechen. Ob er dort heil ankommen wird? Ich habe da so meine Zweifel....
Der Höhepunkt sind natürlich die Ereignisse an der Mauer: die Mörder Jon Snows um Sir Aliser Thorne können festgesetzt werden, weil Ed die Wildlinge (einschließlich des Riesen Wun-Wun) rechtzeitig zur Hilfe geholt hat. Sir Davos bittet Melisandre, ihm zu helfen. Und sie tut es: obwohl voller Selbstzweifel ob ihrer seherischen Fähigkeiten (und auch Selbstzweifel, was ihren Glauben an den "roten Gott" betrifft (so unsicher wie in den letzten 3 Folgen hat man Melisandre noch nicht gesehen), spricht sie eine Zauberformel und schafft es, Jon Snow zum Leben zu erwecken, was auch sein Schattenwolf sofort bemerkt. Mit dieser - von vielen Fans, wenn auch nicht von mir - erwarteten Überraschung endet eine intensive, spannende und gut durchdachte Staffel, die endlich einmal Handlungen "voranbringt". Zu oft hatte ich in Staffel 5 den Eindruck, die Dinge würden stagnieren. Doch nun - der Trailer deutet es ja schon an - ist die Bühne bereitet für "den Sturm": denn stürmische Ereignisse, Kämpfe und Schlachten, ja, möglicherweise der Untergang von Westeros stehen an, wenn nicht Azor Ahai diese Welt vor der Dunkelheit rettet. Ob dies Daenerys (möglicherweise zusammen mit Jon Snow) sein wird? HBO kündigt für die kommende Episode an, Daenerys werde etwas über ihre Zukunft erfahren. Wir dürfen darauf gespannt sein. An Drehbuchautoren und Regisseur Dank für eine gelungene Staffel, die meiner Meinung nach die Höchstwertung von 5 Punkten verdient hat und die wichtigste Episode von Staffel 6 sein dürfte, ja möglicherweise zu den "Highlights" der gesamten Serie gehören wird.