Re: Akte X - Staffel 5 und Akte X - Der Film / Fight The Future




Alles zu Chris Carters Mystery-Serien Akte X, MillenniuM und The Lone Gunmen

Re: Akte X - Staffel 5 und Akte X - Der Film / Fight The Future

Beitragvon nevermore » Mo 29. Apr 2019, 19:52

In der fünften Staffel war Akte X auf dem Höhepunkt ihrer Popularität angelangt. Der erste Kinofilm "Fight The Future" war fertig gefilmt und sollte zwischen der fünften und der sechsten Staffel in die Kinos kommen. Das bedeutete für Akte X die ungewöhnliche Situation, dass man wusste, wie die fünfte Staffel enden musste, damit sie nicht den folgenden Kinofilm - dessen Handlung sich um die Geschehnisse nach Staffel 5 drehte - unterminiert. Dies und der Tatbestand, dass sich das neue Kern-Autorenteam nun eingespielt hatte, hatte zur Folge, dass die fünfte Staffel wieder konsistenter war als die durch den Umbruch hinter den Kulissen etwas an eine Achterbahnfahrt erinnernde Staffel 4.

Dennoch hat auch die fünfte Staffel ein paar experimentelle Folgen, allen voran Chris Carters "The Post-modern Prometheus". Ein sehr prominenter Gastautor ist auch vertreten: Stephen King steuerte mit "Chinga" ein Drehbuch bei.

Inhaltlich geht es in der ersten Hälfte vor allem um Mulders Verlust seines Glaubens im Anschluss an die Ereignisse in "Gethsemane" und Scullys Wiedergewinnen des ihren im Anschluss an ihre Krebserkrankung. In der zweiten Hälfte macht die Mythologie einen Riesensprung nach vorne, als man sehr viel mehr über die Aliens erfährt.

Mytharc-Episoden (kursiv die absolut unerlässlichen):

5X01: Redux
5X02: Redux II

5X03: Unusual Suspects
5X05: Christmas Carol
5X07: Emily
5X13: Patient X
5X14: The Red and the Black

5X15: Travelers
5X20: The End
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von Anzeige » Mo 29. Apr 2019, 19:52

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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » Mo 29. Apr 2019, 19:55

Folge 1, Staffel 5: "Redux (Teil 1) / Redux"

Drehbuch: Chris Carter
Regie: R. W. Goodwin



Zum Auftakt der fünften Staffel wird der Cliffhanger aus "Gethsemane" aufgelöst: Mulder hat mit Scullys Hilfe seinen eigenen Tod vorgetäuscht, um unerkannt ermitteln zu können. Indizien am Tatort deuten darauf hin, dass im FBI jemand an der Verschwörung beteiligt ist. Während Mulder unter falscher Identität ins Pentagon eindringt und ein Heilmittel für Scullys Krebs sucht, forscht Scully nach Beweisen für den Zusammenhang zwischen dem falschen Alienkörper und ihrer Krebserkrankung.

"All Lies Lead to the Truth" lautet die Tagline des zweiten Teils des Dreiteilers, "Redux", und sie bezieht sich auf das Lügengebäude, das Mulder und Scully nun ihrerseits aufbieten, um endlich die Wahrheit über die Hintergründe von Scullys Krebserkrankung aufzudecken. Die Zeile stammt aus einer Unterhaltung zwischen Scully und Skinner, nachdem dieser erfahren hat, dass Scully ihn, was die Identität der Leiche in Mulders Wohnung angeht, belogen hat. Wie die zu Beginn von "Redux" gezeigte Rückblende zeigt, war Mulder tatsächlich drauf und dran, sich mit seiner eigenen Waffe zu erschießen, erhielt aber noch einen Anruf von Kritschgau, der ihm mitteilte, dass seine Wohnung videoüberwacht wird. Mulder überraschte den Spion Ostelhoff in der Wohnung über der seinen, als der gerade versuchte, Beweismaterial zu vernichten, und erschoss ihn in der entstehenden Konfrontation. Ostelhoff hat für das Verteidigungsministerium gearbeitet und Mulder seit mindestens zwei Monaten überwacht. Nachdem Mulder Scully daraufhin überzeugt hat, seinen Tod vorzutäuschen, macht er sich mit Ostelhoffs Zugangskarte ins Verteidigungsministerum auf, um die Hintergründe der Geschehnisse zu ergründen.

Kritschgau, den er dort antrifft, enthüllt weitere Informationen über die Manöver der Regierung, um die Existenz Außerirdischer vorzutäuschen, und deren Hintergründe. Er bestätigt erneut, dass das Verteidigungsministerium medizinische Daten jedes US-Bürgers katalogisiert (das wissen wir schon aus "Paper Clip" und "Talitha Cumi/Herrenvolk"). Der Zweck ist nach Aussage von Kritschgau die Forschung an Biowaffen. Als Beispiel führt Kritschgau den Koreakrieg in den 1950ern an, in dem angeblich durch Aussetzen von infizierten Bienen und anderen Insekten unter Einsatz von US-Flugzeugen die koreanische Bevölkerung biologischen Waffen ausgesetzt wurde. Diese realhistorisch tatsächlich existierenden Anklagen seitens Nordkoreas und Chinas wurden nie verifiziert, es ist jedoch naheliegend, dass sie die Idee für die Experimente in "F. Emasculata" und "Zero Sum" lieferten. Auch im Irakkrieg, so Kritschgau, seien sowohl von Russland als auch den USA Biowaffen eingesetzt worden, die so weit entwickelt seien, dass sie praktisch unidentifzierbar waren.

Kritschgaus Forschungseinrichtung ist eine Abteilung des Verteidigungsministeriums und scheint sich ausschließlich mit Biowaffen zu beschäftigen. Mulder, der dank Osterloffs Zugangskarte in die geheimsten Sektionen eindringen kann, zu denen nicht einmal Kritschgau Zugang hat, findet dort Bahren mit Frauen, an denen experimentiert wird - ähnlich wie an Scully und anderen Entführten - sowie Körper außerirdischen Aussehens, die offensichtlich in der Einrichtung erzeugt wurden. Ein unterirdischer Durchgang führt von der Forschungseinrichtung ins Pentagon und zu dem riesigen Lager und Archiv, das schon im Pilotfilm und in "The Erlenmeyer Flask" zu sehen war. Dort findet er unter Scullys Namen archiviert eine Viole mit einer Flüssigkeit - das vermeintliche Heilmittel. Leider teilen ihm am Ende der Episode die Lone Gunmen mit, dass in der Viole nur entionisiertes Wasser ist.

In der Zwischenzeit untersucht Scully zusammen mit Dr. Vitagliano die Eisproben aus dem Yukon-Gletscher. Die von Vitagliano im Eis entdeckten Schimärenzellen treten mysteriöserweise in einer Nährlösung in die Anfangsstadien einer embryonalen Entwicklung ein. Ein Test, den Scully durchführt, ein Vergleich zwischen den in den Zellen enthaltenen Viren und ihrem eigenen Blut, an dem bei ihrer Entführung experimentiert wurde, ergibt eine Übereinstimmung der DNA. Dies bedeutet, das gentechnische Material, mit dem die Schimären erzeugt wurden und das, welches Scully injiziert wurde, ist ein und dasselbe. Dies ist der wissenschaftliche Beweis, mit dem Scully die Anhörung konfrontieren will. Ihr Verdacht, was die Mittelsperson im FBI angeht, fällt aufgrund der Telefonverbindungen von Ostelhoff auf Walter Skinner. Skinners Loyalitäten waren immer wieder in Zweifel, allerdings ist es nach "Zero Sum" recht unwahrscheinlich, dass Skinner zu Scullys Krebserkrankung beigetragen hat - ist er doch derjenige, der einen Deal mit dem Raucher einging, um ein Heilmittel dagegen zu erhalten. Davon weiß Scully aber möglicherweise nichts, und es besteht zumindest die Möglichkeit, dass Skinner mit Hilfe von Halb-Informationen instrumentalisiert wurde. In jedem Fall sorgt Scullys Verdacht für einige dramatische Szenen zwischen ihr und Skinner, und sie will in der Anhörung gerade Skinner als Verdächtigen nennen, als sie zusammenbricht.

Auch der Raucher hat in "Redux" wieder einen Auftritt. Dass die anderen Syndikatsmitglieder, u.a. der Grauhaarige, dem Raucher nicht hundertprozentig über den Weg trauen, hat sich schon in früheren Episoden angedeutet. In "Redux" nun stellt sich heraus, dass man ihn über die Überwachung von Mulder nicht informiert hat; dass der Grauhaarige nichts davon wusste, glaubt der Raucher ebensowenig wie ich. Auch auf die Familienverhältnisse gibt es wieder Hinweise. So sieht man, dass er zu trauern scheint, als er die Nachricht von Mulders (angeblichem) Tod erhält, und zum Grauhaarigen sagt er, er hätte Mulder "erschaffen" - ob sich das auf die vermutliche Vaterschaft bezieht oder etwas anderes, ist an dieser Stelle nicht ganz klar.
Es könnte auch sein, dass er von Mulders Tätigkeit bei den X-Akten redet; wie sich später in der Serie herausstellt, eröffnete Mulder zunächst mit Diana Fowley die X-Akten, die mit dem Raucher unter einer Decke steckte.
Auf jeden Fall stützt "Redux" wieder die Vermutung, dass der Raucher Mulder aus persönlichen Gründen schützt; die anderen Syndikatsmitglieder sehen Mulder eher als ein Ärgernis. Im Unterschied zu den anderen scheint der Raucher auch Zweifel an Mulders Tod zu haben. "I've never underestimated Mulder. I still don't." Gegen Ende der Episode erteilt er den Befehl, Mulder aus dem Pentagon entkommen zu lassen.

Der Titel "Redux" bezieht sich auf den Reset, der sich in "Gethsemane" schon andeutete und der in dieser Episode vollendet wird. Die Grundprämisse der Serie, dass intelligentes außerirdisches Leben auf der Erde anwesend ist, wird in "Redux" massiv in Frage gestellt. Wie um dies zu unterstreichen, werden Szenen, die eine Entsprechung im Pilotfilm haben, eingestreut, so z.B. Scullys Aussagen in Blevins Büro, vor allem aber die Aufnahmen im Lagerraum des Pentagons, der schon am Ende des Piloten zu sehen war - nur dass es diesmal Mulder ist und nicht der Raucher, der das riesige Lager besucht. Scullys Monolog am Ende von "Redux" schließlich fasst die Ereignisse der ersten vier Staffeln zusammen, ebenso wie die Schlussfolgerungen, die sie daraus zieht.

Der Reset ist auch das größte Problem von "Redux", das die Episode von "Gethsemane" geerbt hat. Dass Mulder die Geschichte von Kritschgau so einfach glaubt, ist nach wie vor nicht überzeugend für mich - ebenso, dass er drauf und dran war, wegen der Eröffnung, die Verschwörer hätten Scully seinetwegen zur Krebspatientin gemacht, Selbstmord zu begehen. Etwas merkwürdig fand ich auch, dass Osterloffs Zugangskarte ausreichte, um Mulder so einfach in diesen Hochsicherheitstrakt hineinspazieren zu lassen. Man sollte meinen, dass irgendwer der dortigen Wachleute die zugangsberechtigen Personen auch persönlich kennt - so viele sind es ja offenbar nicht.

Ansonsten fand ich die Episode eigentlich gut gelungen. Sie hat einige fantastische Szenen; vor allem die geheimen Laborräume in der militärischen Forschungseinrichtung mit den schwangeren Frauen und den vermeintlichen Außerirdischen sind eindringlich. Auch die Szenen mit Scully im Labor und ihre Konfrontationen mit Skinner haben mir gut gefallen, und Scullys Zusammenbruch am Ende - gleichzeitig der Cliffhanger - ist wirklich erschreckend. Überhaupt ist Gillian Anderson hier wieder sehr überzeugend. An der Inszenierung, die durch extrem viele Voice-Over-Monologe vor allem von Mulder und Scully gekennzeichnet ist, scheiden sich etwas die Geister. Ich fand die Schnittfolge der Monologe mit den Handlungen der beiden Agenten interessant und gut gelungen, insgesamt waren die Monologe aber vielleicht wirklich etwas zu viel. Insgesamt fand ich "Redux" besser als "Gethsemane" und gebe knappe fünf Schimärenzellen dafür.
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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » Mi 15. Mai 2019, 18:47

Folge 2, Staffel 5: "Redux (Teil 2) / Redux II"

Drehbuch: Chris Carter
Regie: Kim Manners



Scully wird nach ihrem Zusammenbruch in der FBI-Anhörung ins Krankenhaus gebracht, woraufhin Mulder aus der Deckung kommt, um sie zu besuchen. Von Skinner befragt sagt er diesem, dass es im FBI einen Verschwörer gibt, der für Scullys Krebserkrankung verantwortlich ist. Der Raucher gibt Mulder einen Tipp, was das Heilmittel für Scully angeht, bietet ihm einen Deal an, um ihn auf seine Seite zu ziehen, und arrangiert ein Treffen mit einer jungen Frau, von der er behauptet, dass sie Samantha ist. Scullys Krebs geht in Remission und der Raucher fällt einem Attentat zum Opfer.

"Redux II" nimmt den Handlungsfaden direkt dort wieder auf, wo "Redux" endete: Im Krankenhaus, wo Scully bewusstlos auf der Intensivstation liegt. Nicht nur in dieser Hinsicht erinnerte mich "Redux II" an die Staffel 2-Episode "One Breath", als Scully ebenfalls dem Tode nahe nach ihrer Entführung in einem Krankenhaus aufgefunden wurde, und Mulder in Versuchung gebracht wurde, sozusagen auf die "dunkle Seite" zu wechseln. War es dort vor allem X, der Mulder dazu bewegen wollte, Rache zu nehmen, so sind es hier Blevins und der Raucher, die ihn zum Verrat bewegen wollen, um die eigene Haut und/oder Scully zu retten.

Sektionschef Blevins, der mit dem Raucher unter einer Decke steckt, hat Beweise dafür, dass Mulder Ostelhoff erschossen hat, und bietet ihm einen Deal an, eine Mordanklage gegen ihn fallen zu lassen, wenn er dafür Skinner als den Verräter innerhalb des FBI benennt, der für Scullys Krankheit und die Kollaboration in der Täuschung der Öffentlichkeit durch falsche Alien-Leichen verantwortlich ist. In "Redux" hat es zeitweise den Anschein, Skinner sei in der Tat der Schuldige - Scully ist ja davon beinahe überzeugt - und auch als Zuschauer ist man im Zweifel, da zumindest nicht klar ist, was Skinner im Labor von Dr. Vitagliano wollte. Tatsächlich ist Blevins selber der Verbindungsmann des Syndikats im FBI, und Skinner ist das "Problem", von dem beim Anruf des Grauhaarigen die Rede war: Skinner hat von Mulder erfahren, dass jemand im FBI für Scullys Erkrankung mitverantwortlich ist, er erfuhr von Kritschgau von der Firma Roush Technologies, die Zahlungen an diesen leistete, und war bei den Anhörungen zum menschlichen Klonprojekt, um weitere Informationen zu sammeln. (Die Anhörungen haben wieder einmal einen realen Hintergrund; sie führten zum Human Cloning Prohibition Act, der Anfang 1998 von der US-Regierung verabschiedet wurde.) Roush Technologies ist eine Biotechnologie-Firma, die offiziell als Unternehmen auftritt, im Geheimen aber Projekte für das Syndikat durchführt. Wie Skinner herausfand, wurde nicht nur Kritschgau, sondern auch Blevins von ihr bezahlt. Blevins wollte Skinner daher aus dem Verkehr ziehen und Scullys Verdacht kam ihm gerade recht; als Scully ins Krankenhaus gebracht werden musste, versuchte er statt dessen Mulder mit der Mordanklage unter Druck zu setzen, damit der Skinner als den Verräter benennt. "Name Skinner and save myself?" Mulder durchschaut die Sache aber und benennt statt dessen vor der Anhörung Blevins selbst (auf eine reine Ahnung hin, wie er Skinner gesteht). Der reagiert daraufhin panisch und wird von einem Syndikatsbeauftragten erschossen.

Was den Raucher angeht, so ist dieser sichtlich stolz auf Mulders gelungene Finte mit dem vorgetäuschten Selbstmord und sein Eindringen ins Pentagon, und eröffnet dem Syndikatsvorsitzenden seine Pläne, was Mulder angeht. Die Arbeit Mulders an den X-Akten war für den Raucher eine Art Test; als Mulder ihn besteht, will der Raucher ihn auf die Seite des Syndikats ziehen. Der Grauhaarige, dessen Unmut der Raucher schon länger auf sich gezogen hat, wirkt wenig begeistert - er sieht Mulder eher als ein Ärgernis, wenn nicht gar eine Gefahr für ihre Pläne an. Er hat einen Attentäter angeheuert, den er nun anweist, mit seinem Auftrag "weiterzumachen" - ohne dass zunächst klar ist, was dieser Auftrag ist. Der Raucher macht sich dennoch an das Unternehmen, Mulders Mitarbeit zu gewinnen. Zunächst gibt er ihm den Hinweis auf den Chip, der in der Viole mit dem entionisierten Wasser aufbewahrt wird, und nach seiner Aussage das Heilmittel für Scullys Krebserkrankung ist. Die Aussage ist plausibel: Ein ähnlicher Chip wurde sowohl Scully als auch den entführten MUFON-Frauen bei ihrer Entführung implantiert; nachdem sie ihn entnehmen ließen, brach die Krebserkrankung aus. Es hat den Anschein, dass der Chip den Krebs-Auslöser kontrolliert. Anschließend arrangiert er ein Treffen mit einer jungen Frau, von der er behauptet, dass sie Mulders Schwester Samantha ist. Schließlich erzählt er Mulder, dass Kritschgaus Aussagen nicht der Wahrheit entsprechen, und bietet Mulder an, ihm diese Wahrheit zu offenbaren, wenn Mulder die Seiten wechselt: "Quit the FBI, come work for me. I can make your problems go away." Im Prinzip ist es ein ähnlicher Deal, wie er ihn Skinner angeboten hat - der aber von Mulder sofort abgelehnt wird ("No deal"). Für den Grauhaarigen und seinen Attentäter ist das offenbar der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt - der Attentäter erschießt den Raucher. Der Raucher hält ein Bild der Mulder-Kinder in der Hand, als er angeschossen auf dem Boden liegt. Nach Skinners Aussage ist der Raucher tot, allerdings wurde am Tatort nur jede Menge Blut, aber keine Leiche gefunden.
Schaut man sich die Reviews von damals an, glaubten die Leute wohl wirklich, dass der Raucher tot war. Heute wissen wir es besser - der Kerl hat mehr Leben als jede Katze.
Das Treffen mit der jungen Frau, die der Raucher als "Samantha" ausgibt, gibt einige Rätsel auf. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Frau nicht Samantha ist. Sie offenbart, dass sie sich an kaum etwas vor ihrer Entführung erinnern kann, und erzählt, dass sie nach einer kurzen Zeit des Aufenthalts in einer Pflegefamilie praktisch die ganze Zeit beim Raucher aufgewachsen ist, den sie als ihren "Vater" bezeichnet. Dieser hat ihr vorgegaukelt, dass er erst vor kurzem Mulder ausfindig machen konnte. Es ist völlig unklar, wer oder was "Samantha" ist - ein weiterer geklonter Hybrid, dem falsche Erinnerungen eingepflanzt wurden (dagegen spricht, dass sie behauptet, selber Kinder zu haben), ein anderes genetisches Experiment? Klar ist, dass sie durch etliche echte oder ihr fälschlich suggerierte Traumen gegangen ist. Als Mulder ihr vorschlägt, ihre Mutter zu besuchen, kann sie das emotional nicht verkraften; das ganze Treffen geht offensichtlich schon an die Grenze dessen, was sie ertragen kann. Am Ende fleht sie Mulder an, ihn gehen zu lassen, und der muss zusehen, wie seine so lange gesuchte tatsächliche oder vermeintliche Schwester mit dem Raucher wegfährt, ohne zu wissen, ob er sie jemals wieder sieht.

Mulder hat in dieser Episode somit zwei große Prüfungen seiner Integrität bestanden und mit dem Treffen mit "Samantha", die ihm gleich wieder weggenommen wurde, wurde ihm emotional noch einmal sehr zugesetzt. Das ist aber noch nicht alles, was er zu überstehen hat, denn da ist noch Scullys bevorstehender Krebstod und ihre Familie. War ihm in "One Breath" Scullys Schwester Melissa noch eine große Hilfe, so gilt das überhaupt nicht für ihren Bruder Bill. Bill kann Mulder nicht ausstehen und macht ihn für alles verantwortlich, was Melissa und Scully dank ihrer Verwicklung in Mulders Suche nach "grünen Männchen", wie er es ausdrückt, widerfahren ist. Dass Mulder eine Spur von Katastrophen hinter sich her zieht, kann man kaum bestreiten, aber Bills Anklage und vor allem sein Versuch, Scully den Chip auszureden - mit dem anscheinend alleinigen Grund, dass der von Mulder herbeigeschafft wurde - sind doch wieder ausgesprochen ärgerlich. Es ist jetzt nicht so, dass Mulder das absichtlich herbeigeführt hätte, oder eine willenlose Scully hinter sich hergezogen hätte, und er tut offensichtlich alles, was er kann, um Scully zu helfen. Bei allem verständlichen Ärger, Bill Scully ist bisher nicht als jemand aufgefallen, der sich ständig um Scully gekümmert hat und an ihrer Seite war.

Scully selber will den Chip ausprobieren, als aber weder der Chip noch die Behandlung des Krankenhauses anzuschlagen scheint, gibt es noch einmal eine sehr emotionale Szene, in der sie über ihren Mangel an Glauben reflektiert. Ein Priester wird daraufhin herbeigerufen, und Scully findet zu ihrem Glauben zurück. Als ihr Krebs schließlich in Remission geht, lässt die Episode offen, was dies bewirkt hat - der Chip, die ärztliche Behandlung, oder Scullys Rückkehr zum Glauben. "I don't think we'll ever know."

Auffallend im "Redux"-Zweiteiler (oder Dreiteiler, rechnet man das Staffel-4-Finale "Gethsemane" hinzu) sind die häufigen Bezüge zum Pilotfilm, vor allem auch mit der Figur Blevins, die seither praktisch nicht mehr zu sehen war. Er wurde daher mit einer Art "Reboot" verglichen: Mulder hat seinen Glauben an Außerirdische verloren, Scully hingegen hat ihren wiedergefunden. Sie belügt bewusst das FBI, um die Wahrheit über eine Verschwörung unter Beteiligung eines ihrer Vorgesetzten aufzudecken - eine Abkehr von der loyalen jungen Agentin aus dem Pilotfilm, wie sie größer nicht sein könnte. Die Partnerschaft beider Agenten geht gestärkt aus den Prüfungen hervor.

Hervorzuheben sind in "Redux II" die schauspielerischen Leistungen - beide Hauptdarsteller sind in Hochform. Mulders Zusammentreffen mit Skinner, dem Raucher, und Bill Scully sind gut inszeniert und von allen Beteiligten überzeugend gespielt. Dasselbe gilt für sein Treffen mit "Samantha",auch wenn mir völlig unklar ist, was es mit dieser jungen Frau auf sich hat.
m.W. wird das auch niemals aufgeklärt.
Auch Anderson war sehr überzeugend, vor allem in der Szene mit ihrer Mutter, als es um ihren verlorengegangenen Glauben geht. Was die Regie angeht, finde ich "Redux II" nicht auf demselben Niveau wie die anderen beiden Teile des Dreiteilers. Ich gebe insgesamt gute fünf zurückimplantierte Chips dafür.
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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » Fr 17. Mai 2019, 15:58

Folge 3, Staffel 5: "Die unüblichen Verdächtigen / Unusual Suspects"

Drehbuch: Vince Gilligan
Regie: Kim Manners



Im Jahr 1989 nehmen zwei Computerhacker und ein Regierungsangestellter an einer Computermesse in Baltimore teil. Einer von ihnen macht die Bekanntschaft einer mysteriösen Frau, die behauptet, auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Freund zu sein - der angeblich Mulder ist. Tatsächlich handelt es sich bei ihr um eine Wissenschaftlerin, die für die Regierung an Chemiewaffen gearbeitet hat, mit einem Regierungsgeheimnis geflüchtet ist und deshalb gesucht wird.

"Unusual Suspects" erzählt die Geschichte der Lone Gunmen, wie sie zusammenkamen und wie sie Mulder kennenlernten. Nicht nur in dieser Hinsicht hat die Episode Ähnlichkeiten mit "Musings Of A Cigarette Smoking Man", die die Geschichte des Rauchers erzählt - auch "Unusul Suspects" wird aus der Sicht eines der Protagonisten selbst, nämlich von Byers, erzählt, und zwar in einem Verhör, nachdem sie festgenommen wurden. Es ist wie auch in "Musings" somit nicht ganz klar, inwieweit die Geschichte der Wahrheit entspricht.

Auf der Computer and Electronics Show in Baltimore repräsentiert John Fitzgerald Byers (man erfährt, dass er nach John F. Kennedy getauft wurde) das Federal Communications Committee, Melvin Frohike ist für die Frohike Electronics Corp. dort und Ringo Langly für Langly Vision, die beide illegale Kabel-TV-Empfänger verkaufen wollen. Keiner der drei hat etwas mit Verschwörungstheorien mit Beteiligung der Regierung zu tun, am allerwenigsten Byers, der im Jahr 1989 einen noch "normaleren" Eindruck als später in der Serie macht. Trotzdem ist es gerade Byers, der die ganze Entwicklung auslöst, die zur Entstehung der Lone Gunmen führt. Auch Mulder ist 1989 ein ganz normaler FBI-Agent, ohne offensichtliches Interesse am Paranormalen oder an Verschwörungstheorien. (Interessant ist, dass diese Episode ein paar Wochen vor seiner Regressionshypnosesitzung spielt, aus der seine Erinnerungen an Samanthas Entführung stammen.)

Susanne Modeski, in die Byers sich da verguckt hat, arbeitete als Chemikerin für die Forschungsabteilung des Verteidigungsministeriums, und erfuhr dort, dass die Regierung plante, ein unter ihrer Mitwirkung entwickeltes Nervengas, das bereits in kleinen Dosen Angst und Paranoia auslöst, an amerikanischen Zivilisten zu testen. Als Mulder am Ende der Episode dem Gas (als EM-Gas bezeichnet, die Abkürzung steht für Ergotimene Histamine) nicht in kleinen, sondern in sehr großen Dosen ausgesetzt wird, fällt er in einen Schockzustand und halluziniert. Er nimmt das Aufräum-Team im Lagerhaus als Außerirdische mit verzerrten Stimmen wahr. Die Chemikalie, die in Baltimore getestet werden sollte, könnte Teil des im "Redux"-Dreiteilers von Michael Kritschgau erläuterten Vorgehens sein, Aliens als Coverstory für die geheimen Projekte des Verteidigungsministeriums zu verwenden. Es könnte auch Teil des bereits zuvor (siehe "Wetwired" in Staffel 3) erwähnten Project MK Ultra sein. Etwas unpraktisch erscheint jedoch die von Modeski behauptete Verteilungsmethode über Asthma-Zerstäuber, da hierbei nur Asthma-Kranke als Ziel in Frage kommen. Als Modeski von den Plänen, das Gas an ahnungslosen Zivilpersonen zu testen, erfuhr, kündigte sie - aber, so zumindest die von Byers erzählte Version der Geschichte, mit ihrem Wissen ließ man sie nicht einfach so gehen. Man leitete falsche Informationen an das FBI weiter und beschuldigte sie des Mordes an Labormitarbeitern, um sie zu diskreditieren und ihrer habhaft zu werden. Modeski floh, und hier kommt Mulder ins Spiel, der vom FBI mit ihrer Verfolgung und Festnahme beauftragt worden ist.

Dem gutgläubigen Byers (er schöpft nicht einmal Verdacht, als Modeskis angeblicher Vorname Holly "rein zufällig" identisch mit dem Namen des Herstellers ihres Kaffee-Zuckers ist) erzählt Modeski die herzzerreißende Story einer alleinerziehenden Mutter, deren kleines Kind von ihrem finsteren, psychopathischen Ex-Freund (angeblich der sie verfolgende Mulder) entführt worden ist. Als Byers Frohike und Langly rekrutiert, um sich auf Bitten Modeskis in verschiedene Regierungs-Datenbanken zu hacken und nach Informationen über den Verbleib ihrer Tochter zu suchen, stellt sich heraus, dass sie eine vom FBI gesuchte Mordverdächtige ist. Damit konfrontiert, erzählt Modeski den dreien die Geschichte von ihrer Flucht, zusammen mit einer Reihe von Verschwörungstheorien, u.a. über Abhörvorrichtungen in Hotelbibeln und das Attentat auf JFK. Einiges Gewicht verleiht ihren Anschuldigungen, dass in ihrem Backenzahn eine Abhörvorrichtung gefunden wird.

Mit der Überwachung des Tests an der Bevölkerung war niemand anderer als X beauftragt, mit dem es in "Unusual Suspects" ein Wiedersehen gibt: Er führt das Aufräum-Team an, das die Spuren des Giftgasunfalls im Lagerhaus vertuschen soll. Es ist interessant, dass Mulder, den X ebenso wie die Lone Gunmen verschont, schon damals auf dem Radar von X gewesen ist ("No one touches this man!"). Byers ist derjenige, der sich gegen X auflehnt, und von ihm wissen will, ob an Susannes Verschwörungstheorien etwas dran ist: "It's all true what Susanne said about you people, isn't it? About John F. Kennedy? Dallas?" - "I heard it was a lone gunman." Susanne wird schließlich gefasst und von X weggebracht, als sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gehen will. "Tell the truth. Reach as many people as you can with it. That's your weapon," ruft sie den Dreien noch zu. Das ist die Geburtsstunde des Newsletters "The Lone Gunman".

"Unusual Suspects" ist eine Geschichte über vier Männer, die Gunmen und Mulder, die durch ein zufälliges Ereignis zutiefst verändert wurden. Das gilt besonders für die bisher loyalen Regierungsangestellten Byers und Mulder, denen geradezu der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Durch die Erlebnisse mit Modeski sind sie nun überzeugt, dass die Regierung ihre Bürger ausspioniert und sie mit Drogen und psychologischer Manipulation kontrolliert. Im Hinblick auf Mulder ist interessant, dass er sich selbst nur sehr bruchstückhaft an die Ereignisse erinnert und sich auf die Erzählung der Lone Gunmen verlässt: "What I need from you guys is to tell me what the hell happened last night." Dieses Erlebnis, zusammen mit der Regressionshypnosesitzung eine Woche später, markiert den Wendepunkt in Mulders Karriere und in seinem Leben, als er vom Hoffnungsträger des FBI zu einem Außenseiter in einem Kellerbüro wurde. Das ist bemerkenswert, stammen doch die Informationen, die er über die Geschehnisse an diesem Tag hat, aus zweiter Hand und die Regressionshypnose ist ein umstrittenes Verfahren im Hinblick darauf, ob die Erinnerungen, die da zutage gefördert werden, authentisch sind. Hinzu kommt noch, dass nicht klar ist, ob er zum Zeitpunkt der Hypnose womöglich noch unter den Nachwirkungen des Nervengases litt.

"Unusual Suspects" ist damit nicht nur eine Geschichte über die Entstehung der Lone Gunmen und ihre Begegnung mit Mulder, sondern auch ein Kommentar über den Kern der X-Akten, die Verschwörungstheorien. Offensichtlich wird dies nicht nur in Susannes wilden Anschuldigungen über Hotelbibeln, die von der Regierung zum Abhören der Bürger benutzt werden, sondern vor allem, als der halluzinierende Mulder die Regierungsbeamten als Aliens sieht. Solche Experimente der Regierung haben eine reale Grundlage, das oben erwähnte Project MK Ultra ist nur ein Beispiel. Allerdings handelt es sich hier um relativ mondänen Machtmissbrauch, weit entfernt von einer Super-Verschwörung, wie sie Mulder und die Lone Gunmen in ihrer Theorie entwickeln. Während die Geschichte - sofern sie sich so ereignet hat - einen wahren Kern ihrer Verschwörungstheorie bestätigt, ist es durchaus möglich, dass sie von Mulder und Byers immer weiter ausgesponnen wurde, um mit dem Verlust von Samantha und Susanne besser fertigzuwerden und ihm irgendwie einen Sinn zu verleihen - und eine Hoffnung, die Verlorene wiederzufinden, wenn man nur "die Wahrheit" findet.

"Unusual Suspects" ist eine unterhaltsame Episode, die aber m.M.n. an das verwandte "Musings of a Cigarette Smoking Man" nicht herankommt. Die Folge versucht sich zwar in einer Art Metakommentar, bei dem es aber bei Andeutungen bleibt. Gefreut hat mich das Wiedersehen mit X - wenn auch etwas unplausibel ist, warum er nicht nur Mulder, sondern auch noch die Gunmen mit ihrem Wissen einfach so laufen lässt. Dass die Geschichte vielleicht nicht ganz ernst zu nehmen ist, darauf deutet auch der Titel hin: "Unusual Suspects" spielt auf den Film "The Usual Suspects" an, der 1995 erschien und in dem ein Kleinkrimineller in einem Verhör, in Form von Rückblenden, eine unerhörte Geschichte erzählt. Auch hier schenkt der Polizist dem Erzähler keinen Glauben und auch ansonsten ist "Unusual Suspects" teilweise an die Handlung von "The Usual Suspects" angelehnt. Letztlich lässt die Episode jedoch den Wahrheitsgehalt der Geschichte offen; ich hätte mir etwas mehr Hinweise gewünscht. So bleibt "Unusual Suspects" vor allem nette Unterhaltung, bei der deutlich mehr drin gewesen wäre. Ich gebe gute vier gezogene Backenzähne dafür.
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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » Sa 18. Mai 2019, 20:26

Folge 4, Staffel 5: "Vom Erdboden verschluckt / Detour"

Drehbuch: Frank Spotnitz
Regie: Brett Dowler



Mulder und Scully sind in Florida auf dem Weg zu einem Teambuilding-Seminar, als sie von einer Straßensperre aufgehalten werden: Die Polizei hält eine großangelegte Suchaktion nach zwei Vermessungstechnikern und einem Familienvater ab, die spurlos verschwunden sind. Im Waldboden werden Spuren gefunden, die weder als Mensch noch als Tier identifiziert werden können. Mulder ergreift die Gelegenheit, dem ungeliebten Seminar zu entkommen, und macht sich zusammen mit einer örtlichen Polizistin und einem Techniker auf, um die mysteriösen Angreifer aufzuspüren.

"Detour" ist zur Abwechslung einmal wieder eine konventionelle Monster of the Week-Episode, in der Mulder und Scully im Nirgendwo einem rätselhaften Wesen auf der Spur sind und infolgedessen in der Wildnis festsitzen. Die Episode hat etliche thematische und strukturelle Ähnlichkeiten mit der Staffel 3-Episode "Quagmire", vor allem auch, was die Charakterszenen betrifft.

Die Agenten sind mit zwei FBI-Kollegen im Auto auf dem Weg zu einem Teambuilding-Seminar und schon die Szenen im Auto sind herrlich. Das Agentenpaar Kinsley und Stonecypher könnte unterschiedlicher zu Mulder und Scully nicht sein. Sie sind der Prototyp des "normalen" Büro-FBI-lers, der garantiert nie mit Monstern, Verschwörungen oder gar Aliens konfrontiert wird. "Last year was something of a personal revelation. We were doing an exercise called team builders? Where we were given two minutes to build a tower out of ordinary office furniture." ... "When I stood on Mike’s shoulders and I put that electric pencil sharpener on top of the pile, we both knew, we could never have done it alone!" Mulder graut sichtlich vor dem Seminar, und als sie von einer Straßensperre aufgehalten werden, die die Polizei wegen einer Suchaktion errichtet hat, ergreift er sofort die Gelegenheit, um aus der Sache herauszukommen. Seiner Meinung nach brauchen er und Scully kein Teambuilding-Seminar: "We have communication like that, unspoken. You know what I’m thinking." Als er erfährt, dass nach drei Menschen gesucht wird, flüchtet er sich geradezu in den Wald und Scully läuft ihm sichtlich amüsiert hinterher.

Die örtliche Polizistin Michelle kann die Spuren im Waldboden nicht als menschlichen oder tierischen Ursprungs identifizieren: Die Form der Zehen deuten auf einen Menschen hin, aber das Wesen bewegt sich ausschließlich auf den Fußballen. Dieselben Spuren finden sich im Haus des verschwundenen Familienvaters, und sein Sohn berichtet von einer Kreatur mit glühend roten Augen, die ihn verfolgt habe. Mulder vermutet zunächst, dass es sich um Mothmen handelt, ein Fabelwesen mit roten Augen, das angeblich in den 1960ern in West Virginia gesichtet wurde. Als sie sich mit Michelle und dem Techniker Jeff mit einer Infrarot-Wärmekamera in den Wald aufmachen, wird die Gruppe bald getrennt. Man muss sagen, dass sich die Agenten hier durchaus etwas tölpelhaft anstellen; die Monster sind offensichtlich intelligent und Mulder war ihre Strategie schon nach dem Bericht des Jungen klar: "Divide and conquer. If your enemy has greater numbers than you, you divide and conquer it to diminish those numbers." Trotzdem tappen sie praktisch bei der ersten Gelegenheit in die Falle und verlieren erst Michelle und dann Jeff, die beide in Sekundenbruchteilen auf unerklärliche Weise buchstäblich spurlos im Waldboden verschwinden.

Mulder und Scully sind nun in einer äußerst misslichen Lage, in die sie sich selbst gebracht haben (oder genauer gesagt, Mulder hat sie in diese Lage gebracht). "We weren't prepared for this. We have no way of telling them where we are. We don't have any food. Michelle had our only water." Ohne Vorräte oder Ausrüstung und mit kaum noch Munition müssen Mulder und Scully nun die Nacht im Wald verbringen. Es sind vor allem diese Szenen im Wald, die an "Quagmire" und die legendäre Konversation auf dem Felsen erinnern, als die beiden über Scullys Krebs, den Tod und die Flintstones reflektieren. Absolut herrlich ist die Szene, als Scully dann für den verletzten Mulder - grottenfalsch! - "Jeremiah was a bullfrog" als "Schlaflied" singt.

Am nächsten Morgen dann kommt es zur direkten Begegnung mit den Kreaturen, als Scully durch ein Loch in eine unterirdische Kammer fällt, wo sie die schwerverletzte Michelle und den Familienvater sowie weitere teils noch lebende, teils schon verstorbene Opfer finden. Um aus der Höhle wieder herauskommen, versuchen sie und der in das Loch gesprungene Mulder, einen Turm aus Leichen zu errichten: "Too bad we don’t have any office furniture." Wer sie rettet, sind jedoch ausgerechnet die Agenten Kinsley und Stonecypher, die es besser gemacht haben als Mulder und Scully: Sie stellten ein Suchteam zusammen, um ihre verschwundenen Kollegen ausfindig zu machen. Man kann sich zurecht fragen, welches Agenten-Pärchen nun die unbedarften Naivlinge sind.

Wieder in der Zivilisation angekommen theoretisiert Mulder, es handle sich bei den Monstern um Nachkommen des Teams des spanischen Entdeckers Juan Ponce de León, der 1513 erstmals Florida erkundete. Mulder schließt dies aus den Worten "ad noctum" (lateinisch für "in die Dunkelheit"), die in der Höhle eingraviert waren und vor Jahrhunderten von spanischen Entdeckern als Warnung verwendet worden waren. Der Legende zufolge haben die Entdecker in Florida nach dem Jungbrunnen ("Fountain of Youth") gesucht; ein Schild am Waldrand weist darauf hin. Mulder glaubt, dass die Kreaturen sich in den knapp 500 Jahren, die seitdem vergangen sind, so perfekt an die Umgebung angepasst haben, dass sie eine nahezu vollkommene Tarnung entwickelt haben. Wie Jeanne Cavelos in ihrem "Science"-Buch schreibt, ist ein solcher Entwicklungssprung rein biologisch gesehen kaum vorstellbar, selbst wenn man Evolutionstheorien des punktierten Gleichgewichts zugrunde legt.

"Detour" erzählt eine recht unterhaltsame Geschichte, lebt aber letztlich vor allem von der eindrucksvollen Inszenierung mit vielen schönen Bildern, den Charakterszenen mit Mulder und Scully und dem für solche Episoden typischen Humor. Die Szenen zu Beginn im Auto mit den Agenten Kinsley und Stonecypher, im Motel sowie natürlich das Nachtlager im Wald sind hier hervorzuheben. Die Landschaftsaufnahmen sind wunderbar, wenn auch erkennbar Vancouver nicht Florida ist. Besonders gut gelungen ist die Inszenierung der Monster. Dies beginnt schon im Teaser, als man nur zwei rote Augen in einem anscheinend im Waldboden vergrabenen Gesicht sieht, und auch die Spezialeffekte, die die unsichtbaren Monster nur andeuten, sind sehr gut umgesetzt. Der in Momenten der Gefahr vollkommen still werdende Wald ist ein gelungenes Stilmittel, mit dem Atmosphäre und Spannung erzeugt werden. Absolut großartig ist dann die letzte Aufnahme mit den roten Augen unter dem Bett im Motelzimmer, das Scully eben erst verlassen hat. Insgesamt fehlt "Detour" jedoch etwas der Tiefgang des offensichtlichen Vorbilds "Quagmire". Ich vergebe knappe fünf Teambuilding-Seminare dafür.
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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » Mo 20. Mai 2019, 19:19

Folge 5, Staffel 5: "Der Große Mutato / The Post-Modern Prometheus"

Drehbuch: Chris Carter
Regie: Chris Carter



Mulder wird von einer Frau herbeigerufen, die behauptet, des Nachts von einem gräßlich entstellten Monster heimgesucht worden und daraufhin schwanger geworden zu sein, obwohl sie sich hat sterilisieren lassen. Sie erzählt, bereits vor 18 Jahren sei ihr Ähnliches widerfahren, woraufhin ihr Sohn zur Welt gekommen sei. Scully hält die Frau für eine Schwindlerin; ein von ihrem Sohn gezeichnetes Comic über ein Monster, das der Beschreibung entspricht, scheint dies zu bestätigen. Bei einer nächtlichen Suche ereignen sich jedoch merkwürdige Dinge, und die Agenten machen die Bekanntschaft eines Wissenschaftlers, der geheime genetische Experimente durchführt.

"The Post-Modern Prometheus" ist Chris Carters Hommage an seinen Lieblingsroman "Frankenstein" inklusive seiner ersten Verfilmung durch John Whale (1931) und eine der originellsten und experimentellsten Akte X-Folgen überhaupt. Ganz in schwarz-weiß gedreht und nach dem Untertitel von Mary Shelleys Roman "Frankenstein - The Modern Prometheus" benannt, öffnet und schließt die Episode mit dem Cover eines Comic-Books, und verdeutlicht so gleich zu Beginn, dass sie keine "normale" Akte-X-Folge, sondern eine Art Meta-Fiction ist. Ähnliche Ansätze gab es schon früher, mit Episoden, die die Technik des verrückten bzw. unzuverlässigen Erzählers verwendeten ("José Chung's 'From Outer Space'", "Musings of a Cigarette Smoking Man", und zuletzt "Unusual Suspects"). Anders als in diesen Folgen lässt "The Post-Modern Prometheus" aber keine Fragen offen, wieviel von der Geschichte der Wahrheit entspricht, sondern es ist klar, dass es quasi die Verfilmung eines Comics über einen Akte X-Fall ist.

Mulder und Scully wurden in eine Kleinstadt gerufen (anders als sonst in Akte X wird kein Ort angegeben, es heißt im ersten Bild des Comics "somewhere in the land, a monster lurked"); eine Frau, Shaineh Berkowitz, hat in ihrem Haus mitten in der Nacht eine Art Monster gesehen, wurde ohnmächtig, und als sie drei Tage später zu sich kam, stellte sich heraus, dass sie schwanger ist. Wie Mrs Berkowitz erzählt, ist ihr dasselbe vor 18 Jahren schon einmal passiert, das Resultat war ihr Sohn Izzy, der Autor des Comics "The Great Mutato" ist. Eigentlich sollte Mrs Berkowitz gar nicht in der Lage sein, Kinder zu bekommen, denn nach der Geburt von Izzy hat sie sich sterilisieren lassen. Im Zimmer von Izzy findet Scully das Comic-Book mit der von Izzy geschaffenen Figur des "Great Mutato", der genauso aussieht, wie der Eindringling, den seine Mutter beschreibt. Izzy besteht darauf, dass das Monster wirklich existiert und des Nachts in dem kleinen Ort sein Unwesen treibt. Als sich die Agenten zusammen mit Izzy in der Nacht auf die Suche machen, begegnen sie einem alten Mann, der ihnen sagt, es gäbe kein Monster, außer einem Wissenschaftler, der Dr. Pollidori heißt.

Dr. Pollidori, der hier quasi die Rolle des Victor Frankenstein innehat, ist der klassische verrückte Wissenschaftler, dem seine Arbeit über seine Familie geht und der als Nobelpreisträger in die Geschichte eingehen will. Er führt genetische Experimente an Fruchtfliegen durch, wobei er eine Gruppe von Genen, die für die Entwicklung verantwortlich sind (die sog. homöotischen Hox-Gene) derart manipuliert, dass beispielsweise einer Fliege ein zusätzliches Paar Beine aus dem Mund wächst. Als Mulder ihn fragt, warum er das tut, antwortet Pollidori, "because I can." Auf die Frage, ob solche Experimente auch an Menschen möglich seien, antwortet er, dies sei theoretisch möglich, würde aber gegen wissenschaftliche Grundsätze verstoßen. Es stellt sich jedoch heraus, dass Pollidori jedoch genau das getan hat, und der Mutato ist das Ergebnis eines solchen Experiments.

Pollidori bezeichnet den Mutato als einen großen Fehler, sein Vater jedoch, der alte Bauer, dem die Agenten zuvor begegnet sind, nahm den von Pollidori verstoßenen Mutato in seine Obhut, zog ihn im Verborgenen liebevoll auf, und als der Mutato älter und immer einsamer wurde, versuchte er, für ihn eine Gefährtin zu erschaffen. Er ahmte die Experimente Pollidoris nach und versuchte, mit Hilfe von Keimzellen seiner Farmtiere, die er den Frauen in der Stadt einpflanzte, Hybriden zu erschaffen. Die Experimente scheiterten; es entstand kein zweiter Mutato oder eine weibliche Mutato, sondern statt dessen Kinder, die Hühnern, Pferden, Ziegen etc. ähnlich sahen (dass dies die Gemeindebewohner sind, wird nicht ausgesprochen, sondern nur mit Bildern impliziert). Als Pollidori dahinter kommt, was sein Vater tut, tötet er ihn und man sieht einen weinenden Mutato den alten Mann begraben. Des Mordes verdächtigt wird nicht Pollidori, sondern der Mutato, der dann vor die aufgebrachte Gemeinde tritt, die ihn lynchen will, um seine Geschichte zu erzählen.

Wie auch sein Vorbild, Frankensteins Kreatur, ist der "Große Mutato" nur äußerlich ein Monster, in seinem Inneren jedoch ein sensibles und intelligentes Wesen. Er liebt Erdnussbutter-Sandwiches und bildet sich - auch hier die Parallele zu Frankensteins Kreatur - durch Bücher, Schallplatten und andere Medien weiter, die er in den Häusern der Opfer seines Großvaters findet. Wegen ihrer Rolle im Film "The Mask", in dem sie eine liebevolle Mutter eines entstellten Jungen spielt, wird der Mutato zu einem Fan von Cher, zu deren Musik man ihn tanzen sieht.

Die Geschichte endet damit, dass Dr Pollidori für den Mord an seinem Vater verhaftet wird und ebenso der sich schuldig bekennende Mutato für Komplizenschaft in den Verbrechen des ermordeten alten Bauers, der im Versuch, für den Mutato eine Gefährtin zu erschaffen, unzählige Frauen in der Nacht überfiel und künstlich mit seinen Hybridenexperimenten schwängerte. Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.

Mulder, und damit begibt sich die Episode in ihrem vielleicht originellsten Twist wieder auf die Ebene der Meta-Fiction, passt dieses Ende überhaupt nicht: "This is all wrong, Scully. This is not how the story is supposed to end." - "What do you mean? " - "Dr. Frankenstein pays for his evil ambitions, yes. But the monster’s supposed to escape to go search for his bride." Scully sagt ihm, in dieser Geschichte werde es kein Braut für das Monster geben. Mulder will das nicht hinnehmen: "Well, where’s the writer? I want to speak to the writer!" Und der Autor Izzy tritt durch die Tür. Die Episode verlässt an dieser Stelle ihre eigene fiktive Realität und ersetzt sie durch eine, die von Izzy auf Mulders Verlangen umgeschrieben wurde: Mulder und Scully fahren den Mutato nicht ins Gefängnis, sondern besuchen mit ihm und den anderen Gemeindemitgliedern ein Konzert mit Cher, wo man den Mutato mit Cher und Mulder mit Scully tanzen sieht. Ein Happy-End, mit dem Nachteil, dass nichts von dem, was die Episode nach Mulders Forderung nach einem anderen Ende der Geschichte zeigt, in der fiktiven Realität wirklich passiert. Mulder und Scully werden zu einem Comic-Bild, bevor das Comic-Book wieder zugeklappt wird.

Man könnte über diese Episode endlos philosophieren, über tatsächliche und fiktive Realitäten und Meta-Realitäten innerhalb derselben, und über Mulders Wunsch, die Realität umzuschreiben (passend dazu das Zitat früher in der Episode: "Common sense alone will tell you that these legends, these unverified rumors are ridiculous." - "But nonetheless, unverifiable, and therefore true in the sense that they’re believed to be true." - "Is there anything that you don’t believe in, Mulder?"). Es kann nur Mulder sein, der diesen Wunsch äußert, die tatsächlichen Geschehnisse mögen umgeschrieben werden, weil die Realität so nicht geschehen soll. Man kann mutmaßen, wie oft die Figur Mulder seinem Schöpfer Carter mit derartigen Wünschen, die Geschichte doch umzuschreiben, in Gedanken oder Träumen erschienen ist. Oder ob Mulder, der Außenseiter, der ähnlich einsam war wie das Monster, bis Scully in sein Leben trat, Parallelen zwischen sich und dem Monster sieht und ihm deshalb so sehnlich eine Gefährtin wünscht. Die Episode versäumt auch nicht, den Kontakt zur Mythologie der Serie zu halten - mit künstlich erzeugten Hybriden, fehlgeschlagenen Experimenten, unfruchtbaren Frauen, die trotzdem schwanger werden und merkwürdige Babies zu Welt bringen und fragen: "What's not to love?"
Bereits im folgenden "Emily"-Zweiteiler wird sich Scully in einer ähnlichen Rolle wiederfinden.

Was die Inszenierung angeht, ist "The Post-Modern Prometheus" eine höchst kreative und - für eine Prime Time TV-Show - auch mutige Episode, die Referenzen zum Vorbild "Frankenstein" und anderen klassischen Horrorfilmen mit solchen zu Comics auf originelle Weise verschmilzt. Nicht nur im Hinblick auf die Inszenierung in Schwarz-Weiß lehnt sich die Optik an klassische Horrorfilme an; immer wieder gibt es Unwetter mit viel Donner und Blitz, teilweise bis zum Komödiantischen überzeichnet (auch hier wieder die Anklänge an ein Comic-Book) und selbst der Ton scheint an Filme aus den 30ern angelehnt. Referenzen zu anderen Akte-X-Regisseuren gibt es auch: Der Teaser erinnert stark an die Eingangssequenz der Staffel 4-Episode "Home". Es gibt auch über die eigentliche Handlung hinausgehend in Details unzählige Referenzen sowohl an "Frankenstein" als auch andere Horrorfilme; so ist beispielsweise Dr. Pollidori nach dem Leibarzt von Lord Byron benannt, der Mary Shelleys Autorenzirkel angehörte und seine Frau Elizabeth nach der gleichnamigen Frau Victor Frankensteins. Ebenso wie Frankenstein fährt Pollidori zu einer Konferenz an die Universität Ingolstadt; auch in bestimmten Szenen zeigen sich Ähnlichkeiten und werden bekannte Momente aus John Whales Film zitiert. Mulders "It's alive!" und der mit Fackeln ausgestattete, aufgebrachte Mob, der den Mutato verfolgt, sind dabei nur die Offensichtlichsten.

Es gibt eine Reihe weiterer großartig inszenierter Szenen, so der Mord an dem alten Mann und sein Begräbnis, die Offenbarung des Mutato gegenüber der aufgebrachten Gemeinde, und natürlich am Ende das Konzert mit Cher (die leider nicht persönlich an der Episode teilnahm, was die Sängerin den Produktionsnotizen zufolge später sehr bereute). Die verschiedentlich zu lesende Kritik, die Charaktere, insbesondere Pollidori und die Stadtbewohner, seien eindimensional und ähnelten Karikaturen, geht m.E. völlig an der Sache vorbei, da ein wesentliches Element der Folge gerade darin besteht, dass sie ein verfilmter Comic ist. Die Charaktere wirken nicht wie Leute aus dem Jahr 1995, sondern erinnern in Kleidung, Frisur und Auftreten eher an Menschen aus den 1950er, vielleicht sogar 1930er Jahren. Auch musikalisch ist "The Post-Modern Prometheus" außergewöhnlich gut gelungen. Ob es das karnevalesk-klingende Hauptthema im Walzertakt ist, die melancholische Musik vor dem Tod des alten Mannes und als der Mutato seine Leiche findet und begräbt, oder die an passenden Stellen eingestreuten Songs von Cher, Mark Snows Kompositionen sind ebenso originell wie die Inszenierung der Episode selbst, treffen deren Ton perfekt und sorgen für eine unverwechselbare Atmosphäre.

"The Post-Modern Prometheus" wurde für sieben Emmys nominiert, darunter für das Drehbuch und die Regie. Aber nicht nur Chris Carter, der in dieser Episode für beides verantwortlich zeichnet, sondern das gesamte Team haben sich hier selbst übertroffen und eine unvergessliche Episode geschaffen. Für mich ist "The Post-Modern Prometheus" ein Top-Kandidat für die beste Akte X-Episode überhaupt. Ich vergebe sieben von sechs Erdnussbutter-Sandwiches dafür.
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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » Di 21. Mai 2019, 18:43

Folge 6, Staffel 5: "Emily (Teil 1) / A Christmas Carol"

Drehbuch: Vince Gilligan, John Shiban & Frank Spotnitz
Regie: Peter Markle



Scully, die für die Weihnachtsfeiertage zu ihrer Familie gefahren ist, erhält einen mysteriösen Anruf: Eine Frau, die sich wie ihre verstorbene Schwester anhört, fordert sie auf, jemandem zu helfen. Die Rückverfolgung des Anrufs führt Scully zu einem Tatort, an dem sich anscheinend eine Frau das Leben genommen hat - aber es gibt Ungereimtheiten, die Scully zweifeln lassen, ob die Frau nicht ermordet worden ist. Die adoptierte kleine Tochter der Familie hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Scullys Schwester, und ein genetischer Test liefert ein erstaunliches Ergebnis.

"A Christmas Carol" ist nach Charles Dickens berühmter Weihnachtsgeschichte benannt, in der der Geldverleiher Scrooge am Weihnachtsabend Besuch von mehreren Geistern erhält, die ihn dazu bringen, sein Leben zu ändern. Drehbuchautor John Shiban zufolge waren die Autoren von der 1951-er Film-Adaption mit Alastair Sim inspiriert - die Familie Sim ist nach dem Hauptdarsteller benannt. Der "Emily"-Zweiteiler, dessen erster Teil "A Christmas Carol" ist, weist eine gewisse Verwandtschaft mit dem "Tempus Fugit"-Zweiteiler auf, in dem es ebenfalls um die Auswirkungen der Verschwörung auf persönliche Schicksale geht. Im Mittelpunkt steht hier Scully und erstmals eines der Kinder, das Resultat der Experimente ist, nämlich die kleine Emily.

Scully ist eigentlich im Weihnachtsurlaub, die ganze Familie trifft sich im Haus ihres Bruders Bill und seiner hochschwangeren Frau. Kaum angekommen, erhält Scully einen anonymen Anruf; eine Frau, die ihren Namen nicht nennt, sich aber anhört wie Scullys verstorbene Schwester Melissa, drängt sie: "She needs your help. She needs you, Dana." Als Scully den Anruf zurückverfolgen lässt, führt sie die Spur zum Haushalt der Sims, wo sich bereits die örtliche Polizei aufhält: Roberta Sim wurde tot und mit aufgeschnittenen Pulsadern in ihrer Badewanne aufgefunden, es sieht aus wie ein Selbstmord. Als Scully der Sache nachgeht, findet sie jedoch zahlreiche Ungereimtheiten. In einer von ihr durchgeführten Autopsie findet sie Hinweise, dass Mrs Sim ermordet wurde. Der nach weiteren Ermittlungen als Mordverdächtiger festgenommene Ehemann wird kurz darauf ebenfalls im Gefängnis tot aufgefunden.

Der Grund für Scullys Interesse an dem Fall ist die adoptierte Tochter des Ehepaars, Emily, die Kindheitsfotos von Melissa Scully zum Verwechseln ähnlich sieht. Ein erster DNA-Test zeigt eine hohe DNA-Übereinstimmung, was Scully zu der Vermutung führt, dass Emily Melissas Tochter ist. Sie initiiert ein Adoptionsverfahren für das Mädchen - und schließlich kommt ein weiterer, genauerer DNA-Test zu dem Ergebnis, dass Emily nicht Melissas, sondern Scullys Tochter ist. Bei den Ermittlungen stellt sich außerdem heraus, dass Emily sehr krank ist - eine Blutkrankheit, die ihr behandelnder Arzt Dr. Calderon als "eine seltene Form einer autoimmunhämolytischen Anämie" bezeichnet - und sich in einer experimentellen Spezialbehandlung befindet. Ihre Mutter Roberta Sim war gegen diese experimentelle Behandlung, und wollte das Mädchen aus dem Programm nehmen, während der Vater die Behandlung unterstützte. Um Mrs Sim bei der Stange zu halten, zahlte das beteiligte Pharmaunternehmen regelmäßig hohe Kompensationen an Mrs Sim. Emilys Behandlung war offenbar ein großer Streitpunkt im Hause Sim; die lautstarken Streitereien veranlassten die Nachbarn sogar zumindest einmal dazu, die Polizei herbeizurufen. Klar ist, dass der behandelnde Arzt Dr. Calderon die Experimente unbedingt weiterführen wollte: "Emily is a very special case, we were lucky to find her." Was genau es mit der experimentellen Behandlung auf sich hat, erfährt man im ersten Teil dieses Zweiteilers nicht. Die Situation eskaliert schließlich soweit, dass man sich entschließt, Mrs Sim zu beseitigen und ihren Selbstmord inszeniert. Als dann im Gefängnis Mr Sim den Mord an seiner Frau gesteht (wahrscheinlicher ist, dass die für die Experimente an Emily Verantwortlichen Mrs Sim umgebracht haben), wird auch er getötet (möglicherweise war bereits das Geständnis selbst inszeniert). Wäre Scully nicht dazwischen gekommen mit ihren Adoptionsabsichten, dann wäre Emily vermutlich in ein Waisenhaus oder zu einer anderen Familie gebracht worden, und die Experimente hätten ungehindert fortgesetzt werden können.

Die Ereignisse um die mysteriösen Anrufe von ihrer verstorbenen Schwester und um Emily versetzen Scully in eine Rolle, die man normalerweise von Mulder kennt: Scully glaubt daran, dass es mit den unerklärlichen Anrufen etwas auf sich hat und wird völlig von der Aufklärung der Geschehnisse in Anspruch genommen, obwohl sie eigentlich in den Weihnachtsferien ist. Da sie diese im Haus ihres Bruders verbringt, muss sie sich nicht nur mit dem Fall und seinen ganzen verstörenden Begleiterscheinungen auseinandersetzen, sondern sich auch noch ständig den Verhörsversuchen ihrer wieder einmal unmöglich intervenierenden Familie erwehren. Mrs Scully hört ihrer Tochter überhaupt nicht wirklich zu, und schiebt nur alles auf Melissas Tod, selbst nachdem sie über die Resultate des DNA-Tests aufgeklärt wurde. Besonders aber ihr Bruder Bill, der nach dem Tod des Vaters anscheinend zu so etwas wie einem Ersatz-Familienoberhaupt avanciert ist, tut sich wieder durch seine patronisierende Art hervor, und man wünscht sich, Dana würde ihm endlich einmal sagen, er solle sich aus ihrem Leben heraushalten. Dass Scully diesmal in der Position ist, unerklärliche Telefonanrufe ihrer verstorbenen Schwester empfangen zu haben, macht es ihr nicht einfacher. Bill macht ihr offen Vorwürfe und setzt sie unter Druck, dass sie mehr Zeit mit der Familie verbringt, und hat für Scullys Gefühle überhaupt kein Verständnis. Hilfreich ist das alles nicht. Überhaupt hat Scully in "A Christmas Carol" ziemlich mit männlichen Autoritätsfiguren zu kämpfen; neben Bill sind da noch die Polizisten, die sie auf herablassende Weise abzuwimmeln versuchen, ein alter Gerichtsmediziner, und Dr. Calderon selbst.

Die Ereignisse in "A Christmas Carol" verschaffen dem Zuschauer Zugang zu den Gedanken der normalerweise diesbezüglich verschlossenen Scully ("ever since I was a child, I’ve never allowed myself to get too close to people") über ihr persönliches Leben, und darüber, was sie für ihre Arbeit an den X-Akten aufgegeben hat. Besonders die Szene mit der Adoptionsbetreuerin - die der Idee einer Adoption nicht gerade positiv gegenübersteht - ist aufschlussreich. Die Betreuerin weist Scully auf ihren anspruchsvollen und auch gefährlichen Beruf hin, und darauf, dass Emily aufgrund ihres Gesundheitszustands mehr Betreuung benötigt als ein gewöhnliches Kind. Ob Scully bereit sei, dieses Opfer zu bringen? "I mean, to be honest, I've started to question my priorities since I was first diagnosed with cancer. I feel like I was given a second chance." Ich weiß nicht genau, was Scully damit meint - dass sie für Emily ihren Job aufgeben will? Die vielzitierte "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" halte ich in Scullys Fall für vollkommen illusorisch. Das ist schwer genug für verheiratete Frauen mit einem normalen Beruf und gesunden Kindern; für Alleinstehende ist es nochmals schwieriger. Für eine Frau mit einem Beruf wie Scully, und mit einem Kind wie Emily, halte ich es für praktisch unmöglich, sogar für verantwortungslos gegenüber dem Kind. Was ist, wenn Scully wieder einmal in eine Situation gerät, in der sie tagelang, wenn nicht wochenlang aus dem Verkehr gezogen ist? m.M.n. ist so eine Adoption nur möglich, wenn sie ihre Arbeit an den X-Akten aufgibt und entweder ganz aufhört zu arbeiten oder zumindest einen "normalen" 9 to 5-Job annimmt. Scully wird sich entscheiden müssen - entweder die X-Akten oder Emily.

"A Christmas Carol" ist eine sehr emotionale und völlig auf Scully fokussierte Episode, die sie an einen Scheidepunkt ihres Lebens führt. Die Rolle der Geister, die in Dickens Weihnachtsgeschichte Scrooge heimsuchten, nimmt hier Melissa ein, die anscheinend aus dem Jenseits zu Scully spricht. Was es mit den Anrufen auf sich hat, bleibt ungeklärt; die Telefongesellschaft bestätigt zwar den eingehenden Anruf, kann aber am anderen Ende der Leitung keinen ausgehenden Anruf identifizieren und führt alles auf einen Softwarefehler zurück. Sicher ist jedenfalls, eingebildet hat sich Scully die Anrufe nicht. Dennoch ist natürlich kaum zu bezweifeln, dass Scullys erst kürzlich überstandene Krebserkrankung und die Erkenntnis, dass sie unfruchtbar ist, bei ihrem Verhalten auch eine Rolle spielen. Sehr gut gefallen hat mir, wie die Ähnlichkeit zwischen Melissa und Emily enthüllt wurde, in einer Reihe von Träumen Scullys von ihrer Kindheit, in denen Melissa als kleines Kind auftaucht und exakt wie Emily aussieht. Es gibt einige sehr emotionale Szenen, so zwischen Scully und ihrer Mutter, als sie erzählt, dass sie unfruchtbar ist, vor allem aber das Gespräch mit der Adoptionsbetreuerin. Die ansonsten teilweise etwas schleppend inszenierte Episode lebt größtenteils von diesen Charaktermomenten und von Gillian Andersons wieder einmal preiswürdigen schauspielerischen Leistungen. Ich vergebe gute vier Anrufe aus dem Jenseits dafür.
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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » Do 23. Mai 2019, 00:36

Folge 7, Staffel 5: "Emily (Teil 2) / Emily"

Drehbuch: Vince Gilligan, John Shiban & Frank Spotnitz
Regie: Kim Manners



Während Scully sich weiterhin um die Adoption Emilys bemüht, geht es dem Mädchen selbst ohne die experimentelle Behandlung immer schlechter. Bei einer Untersuchung im Krankenhaus fällt eine Krankenschwester ins Koma, als sie eine Zyste an Emilys Nacken öffnet und grüne Flüssigkeit austritt. Die behandelnden Ärzte sind ratlos. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, Emily zu helfen, versucht Mulder, mehr über die Experimente und Emilys Herkunft herauszufinden. Es stellt sich heraus, dass Emily das Resultat eines Hybridisierungsexperiments ist, auf Basis der Eizellen, die Scully bei ihrer Entführung entnommen worden sind.

Im Teaser von "Emily" sieht man Scully in einem schwarzen Kleid, an einen Trauerflor erinnernd, durch Wüstensand gehen und über ihre Vergangenheit reflektieren, die sie wie ein Alptraum wieder einholt. Es lässt nichts Gutes erahnen für Emily, deren kurzes Leben in dieser Episode auch schon wieder zuende geht. Mulder, der in "Memento Mori" herausgefunden hatte, dass Scully alle Eizellen entnommen worden waren, hatte Scully seinerzeit wegen ihrer gerade erst überstandenen Krebserkrankung nicht über diese Entdeckung informiert. Als er nun Scully und Emily im Kinderhort besucht, holt er das nach und erzählt ihr auch von seiner Vermutung, dass Emily das Resultat von Experimenten mit Scullys Eizellen ist (dass er eine Viole mit Eizellen mitgenommen hatte, erzählt er ihr immer noch nicht). Im Adoptionsverfahren ergreift er trotz aller Bedenken Partei für Scully, da sie Emilys leibliche Mutter ist. Kurz darauf muss Emily mit hohem Fieber ins Krankenhaus gebracht werden. An ihrem Nacken wird eine grünliche Zyste gefunden; als eine Krankenschwester eine Biopsie vornehmen will, tritt grüne Flüssigkeit aus und die Schwester fällt ins Koma. Alle Behandungsversuche Emilys schlagen fehl, und Dr Calderon weigert sich, herbeizukommen oder Emilys medizinische Unterlagen zu übergeben. Ein Gestaltwandler in Calderons Gestalt taucht jedoch später im Krankenhaus auf und injiziert Emily eine grüne Flüssigkeit.

Emilys Erkrankung wurde von Dr. Calderon als "seltene Form einer autoimmunhämolytischen Anämie" beschrieben. Autoimmunerkrankungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper wendet und bestimmte Körperteile angreift. Wie die grüne Flüssigkeit in der Zyste in ihrem Nacken zeigt, ist Emily ein Hybridenkind. In Emilys Fall greift das menschliche Immunsystem die außerirdischen Zellen an, und umgekehrt. Das außerirdische Retrovirus zerstört die roten Blutkörperchen und ruft so Anämie hervor, sofern der Körper diese Zerstörung nicht schnell genug kompensieren kann. Die ständige Behandlung sollte diesen Prozess, der Begleiterscheinung der Hybridisierung war, kontrollieren. Ausgehend von der Zyste in ihrem Nacken - letztendlich wahrscheinlich von der Zirbeldrüse ausgehend, wie die Röntgenbilder vermuten lassen - breitete sich die hybride Physiologie über ihr gesamtes Nervensystem aus und begann, die menschliche Physiologie zu ersetzen: "These are anaerobic channels following the path of the nervous system. They have the effect of killing surrounding tissue, depriving it of the oxygen it needs to survive. The origin is in the brain and central nervous system." Es ist interessant, dass der Prozess beinhaltet, dass die Sauerstoff benötigende menschliche Physiologie durch eine anaerobe ersetzt wird, die keinen Sauerstoff benötigt - können die Hybriden deshalb, wie in "The Erlenmeyer Flask" zu sehen, unter Wasser überleben? Die Injektion des Gestaltwandlers bremste die Entwicklung und besserte deshalb kurzfristig Emilys Zustand, auf die Dauer jedoch überlebte sie den Transformationsprozess nicht.

Calderon selbst ist ein geklonter Hybride, ähnlich wie die Gregor- und Samantha-Klone. (Bei http://www.eatthecorn.com wird darauf hingewiesen, dass einer der Männer, die in "Talitha Cumi" Jeremiah Smith an seinem Arbeitsplatz festnahmen und in seine Zelle brachten, ein Calderon-Klon war.) Die beiden Gestaltwandler, die Mr Sim ständig beobachteten und dann unter dem Vorwand, seine Anwälte zu sein, ins Gefängnis eindrangen und ihn töteten, sind ebenfalls Hybriden und keine außerirdischen Kopfgeldjäger, sie sind jedoch weiter entwickelt als die Calderon-Klone, etwa auf dem Niveau der Jeremiah Smiths. Nachdem sie Calderon nach Mulders Stippvisite getötet haben, setzen die beiden seine Arbeit fort.

Die Verfolgung eines der Gestaltwandler führt Mulder in ein Altersheim, das unter dem Namen von Dr. Calderon betrieben wird. Mulder findet heraus, dass hier im Labor Embryonen aus Eizellen, u.a. Scullys, entwickelt und die alten Frauen unter einer Hormonbehandlung als Leihmütter benutzt werden. Die Embryonen sind offensichtlich Hybriden. Über medizinische Details der Erzeugung dieser Embryonen ist beim Kollegen von Eat The Corn eine längere Abhandlung nachzulesen.
Der letztliche Zweck der Experimente ist es, einen Weg zu finden, einen normalen Menschen in einen Hybriden zu transformieren, der äußerlich und bei einfachen Untersuchungen menschlich erscheint, jedoch außerirdische Eigenschaften hat, wie die Fähigkeit, Gedanken zu lesen, vor allem aber gegenüber dem Schwarzen Öl immun ist.
Nach ihrer Geburt wurden die Babies zur Adoption freigegeben, wobei den Eltern gesagt wurde, dass die Kinder ständige medizinische Betreuung durch Spezialisten benötigen - durch Ärzte, die für das Syndikat arbeiten. Die Verwendung der Altersheimbewohner für medizinische Experimente erinnert an den "Tunguska"-Zweiteiler, in dem in einem Altersheim Versuche mit dem Schwarzen Öl durchgeführt wurden. In dem Heim findet Mulder Unterlagen über die Experimente mit Scullys Eizellen sowie Proben der grünen Flüssigkeit, mit der Emily behandelt wurde und von denen er einige mitnimmt.

Im Krankenhaus ist Emily inzwischen ins Koma gefallen und liegt im Sterben. Scully beschließt, Emily nicht mehr weiter zu behandeln - auf Mulders Frage sagt sie, sie würde es auch dann nicht tun, wenn sie es könnte. "You were right. This child... was not meant to be." Als Scully beim anschließenden Begräbnis Emilys Sarg öffnet, findet sie nur Wüstensand darin vor. Diese Szenen im Krankenhaus und auf der Beerdigung sind klar die stärksten in der Episode. Im ersten Teil des Zweiteilers wurde deutlich, wieviel Emily für Scully bedeutet - nicht nur, weil sie ihre Tochter ist, sondern auch, weil Scully sich ein Kind wünscht, aber unfruchtbar ist. Sie sieht Emily als ihre letzte Chance, ein Kind zu haben, und diese Chance wird ihr auf eine höchst brutale Weise entrissen. Umso bemerkenswerter ihre Entscheidung, Emily gehen zu lassen - und es ist nicht nur ihre Entscheidung, sondern auch Mulders, der sich entscheidet, ihr die gefundenen Injektionen nicht zu geben (vielleicht um sie nicht in noch größere Konflikte zu bringen), was bedeutet, dass seine gesamte Mühe umsonst gewesen ist. Die Folge stellt hier den Zuschauer vor die Frage, wie er selbst in dieser Situation gehandelt hätte. Auf dem Begräbnis fragen beide, warum Emily überhaupt erschaffen wurde, mit dem Wissen, dass sie in einem sehr jungen Alter würde sterben müssen.

"A Christmas Carol" und "Emily" sind ein sehr emotionaler Handlungsbogen für Scully. Sie entdeckt, dass sie eine Tochter hat, von der sie nichts wusste, kämpft um das Adoptionsrecht, muss erfahren, dass die Tochter das Resultat von Experimenten an ihr selber war und das Mädchen leiden und sterben sehen. Zu guter Letzt wird auch noch Emilys Leiche gestohlen. Mulder nimmt die Geschehnisse ebenfalls sehr persönlich, wie sein Ausbruch in Dr. Calderons Büro zeigt - möglicherweise ein Ausdruck davon, dass er sich schuldig oder zumindest mitverantwortlich fühlt. Gut gefallen hat mir, dass er Scullys Entscheidung ohne weiteres Wenn und Aber respektiert. "Emily" bringt auch wieder etwas mehr Licht in die Mythologie, genauer gesagt, in den Teil, in dem es um die Hybridisierungsexperimente geht. Was die Inszenierung angeht, so wird mehrere Male religiöse Symbolik verwendet, die Scully und Emily mit der Jungfrau Maria und dem Jesuskind in Verbindung bringt: Bereits in "A Christmas Carol" mit der Krippe, und in "Emily" im Krankenhaus und beim Begräbnis, als auf Marienbilder bzw. Statuen übergeblendet wird. Mit dem Wüstensand im Sarg und dem Bild, als Scully die Halskette mit dem Kreuz hält, wird auf gelungene Weise der Bogen zum Teaser geschlagen. Was die schauspielerischen Leistungen angeht, ist auch im zweiten Teil dieses Zweiteilers Gillian Anderson hervorzuheben. Mir hat "Emily" besser gefallen als der erste Teil, ich gebe fünf goldene Halsketten dafür.
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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » Fr 24. Mai 2019, 20:16

Folge 8, Staffel 5: "Kitsunegari / Kitsunegari"

Drehbuch: Vince Gilligan & Tim Minear
Regie: Daniel Sackheim



Robert Patrick Modell, auch bekannt als der "Pusher", kann aus dem Gefängniskrankenhaus entkommen, und schon kurz darauf wird der Staatsanwalt, der Modells Fall bearbeitete, in seinem Wohnzimmer tot aufgefunden. Mulder und Scully verfolgen Modell und es gelingt Mulder, ihn zu stellen - Mulder lässt ihn jedoch laufen, und behauptet, dass die Frau des Staatsanwalts die Täterin ist.

"Kitsunegari" ist eine Sequel-Episode zur Staffel 3-Episode "Pusher", der Titel ist japanisch und bedeutet "Fuchsjagd", eine Anspielung auf Mulders Vornamen. Es kommt sehr selten vor, dass Akte X einen Monster-of-the-Week-Bösewicht zurückbringt; nach Eugene Victor Tooms ist Robert Patrick Modell erst der zweite. Modell hat die Fähigkeit, anderen Menschen seinen Willen aufzuzwingen und sie Dinge hören und sehen zu lassen, die tatsächlich gar nicht existieren. Die Fähigkeit ist durch einen Gehirntumor verursacht, den Modell nicht operieren lässt. In "Pusher" wurde er von Mulder mit einem Kopfschuss verletzt und schien durch die Verletzung und den Tumor dem Tode nahe zu sein.

In Teaser zu "Kitsunegari" ist Modell aus dem Koma erwacht und wird physiotherapeutisch behandelt, kann jedoch anscheinend nur wenige Schritte gehen. Er kann dennoch dank seiner Fähigkeiten einen Gefängniswärter überlisten und fliehen. Mulder und Scully werden sofort alarmiert. Nur wenig später wird Staatsanwalt Nathan Bowman, der Ankläger in Modells Prozess, in seinem Wohnzimmer tot aufgefunden. Er wurde mit blauer Farbe übergossen und ist offenbar gezwungen worden, diese zu trinken. An die Wände des Zimmers wurde mit derselben Farbe überall das Wort "Kitsunegari" geschmiert. Mulder, von Modell - der weitaus mobiler ist, als er seiner Physiotherapeutin Glauben machen wollte - in ein verlassenes Fabrikgebäude gelotst, trifft sich dort mit diesem. Modell bringt Mulder dazu, ihn laufen zu lassen, und Mulder ist nach der Unterredung überzeugt, dass Modell diesmal nicht der Mörder ist. Weder Scully noch Skinner glauben ihm, und sind der Meinung, dass Mulder dabei ist, auf Modell hereinzufallen. Nach einer reichlich merkwürdigen Befragung Linda Bowmans, der Frau des Staatsanwalts (sie streut immer wieder Anspielungen auf Farben und Pinsel ein, außerdem erfährt man, dass sie und Nathan Bowman nur zwei Tage nach ihrer ersten Begegnung geheiratet haben), ist Mulder überzeugt, dass sie die Täterin ist. Der von Mulders Theorie angesäuerte Skinner entbindet Mulder von dem Fall und schickt ihn nach Hause - aber Mulder ermittelt auf eigene Faust weiter. Es geht nun Schlag auf Schlag, Modells Physiotherapeutin stirbt an einem elektrischen Schlag, als Mulder ihr ein Foto von Linda Bowman zeigen will, Skinner erschießt Modell, der in dem Haus auftaucht, in dem Linda in Schutzhaft genommen wurde. In einer finalen Konfrontation steht dann Mulder Linda gegenüber, die ihn glauben machen will, sie sei Scully, während sie die wirkliche Scully für Mulder wie Linda aussehen lässt. Letztlich stellt sich heraus, dass Linda Modells Zwillingsschwester ist, und an demselben Gehirntumor leidet wie Modell - was ihr dieselben Fähigkeiten verleiht.

Schon "Pusher" hatte einige logische Schwächen, und das gilt noch viel mehr für das Sequel "Kitsunegari", das darüber hinaus noch unter einer sehr konstruierten Prämisse und Handlung leidet. Es ist schon reichlich merkwürdig, dass Gehirntumoren dieser Art genetisch bedingt sind und bei den beiden Geschwistern nahezu gleichzeitig auftreten und ihnen dieselbe Fähigkeit verleihen. Seltsam ist auch, dass Modell anscheinend durch Gefängnisaufenthalt und / oder Krankheit altersmilde geworden ist: Das Schlimmste, was er in dieser Episode jemandem antut, ist eine Gehirnwäsche. Er fordert zum Schluss sogar seine Schwester auf, mit der ganzen Sache aufzuhören: "No. Stop now. Stop ... " Gegen Ende legt das Gespräch zwischen Modell und Linda nahe, dass Modell nur deshalb aus dem Gefängnis geflohen ist und Skinner dazu gebracht hat, ihn zu erschießen, um Linda zu schützen bzw. sie davor zu bewahren, selbst ins Gefängnis zu kommen. Unverständlich ist dann allerdings, weswegen er Mulder zu überzeugen versuchte, der Sache nachzugehen.

Was Linda selbst angeht, ist die Figur für die Aufgabe, in die Schuhe Modells zu schlüpfen, ziemlich unterentwickelt. Man erfährt nie, wie sie zu ihrem Bruder steht, wer sie eigentlich ist, oder warum sie überhaupt Nathan geheiratet hat und dann zwei Monate lang wartete, wenn sie ihm ohnehin ihren Willen aufzwingen konnte. Zu allem Überfluss macht man denselben Fehler wie bei Modell in "Pusher": Auch Linda kommt mit einem Schild, auf dem "Nurse" steht, zu Modell hinein, was im Widerspruch dazu steht, dass für die Fähigkeiten der beiden ihre Stimme ausschlaggebend ist. Apropos Wiederholung von Fehlern: Auch in "Kitsunegari" geht Mulder wieder im Alleingang erst zu Modell und dann auch noch zu Linda, obwohl das schon in "Pusher" beinahe schiefgegangen wäre. Zudem fand ich es reichlich überzogen von Skinner, Mulder aufgrund seiner Zweifel an Modells Schuld nach Hause zu schicken und ihm auch noch die Waffe abzunehmen.

"Kitsunegari" ist insgesamt eine wenig originelle Geschichte, wobei das Verwirrspiel, wer der Täter ist, noch recht gut funktioniert. Die Episode hat einige spektakuläre Szenen, vor allem der mit blauer Farbe übergossene Nathan Bowman bleibt hängen, und auch die finale Konfrontation mit Linda ist gut inszeniert. Insgesamt ist die Folge für meinen Geschmack jedoch zu sehr "more of the same", die Charakterisierung von Modell und Linda konnte mich nicht recht überzeugen und die Geschichte hat ein paar beträchtliche logische Löcher. Ich vergebe drei Dosen blaue Farbe dafür.
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Re: Akte X - Staffel 5

Beitragvon nevermore » So 26. Mai 2019, 21:13

Folge 9, Staffel 5: "Vom Erdboden verschluckt / Schizogeny"

Drehbuch: Jessica Scott & Mike Wollaeger
Regie: Ralph Hemecker



In Michigan wird ein Plantagenbesitzer nach einem Streit mit seinem Sohn tot im Wald aufgefunden. Mulder bezweifelt, dass der schmächtige Teenager imstande war, seinen erheblich größeren und stärkeren Vater zu überwältigen. Merkwürdig ist auch, dass der Mann vertikal im Boden vergraben wurde. Kurz darauf stirbt der Vater einer Freundin des Sohnes ebenfalls unter mysteriösen Umständen. Beide Teenager sind bei derselben Psychotherapeutin in Behandlung, deren Vater vor 20 Jahren auf ähnliche Weise wie der Plantagenbesitzer ums Leben gekommen ist.

"Schizogeny" erfreut sich im X-Files-Fandom keiner sonderlichen Beliebtheit. Es ist wieder eine von einem Freelancer-Team verfasste Folge, die den Produktionsnotizen zufolge sehr viele Umbearbeitungen durchlief. Der Titel stammt aus der Biologie und bezeichnet eine Form der asexuellen Fortpflanzung durch Zellteilung - ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, in welcher Beziehung dies zu der Episode stehen könnte, und habe darüber auch nirgendwo irgendwelche Informationen gefunden. Leider ist das nicht das Einzige, was an der Episode schwer nachvollziehbar ist.

Der Teenager Bobby, Stiefsohn eines Plantagenbesitzers, hat ein schlechtes Verhältnis zu seinem Stiefvater; es kommt immer wieder zu Streitereien zwischen den beiden. Eines Nachts kommt es wieder zu einem heftigen Streit und der Vater wird später im Wald tot aufgefunden. Merkwürdigerweise ist er senkrecht im Waldboden vergraben und hat mehrere Kilogramm Erde verschluckt. Bobby ist der Hauptverdächtige, nicht nur wegen des Streits, sondern auch, weil er am Tatort war. Er ist wegen seiner Aggressionen und Wutausbrüche in psychotherapeutischer Behandlung bei der Therapeutin Karin Matthews. Wenig später stirbt auch der Vater einer Schulkameradin von Bobby, Lisa, die mit ihm befreundet ist. Ihr Vater, der gegen diese Freundschaft war, wurde aus dem Fenster ihres Zimmers im oberen Stock nach draußen gezogen und starb an den Folgen des Sturzes. Auch Lisa war bei Karin Matthews in Therapie. Bei einer Befragung durch die Agenten erzählt Karin, die beiden Teenager seien von ihren Vätern körperlich und seelisch misshandelt worden. Mulder glaubt weder dies, noch dass der in beiden Fällen verdächtigte Bobby der Schuldige ist. Statt dessen vermutet er, dass die Todesfälle etwas mit der sterbenden Baumpopulation im Ort zu tun haben - beide Männer waren auf der Plantage beschäftigt. Ein alter Waldarbeiter erzählt den Agenten, dass Karins Vater auf ähnliche Weise gestorben ist wie Bobbys Stiefvater. Auch zu dieser Zeit waren die Bäume krank, und sein Tod beendete die Krankheit. Wie sich herausstellt, ist es Karin, die vor 20 Jahren von ihrem Vater misshandelt wurde. Dieser war damals der Plantagenbesitzer, und die Misshandlung Karins machte die Bäume krank, die sich gegen den Vater auflehnten. Da nun Karin zurückgekehrt ist und vom Geist ihres Vaters besetzt scheint - sie sperrt das Mädchen Lisa, das eigentlich bei ihr Schutz sucht, in den Keller ein, wie sie einst selber eingesperrt worden ist - wiederholt sich die Geschichte.

"Schizogeny" enthält ein paar interessante Ideen. Es ist im Kern eine traditionelle Horrorgeschichte; anders als in einigen anderen Akte X-Episoden spielt hier, obwohl die Bäume im Mittelpunkt stehen, ein Umweltschutzgedanke keine Rolle. Die Bäume werden als eine Art Lebenselixier des Orts porträtiert; die Menschen sind ökonomisch von der Plantage abhängig. Der Missbrauch von Karin hat seinerzeit sozusagen den Boden vergiftet - als ihr Vater starb, wurde die Plantage wieder fruchtbar. Karin hat das Trauma nie überwunden und eine gespaltene Persönlichkeit entwickelt, außerdem projiziert sie ihre Missbrauchserfahrung auf ihre Patienten und verlangt von diesen, das zu tun, was sie selber nie fertigbrachte - nämlich sich gegen ihren Vater aufzulehnen. Sie agiert ihr Trauma aus, indem sie selbst in die Rolle ihres Vaters schlüpft - es erinnert an Norman Bates aus "Psycho".

Leider ist der Zusammenhang zwischen Karins Missbrauch und der Erkrankung und dem "Aufstand" der Bäume äußerst konstruiert. Es wird nicht einmal im Ansatz eine Erklärung angeboten, auf welche Weise der Missbrauch den Boden vergiftet, wie die Reaktion der Bäume zu erklären ist - oder auch, wie die Leiche von Karins Vater aus dem Grab in ihren Keller gekommen ist. Die Grundidee hat einen gewissen Charme, aber sie bleibt in der Episode einfach unterentwickelt. Es hilft auch nicht, dass vor allem Bobby und Karin mehr Karikaturen als lebensnahe Charaktere sind. Bobby ist der typische missratene Teenager, sozusagen der realisierte Alptraum aller Eltern, ein Außenseiter, der nichts auf die Reihe bringt. Karin ist das Stereotyp der verrückten Psychiaterin.

Ein Pluspunkt für die Episode ist die atmosphärisch gut gelungene Inszenierung, und gemessen an den Möglichkeiten in den 90er Jahren fand ich auch die "Killerbäume" recht gut umgesetzt. Auch die Szenen im Keller und den Showdown am Ende fand ich gut inszeniert. "Schizogeny" ist sicher kein Highlight der X-Akten, aber so furchtbar, wie sie teilweise dargestellt wird, ist sie nun auch nicht. Ich vergebe knapp drei Baumwurzeln dafür.
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