Sa 24. Aug 2019, 18:24
Folge 12, Staffel 6: "Ein Sohn / One Son"Drehbuch: Chris Carter & Frank Spotnitz
Regie: Rob BowmanCassandra wird zusammen mit Mulder und Scully von einem Seucheneinsatzkommando unter Quarantäne gestellt. Die Agenten werden bald wieder freigelassen, Cassandra jedoch wird festgehalten und soll den Kolonisten übergeben werden. Scully verdächtigt Fowley, mit dem Syndikat zusammenzuarbeiten, und als Mulder in Fowley Wohnung nach Beweisen sucht, trifft er dort auf den Raucher, der ihm über den Pakt mit den Außerirdischen und die Arbeit des Syndikats erzählt.
In "One Son" wird die große Enthüllungsreihe fortgesetzt, und man erfährt nun endgültig auch die restlichen Hintergründe über den Pakt des Syndikats mit den Außerirdischen, das Projekt "Purity Control" und die Rolle von Bill Mulder. Zunächst aber werden Mulder, Scully und Cassandra in Mulders Wohnung von einem Seucheneinsatzkommando unter Leitung von Diana Fowley überfallen und in eine Quarantänestation gebracht. Es heißt, Cassandra sei der Ausgangspunkt einer unbekannten Virusinfektion. Nach Dekontaminationsmaßnahmen werden die beiden Agenten wieder freigelassen, Cassandra hingegen bleibt weiter isoliert und Fowley weigert sich, Scully zu ihr zu lassen. Scullys Misstrauen hat nun endgültig die Alarmstufe Rot erreicht und zusammen mit den Lone Gunmen überprüft sie die Vergangenheit von Fowley. Wie sich herausstellt, sind Fowleys Personalakten manipuliert und es deutet vieles darauf hin, dass Fowley in Europa nicht arabische Terroristen jagte, sondern für das Syndikat arbeitete und Hybridisierungsexperimente überwachte. Fowleys wirkliches Motiv für das Seucheneinsatzkommando waren nicht irgendwelche Infektionen, sie wollte die geflüchtete Cassandra wieder unter die Kontrolle des Syndikats bringen. Noch immer tut der hinzugerufene Mulder Scullys Hinweise als unbedeutend ab. Die Episode lenkt hier wieder einmal die Aufmerksamkeit darauf, dass Mulder entgegen seinem "Trust No-one"-Credo gegenüber bestimmten Leuten viel zu vertrauensselig ist, und durch vermeintliche Verbündete wie früher schon Deep Throat (in "E.B.E.") und hier Fowley sehr leicht in die Irre zu führen ist.
Immerhin macht er sich aber auf den Weg zu Fowleys Wohnung auf, um selbst nach Indizien zu suchen. Dort trifft er alsbald auf den Raucher, der erstaunlicherweise (oder auch nicht) anscheinend dort nach Belieben ein- und ausgehen kann. Der klärt ihn über die Hintergründe der Entführungen von Cassandra Spender, Samantha Mulder und weiterer Familienmitglieder der Syndikatsangehörigen auf. Er bezeichnet sie als "the most painful decisions of our lives" (es erinnert an Opfer, die Göttern dargebracht werden), und erklärt, die Entführten seien den Kolonisten als eine Art Faustpfand übergeben worden, um im Gegenzug von den Kolonisten den außerirdischen Fötus zu erhalten, ohne den die Hybridisierungsexperimente nicht weitergeführt werden konnten. Die Entführten dienten als Testpersonen im Purity Control-Projekt, sollten aber, so die Vereinbarung, nach erfolgreichem Abschluss des Projekts als fertige Hybriden zu ihren Familien zurückgebracht werden ("we sent them so they would come back to us"). In der Regel wussten die Entführten nichts über diese Vereinbarung und die Verwicklung ihrer Familien in die Experimente.
Bill Mulder war einer der wenigen, wenn nicht sogar der einzige Gegner der Kooperationsvereinbarung, und wollte niemanden aus seiner Familie übergeben. Er lenkte schließlich ein, sorgte aber dafür, dass Samantha nicht wie die anderen für die Übergabe an die Kolonisten zur El Rico Air Force Base gebracht, sondern zuhause im Beisein ihres Bruders entführt wurde - möglicherweise in der Hoffnung, dass Fox später einmal alles tun wurde, um die Verschwörung aufzudecken. Hybriden und Klone von Samantha sind an verschiedenen Stellen in der Serie aufgetaucht; es ist durchaus wahrscheinlich, dass die anderen Hybriden und Klone auch von Familienmitgliedern des Syndikats abstammten.
Bill Mulders Bedingung, doch noch einzulenken, war, dass parallel zu den Hybridisierungsexperimenten an einer weiteren Immunisierungsmethode gearbeitet würde, der Entwicklung eines Impfstoffs, der nicht nur die Familien der Syndikatsmitglieder, sondern alle retten würde. Dieses Projekt musste vor den Kolonisten geheimgehalten werden. Seit "The Red and the Black" war Marita Covarrubias (die Mulder zuvor in Fort Marlene in einem furchtbaren Zustand aufgefunden hat) Versuchsperson dieses Projekts. Der Plan war, die Hybridisierungsexperimente zu verzögern, um Zeit für die eigentliche Hoffnung, den Impfstoff, zu erkaufen. Um dies zu erreichen, ging das Syndikat so weit, die eigene Arbeit zu zerstören, wenn sie zu erfolgreich zu werden drohte - wie beispielsweise die Versuche von Dr. Berube ("The Erlenmeyer Flask") und Dr. Ishimaru ("Nisei" / "731"). Gleichzeitig verzögerte man so die Kolonisierung, denn bevor nicht ein erfolgreicher Hybride existierte, konnten die Vorbereitungen für die Kolonisierung nicht abgeschlossen werden. Nun ist jedoch Cassandra Spender ein Erfolg, und für die Entwicklung eines Impfstoffs ist es zu spät. Der Raucher glaubt, er habe keine Wahl, als sie den Kolonisten zu übergeben, und die Kolonisierung beginnen zu lassen (tatsächlich bringt er es nicht fertig, Cassandra zu töten, obwohl diese ihn geradezu flehentlich darum bittet).
Aus den Gesprächen mit Mulder und Fowley geht klar hervor, dass der Raucher glaubt, das Richtige getan zu haben ("it was the right thing to do"). Er verteidigt alle Entscheidungen und zeigt anders als Bill Mulder vor seinem Tod keine Reue. Immer noch versucht er, mit dem Köder eines Wiedersehens mit Samantha, Mulder auf seine Seite zu ziehen.
Mulder steht hier vor derselben Wahl wie der Raucher und sein Vater, und er kommt dem Punkt, dieselbe Entscheidung zu treffen, gefährlich nahe. Als der Raucher ihn verlässt und Diana Fowley die Wohnung betritt, ist Mulder in eine fatalistische Haltung verfallen und glaubt, sein ganzer Kampf gegen das Syndikat sei sinnlos gewesen: "... something found me. Fate. Destiny. Whatever it's called when you... when you realize the choices you thought you had in life were already made." Es hat den Anschein, als sei er bereit, mit dem Syndikat an den Übergabeort zu reisen, und die Kolonisierung zu akzeptieren: "Because there's nothing to be done. And at some point, you just have to accept that the only way those you love are going to survive is if you give up." Er will Diana und Scully mit zum Übergabeort nehmen, aber es ist Scully, die sich widersetzt, und Cassandra vor der Übergabe bewahren will: "Mulder, I'm going there, whether you're coming or not." Es gelingt Scully, Mulder aus seinem Fatalismus zu reißen und sich ihr anzuschließen: "This may be our last chance to stop them."
Es wird an dieser Stelle wieder einmal deutlich, dass Mulder nicht der klassische Held der Heldenreise ist, denn als solcher hätte er diese Entscheidung treffen müssen, und zwar ohne "Nachhilfe" von Scully. Es gab schon früher in der Serie Szenen, in der Mulder drohte, vom Weg abzukommen, und Scully ihn wieder in die Spur brachte - vor allem in "Little Green Men" in Staffel 2, aber auch im "Redux"-Dreiteiler. In "Redux II" gibt es eine Szene an Scullys Krankenbett, an die mich diese Situation stark erinnerte: "I knew you'd talk me out of it if I was making a mistake." Genau dies ist hier geschehen, und zwar in der alles entscheidenden Situation, der wichtigsten vielleicht in der Serie überhaupt, als es darum geht, ob Mulder den Weg des Rauchers einschlägt oder nicht. Man kann schon mit guten Gründen argumentieren, dass Scully die eigentliche Heldin der Serie ist.
In der Zwischenzeit hat auch das Syndikat von Alex Krycek die Wahrheit über die Bedeutung Cassandras erfahren. Der Raucher setzt es durch, dass die Entscheidung zugunsten der Übergabe Cassandras an die Kolonisten fällt, stößt dabei aber auch auf wenig Widerstand. Sowohl er als auch die restlichen Syndikatsmitglieder begehen damit zum wiederholten Mal denselben Fehler und entscheiden sich, zugunsten ihrer eigenen Interessen die Menschheit der Kolonisierung zu überlassen. Der Raucher bringt es nicht über sich, Cassandra zu töten, obwohl sie ihn anfleht, oder sie zumindest anderweitig in Sicherheit zu bringen - und es kommt, wie es kommen muss: Die Rebellen entdecken Cassandra und benutzen sie als Druckmittel gegen das Syndikat. Mit der Entscheidung, weiter mit den Kolonisten zusammenzuarbeiten, hat das Syndikat sein Schicksal selbst besiegelt; es ist für die Rebellen nur ein Hindernis, das es zu beseitigen gilt. Als das Syndikat samt Anhang auf der El Rico Air Force Base eintrifft, stellt sich heraus, dass sie in eine Falle gelaufen sind: Empfangen werden sie dort nicht von den Kolonisten, sondern von den Rebellen, die sämtliche Anwesenden töten - lediglich der Raucher und Diana Fowley können rechtzeitig fliegen.
Auch den außerirdischen Fötus bringen die Rebellen in ihren Besitz. Damit sind sowohl die Hybridisierungsexperimente als auch Arbeiten an einem Impfstoff am Ende, und es gibt keine Möglichkeit mehr, ein neues Abkommen mit den Kolonisten auszuhandeln. Davon scheint selbst Krycek überrascht; falls er eine Übereinkunft mit den Rebellen hatte, war dies kein Bestandteil.
Für den Moment ist durch die Intervention der Rebellen die Kolonisierung abgewendet. Das Syndikat und die Familienmitglieder, die sich auf der El Rico Air Force Base eingefunden haben, sowie Cassandra Spender, sind alle tot. Überlebt haben nur der Raucher und Diana Fowley sowie Alex Krycek und Marita Covarrubias. Auch Jeffrey Spender blieb verschont; er hat durch die Ereignisse eine völlige Kehrtwende vollzogen und sich Mulder und Scully angeschlossen. Er quittiert seinen Job bei den X-Akten und setzt sich bei Kersh für die Wiedereinsetzung von Mulder und Scully ein. Für den Raucher ist dieser Verrat Jeffreys die ultimative Enttäuschung und gegen Ende der Episode schießt er auf Jeffrey - bezeichnenderweise sieht man nicht, was nach dem Schuss mit Jeffrey geschieht.
Auch in "One Son" gibt es wieder etliche Bezüge zu früheren Episoden, so tauchen in der Erzählung des Rauchers die Bienen aus "Herrenvolk", "Zero Sum" und "Fight The Future" wieder auf: "A state of emergency will be declared because of a massive outbreak of the alien virus delivered by bees". Die wöchentlichen Reisen Diana Fowleys nach Tunesien, auf die Scully hinweist, sind ein Bezug zum Aufenthaltsort Strugholds, der dort im Exil lebt; auch die MUFON-Frauen, die sie in Europa überwacht hat, sind aus früheren Episoden bekannt. Es gibt ein Wiedersehen mit dem Fötus aus "The Erlenmeyer Flask" und auch mit Marita Covarrubias. Insgesamt, würde ich sagen, sind die wichtigsten losen Handlungsfäden wieder aufgegriffen und ohne allzugroße Plotlöcher zusammengeführt worden - was angesichts des Tatbestands, dass für Akte X nie eine Series Bible oder ein Masterplan existiert hat, schon bemerkenswert ist. Da die Serie noch nicht zuende ist, sind noch einige Fragen offen. Vor allem ist immer noch nicht klar, was mit Samantha Mulder geschehen ist. Auch die Frage, wer Mulders (biologischer) Vater ist, ist nicht definitiv geklärt. Jedoch wurde mit der Vernichtung des größten Teils des Syndikats und dem Ende der Verschwörung ein wichtiges Kapitel der Geschichte abgeschlossen, und Raum für neue Entwicklungen geschaffen, was zu diesem Zeitpunkt, da die Mythologie immer undurchschaubarer wurde, vielleicht überfällig war.
Wenn man etwas kritisieren kann, dann ist es die weitgehende Beobachterrolle von Scully, vor allem aber von Mulder in diesen beiden entscheidenden Episoden. Für ein Heldenpärchen haben die beiden sehr wenig Einfluss auf die Geschehnisse. Scully gelingt es, Diana Fowleys Komplizenschaft mit dem Raucher zu enttarnen und den sich im Fatalismus verlierenden Mulder wieder in die Spur zu bringen. Beide scheitern jedoch im Versuch, Cassandra zu retten. Die Handelnden sind vor allem die Rebellen, und die Geschehnisse gehen über Mulders und Scullys Köpfe hinweg.
Rob Bowman, m.M.n. der beste Akte X-Regisseur, führte in dieser Episode die Regie, entsprechend gibt es wieder etliche großartig inszenierte Szenen. Vor allem die Rückblenden im Teaser zum ersten Treffen des Syndikats mit den Aliens, sind sehr gut gelungen: Die Szene, als der Raucher den Aliens eine zusammengefaltete US-Flagge zu Füßen legt, ist ein großartiges Bild. Die Charaktermomente funktionieren; Mulders Fatalismus, Cassandras Verzweiflung, Jeffreys schockierte Erkenntnis und seine Kehrtwende sind allesamt überzeugend gespielt. Die Zusammenkunft des Syndikats im Hangar, der Überfall dort durch die Rebellen und die Bilder der verbrannten Körper sind hervorragend inszeniert. Alles in allem wäre der Zweiteiler, vielleicht noch erweitert um die Beantwortung der offenen Fragen, auch ein ordentliches Serienfinale gewesen. Etwas Punktabzug gibt es für die Beifahrerrolle der beiden Agenten und die doch etwas gezwungen wirkenden Expositionsszenen. Ich vergebe gute fünf außerirdische Föten dafür.