Folge 3, Staffel 6: "Im Bermuda-Dreieck / Triangle"Drehbuch: Chris Carter
Regie: Chris CarterMulder macht sich im Bermuda-Dreieck auf die Suche nach einem vor 60 Jahren verschollenen Luxus-Kreuzer, der auf Satellitenbildern wieder aufgetaucht ist. Als er in einen Sturm gerät und von Seeleuten gerettet wird, findet er sich tatsächlich auf dem Schiff wieder - allerdings ist es dort das Jahr 1939, und die Welt befindet sich im Krieg. Die britische Crew hält ihn für einen deutschen Spion. Während er verhört wird, wird das Schiff von Nazis überfallen, die auf der Suche nach einem Wissenschaftler mit Plänen für eine gefährliche Waffe sind.
"Triangle" ist wieder eine von Carters Experimentierfolgen, eine Hommage an den "Zauberer von Oz" und die Werke von Alfred Hitchcock, verpackt in eine Zeitreise, die im zweiten Weltkrieg spielt. Mulder, wahrscheinlich aus Frustration über seine Arbeitssitution, begeht eine Riesendummheit: Als auf Satellitenfotos ein vor 60 Jahren im Bermuda-Dreieck verschollener Luxus-Liner, die Queen Anne, unerklärlicherweise an derselben Stelle wieder auftaucht, macht Mulder sich allein mit einem Motorboot auf, um das Schiff zu finden. Er gerät in einem Sturm und kentert; als er von einer Gruppe von Seeleuten aus dem Wasser gefischt wird, findet sich er prompt auf der verschollen geglaubten Queen Anne wieder. Allerdings stellt sich heraus, dass er in der Vergangenheit gelandet ist: Auf dem Schiff schreibt man das Jahr 1939. Die britische Besatzung hält ihn für einen deutschen Spion, verhört ihn und sperrt ihn ein, als das Schiff von den Nazis geentert wird. Die Nazis suchen nach "Thors Hammer"; die britischen Seeleute halten dies für eine Waffe, aber Mulder sagt ihnen, dass es der Deckname eines Wissenschaftlers mit Plänen für eine kriegsentscheidende Waffe ist. Mulder gerät in die Konfronation der Nazis mit den Schiffspassagieren und muss verhindern, dass der Wissenschaftler in die Hände einer der beiden Seiten gerät, weil sonst die gesamte Geschichte verändert wird.
Auf dem Schiff begegnet Mulder allen möglichen Leuten, die er aus seinem Leben in der Gegenwart kennt, und die auf diesem Schiff Spiegelbilder ihrer Rollen in seinem wirklichen Leben spielen: Der Raucher ist ein Nazi-Kommandant (was angesichts seiner Kollaboration mit Nazi-Ärzten und seiner Rolle in der Verschwörung keine Überraschung ist), Spender ist sein Laufbursche, den er beauftragt, Informationen aus Mulder herauszubekommen. Skinner ist ein Untergebener des Rauchers, versucht aber, das Richtige zu tun, und die Passagierin Scully kommt Mulder zu Hilfe und ermöglicht ihm die Flucht (zum Abschied gibt es endlich den von Shippern langersehnten Kuss zwischen Mulder und - allerdings der falschen - Scully, woraufhin Mulder sich eine heftige Ohrfeige fängt). Kersh ist Chef über den Maschinenraum und wieder ein äußerst unangenehmer Typ. Es erinnert alles etwas an "The Field Where I Died" in Staffel 4, als verschiedene Personen in gänzlich unterschiedlichen Zeitabschnitten in ähnlichen Rollen wieder auftauchten.
In der Gegenwart wird die Scully des Jahrs 1998 von den Lone Gunmen über das Verschwinden von Mulder informiert, und setzt alles in Bewegung, um ihn wiederzufinden. Die Lone Gunmen brauchen Informationen über Schiffsüberwachungen aus dem Pentagon, und sie wendet sich erst an Skinner, der sie zunächst abwimmelt, dann an Kersh, bei dem aber der Raucher herumlungert. Schließlich versucht sie Spender einzuschüchtern, um an die Informationen zu kommen, wird von diesem aber an Kersh verpetzt. Die Szenen, als Scully wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gänge des FBI hetzt und Skinner und Spender um Hilfe bittet, gehören zu den stärksten der Episode, was Gillian Andersons komödiantischem Talent zu verdanken ist - besonders als Scully Spender im Kellerbüro zur Schnecke macht und dann Skinner, der ihr am Ende dann doch hilft, aus Dankbarkeit impulsiv küsst. Als Mulder am Ende der Episode wieder aufgefunden wird und im Krankenhaus zu sich kommt, macht er Scully eine Liebeserklärung, die diese aber darauf zurückführt, dass er unter Medikamenten steht.
Die Episode lässt offen, was mit Mulder tatsächlich geschehen ist - hat er das Erlebnis nur geträumt, war es eine Reise in eine andere Dimension? Eine Zeitreise im engen Sinne scheidet eigentlich aus, da ähnlich wie in "The Field Where I Died" hier die Daten - vor allem die Anwesenheit des ca. 60-jährigen Rauchers im Jahr 1939 - wieder nicht in Einklang zu bringen sind. Interessant ist jedenfalls, dass Mulder, als er wieder zu sich kommt, die Nachwirkungen von Scullys Ohrfeige spürt.
Mit der Handlung, in der der Protagonist an einem surrealen Ort bekannten Personen in anderen Rollen begegnet, ist "Triangle" vor allem eine Hommage an den 1939 erschienenen Film
"Der Zauberer von Oz", was auch in weiteren Anspielungen verdeutlicht wird. So spielt die Handung von "Triangle" im Jahr 1939, Skinners Hund hört auf den Namen Toto (des Hundes der Protagonistin in "Oz", Mulders Motorboot heißt "Lady Garland", nach der Hauptdarstellerin Judy Garland. Der Kapitän der Queen Anne ist nach dem Komponisten von "Oz" benannt, und die Schlussszene am Krankenhausbett ist derjenigen in "Oz" nachgestellt.
Was die Inszenierung angeht, ist "Triangle" sehr ungewöhnlich angelegt und umgesetzt, von Hitchcocks Film "Rope" inspiriert. Die Episode besteht aus vier jeweils elf Minuten langen ununterbrochen gefilmten Sequenzen (obwohl sie nicht völlig zusammenhängend gefilmt sind, wurden sie sehr geschickt so zusammengeschnitten, dass die jeweiligen Abschnitte ununterbrochen erscheinen). Dadurch, dass es keine sichtbaren Schnitte gibt, folgt die Kamera stets einer Person - es verleiht der Folge eine enorme Dynamik, von der vielleicht am Meisten Scullys Suche nach Informationen durch das FBI-Gebäude profitiert. (Laut Produktionsnotizen sind es insgesamt nur 24 Einstellungen, aus denen "Triangle" zusammengefügt ist.) Der Höhepunkt ist schließlich der vorletzte Akt, als die Episode in einer Split-Screen-Einstellung die 1998er und 1939er Scully zeigt, wie sie in verschiedenen Zeitebenen denselben Korridor entlanggehen und sich kurz etwas verwirrt umdrehen, als hätten sie das Gefühl, dass hier etwas Merkwürdiges im Gange ist.
Die außergewöhnliche und fantasievolle Inszenierung ist wahrscheinlich die größte Stärke von "Triangle". Darüber hinaus ist "Triangle" eine sehr unterhaltsame Episode, die zu einem erheblichen Teil von Andersons schauspielerischer Leistung lebt. Was man hier wirklich kritisieren muss, ist die Synchronisation; dadurch, dass in der deutschen Fassung sowohl die Briten und Mulder als auch die Nazis Deutsch sprechen, geht sehr viel an den gegenseitigen Verständigungsschwierigkeiten verloren. Der insgesamt sehr gelungenen und unterhaltsamen Episode kann man dies jedoch nicht vorwerfen. Ich vergebe gute fünf Satellitenfotos dafür.