Folge 14, Staffel 5: "Cassandra (Teil 2) / The Red and the Black"Drehbuch: Chris Carter & Frank Spotnitz
Regie: Chris CarterNach dem jüngsten Angriff der Rebellen in Pennsylvania ist Cassandra Spender verschwunden. Scully wird schwer verletzt aufgefunden, kann sich aber an nichts mehr erinnern. Mittels Regressionshypnose versucht sie, an die Erinnerungen heranzukommen und zu rekonstruieren, was geschehen ist. Das Syndikat hat einen der außerirdischen Rebellen gefangen genommen und muss jetzt entscheiden, ob man sich dem Widerstand anschließt, oder den Mann den Kolonisten übergibt.
Der Episodentitel "The Red and the Black" bezieht sich den Produktionsnotizen zufolge auf den Impfstoff (eine rote Flüssigkeit) und das Schwarze Öl, und auch die veränderte Tagline "Resist or Serve" - sie stammt aus Kryceks Unterredung mit Mulder - steht damit im Zusammenhang. Zum Ende von "Patient X" wurde eine Gruppe ehemaliger Entführter von den gesichtslosen Rebellen attackiert, viele von ihnen starben und Cassandra Spender wurde von einem intervenierenden Schiff der Kolonisten entführt. "The Red and the Black" nimmt jedoch den Faden nicht an dieser Stelle wieder auf, sondern zeigt zunächst eine Szene im hohen Norden Kanadas, wo jemand in einer Hütte mitten im Schnee auf einer mechanischen Schreibmaschine einen Brief an seinen Sohn schreibt und diesen einem Jungen zur Zustellung an das FBI übergibt. Die mechanische Schreibmaschine sieht vertraut aus; wer sich an "Musings of a Cigarette Smoking Man" erinnert, kann schon erahnen, dass der Autor der Raucher ist.
In der Zwischenzeit werden in Pennsylvania am Ruskin Dam, dem Ort des letzten Angriffs der Rebellen, Dutzende verbrannter Leichen geborgen. Mulder und Skinner suchen nach Scully, während Jeffrey Spender auf der Suche nach seiner Mutter Cassandra ist. Scully hat das Ganze bis auf einen Schock einigermaßen unbeschadet überstanden und befindet sich im Krankenhaus, kann sich jedoch an nichts erinnern. Als sie sagt, sie könne nicht weitermachen, solange sie nicht weiß, was mit ihr passiert ist, kann Mulder sie zu einer Regressionshypnose bewegen. Die Szenen in der Hypnosesitzung sind mit die eindrucksvollsten der ganzen Episode, woran Andersons Leistung einen großen Anteil hat. Es ist wert, Carters Kommentar dazu zu zitieren, der beschreibt, wie die Szene durch eine ähnliche Sitzung an der Harvard-University beeinflusst ist, bei der er zugegen war:
I actually went to Harvard and sat with the now-deceased Dr John Mack who was the man who had done the original work, scientific investigation into the existence of extraterrestrials that the X-Files was really kind of based on. I had been allowed to go to his place of work and sit in on a regression hypnosis which is how I ended up writing this sequence. I actually got to sit next to someone who claimed they’d been abducted by aliens like Scully is here, and feel the power of that memory recalled by Dr Mack who had hypnotized this person I was sitting next to. It was an amazing experience for me to first of all be allowed to do it, because it was very personal for the person, and the person who allowed me to do it was extraordinary, and then to sit there and actually witness this. And I still admit to being a sceptic but the power of sitting next to someone who goes through their abduction again, the pain of it, just like Scully had done there, was freaky for me.
Dass die Ereignisse Scully tiefgreifend verändert haben, ist zu diesem Zeitpunkt offensichtlich, und Mulder, der durch die ganze Sitzung neben ihr saß und ihr die Hand hielt, kann man förmlich ansehen, wie sein neu gewonnener Skeptizismus ins Wanken gerät. Eine herrliche Szene folgt in Skinners Büro, der die Aufnahme von Scullys Hypnosesitzung angehört hat und über Mulders Erklärung, das alles sei von der Regierung inszeniert worden, sagt: "Over the past five years I've doubted you, only to be persuaded by the power of your belief in extraterrestrial phenomena, and I'm doubting you now, not because of that belief, but because extraterrestrial phenomena is frankly the more plausible explanation."
Währenddessen bleibt Cassandra Spender verschwunden. Ihr Sohn Jeffrey, der FBI-Agent, ist darüber wütend und gibt Mulder die Schuld. Man kann Spenders Unmut und seinen Wunsch, sich und seine Mutter vor Schaden durch das, was er für den Ausdruck eines verstörten Geistes hält, zu bewahren, verstehen. Wie Spender Scully erzählt, sind er und seine Mutter von seinem Vater verlassen worden, und er glaubt, dass seine Mutter darüber den Verstand verloren habe. Er zeigt Scully eine Videoaufnahme einer Hypnosesitzung, in der er als Elfjähriger von der Entführung seiner Mutter durch Außerirdische erzählt. (Es hat frappierende Ähnlichkeit mit Mulders Erzählung über die Entführung Samanthas.) Wie er sagt, habe das alles nie stattgefunden: "She told me that story so many times that I believed it. Absolutely. It became a kind of truth and it was really just a substitute. For the fact that my dad had left his family and it drove my mom insane. Only, I was eleven years old and I didn't know it." Es drängt dem Zuschauer die Frage auf, ob es bei Mulder ebenso gewesen ist. Spender hält die Regressionshypnose für einen Schwindel und gefährlich, und glaubt, dass Scullys Erfahrungen in der Sitzung auf ähnliche Weise durch Mulders ständige Entführungsgeschichten verursacht sind.
Spender, der, wie ich vermute, als Kind tatsächlich eine Entführung seiner Mutter mitbekommen hat, ist eine weitere Figur, die als ein Spiegelbild von Mulder fungiert (ähnlich wie auf andere Weise Krycek). Ihm ist - so jedenfalls meine Vermutung - etwas ähnliches passiert wie Mulder, aber er will sich damit nicht auseinandersetzen, weil es für ihn einfacher ist, das Ganze als Hirngespinst abzutun. "I'd like to build a reputation here, not be given one." Mit anderen Worten, er will nicht, dass es ihm so wie Mulder ergeht und er zu "Spooky Spender" wird. Es ist interessant, dass Spender gerade zu dem Zeitpunkt eingeführt wird, als Mulder selber an einem dunklen Punkt des Zweifelns an Allem angekommen ist. Mulder hält zu diesem Zeitpunkt der Serie seine eigenen Erinnerungen ebenso für falsch wie Jeffrey Spender die seinen. Wenn man sich Spender anschaut (und Mulder in "Patient X"), fragt man sich, ob diese Variante wirklich die bessere ist. Nach Spenders Besuch beginnt Scully wieder zu zweifeln, gerade als Mulder anfängt, seinen Skeptizismus in Frage zu stellen.
In der Zwischenzeit hat das Syndikat die abtrünnige Marita Covarrubias, die mit dem Schwarzen Öl infiziert aufgegriffen wurde, zum Testobjekt für den (vom Syndikat entwickelten) Impfstoff gemacht. Er scheint nicht zu wirken. Der Brite verlangt deshalb vom gefangen genommenen Krycek den russischen Impfstoff, um diesen an Covarrubias auszuprobieren. Als kurz darauf ein Raumschiff der Rebellen abgeschossen wird, gelingt es dem Syndikat, einen ihrer Anführer gefangenzunehmen. Noch bevor klar ist, ob der russische Impfstoff wirkt (wie sich später herausstellt, tut er das), steht das Syndikat nun vor der Entscheidung, die der Episode die Tagline gibt: "Resist or Serve". Mit dem gefangen genommenen Rebellenführer und mit dem Impfstoff scheint sich nun ein Weg für das bisher für unmöglich Gehaltene aufzutun: Widerstand gegen die Kolonisten zu leisten. Die Mehrheit des Syndikats hält dies jedoch nach wie vor für aussichtslos: "Side with the resistance?" - "Suicide." - "They'll squash us as they do them." Die einzigen, die dafür sind, sich dem Widerstand anzuschließen, sind der Brite und Krycek, und der Brite schickt Krycek zu Mulder, um den Rebellenführer zu befreien, der vom Grauhaarigen bereits an die Kolonisten übergeben worden ist.
Nach wie vor weiß man nur wenig über die außerirdischen Rebellen und ihre Motive. Das Versiegeln der Gesichtsöffnungen dient, so vermutet das Syndikat, als Schutz gegen die Infektion durch das Schwarze Öl. Es hat den Anschein, dass bei Dmitri das Schwarze Öl tatsächlich den Körper nur durch die Körperöffnungen verlassen kann und auch sonst hat man in der Serie des Öfteren das Schwarze Öl durch Körperöffnungen ein- und austreten sehen. Dennoch ist dieser Punkt etwas unklar, hat doch andererseits das Schwarze Öl bereits alle möglichen Substanzen inklusive von Hochsicherheits-Schutzanzügen durchdrungen. Es ist ewas merkwürdig und erscheint mir nicht ganz konsistent, dass das Schwarze Öl alle möglichen leblosen Sustanzen durchdringen, Lebewesen aber nur über deren Körperöffnungen infizieren kann. Über die Herkunft der Rebellen kann auch nur spekuliert werden. Sie haben allesamt dasselbe Aussehen wie der außerirdische Kopfgeldjäger; der Kollege von
Eat The Corn vermutet deshalb, dass die Rebellen derselben Rasse der Gestaltwandler angehören wie der außerirdische Kopfgeldjäger, und wegen ihres identischen Aussehens, dass sie Klone sind. Er führt weiter aus, dass die Gestaltwandler vermutlich von einem Planeten kommen, der bereits von den Kolonisten übernommen wurde. Einige von ihnen wurden mit dem Schwarzen Öl infiziert und eingesetzt, um bei der Kolonisierung der Erde zu helfen; andere widersetzten sich und formten die Widerstandsgruppe. Dass der Widerstand aus Klonen besteht, würde zu dem aufsässigen Verhalten der Klone, die auf der Erde geschaffen wurden, passen.
Nachdem das Syndikat entschieden hat, den Rebellenanführer den Kolonisten zu übergeben, dringt ein außerirdischer Kopfgeldjäger in die Air Force Basis ein, in der er gefangen gehalten wird. Es kommt zum Showdown; Mulder, von Krycek dorthin geschickt, kann nicht verhindern, dass der Kopfgeldjäger drauf und dran ist, den Rebellenanführer zu töten, aber gerade noch rechtzeitig kommt ein Rebellenschiff, um ihn zu retten. Man sieht ein gleißendes Licht und man sieht Mulder auf jemanden schießen, aber man sieht nicht, auf wen er schießt, oder was sonst geschieht. Wenig später wird Mulder in Handschellen abgeführt und an Scully, die vor dem Tor auf ihn wartet, übergeben. Auf ihre Frage, was geschehen ist, sagt er, er wisse es nicht. Anders als bei seinen früheren Begegnungen mit UFO gehe ich davon aus, dass diesmal sein Gedächtnis nicht gelöscht wurde - die Rebellen hätten keinen Grund, das zu tun. Mulder kann aber seine Erlebnisse auf der Air Force Basis nicht mit seinem Skeptizismus in Einklang bringen, und eröffnet, wieder in seinem Kellerbüro angekommen, eine X-Akte über Cassandra Spender. Man kann davon ausgehen, dass dies das Ende seiner Skeptiker-Phase markiert.
"The Red and the Black" endet dort, wo die Episode begann: Im hohen Norden Kanadas, in der Hütte des Rauchers, der den Brief an seinen Sohn - der, wie die Szene davor offenbart, niemand anders als Jeffrey Spender ist - mit dem Vermerk "Return to Sender" ungeöffnet zurückbekommt. So wissen wir nun auch, dass der Raucher der Mann ist, der seine Frau Cassandra Spender verließ - und es ist damit, zumindest für mich, sehr wahrscheinlich, dass Cassandras Entführung nicht eine Einbildung ihrer und Jeffreys übersteigerter Fantasie infolge der Trennung war, sondern tatsächlich geschehen ist. Bei den Recherchen zu diesem Zweiteiler fand ich heraus, dass es mit dem Inhalt seines Briefs eine besondere Bewandtnis hat, und zwar mit dem Teil, der die Navajo-Geschichte betrifft: "I remind myself of a Navajo story. Twin war gods come to their father, seeking magic and weapons to eliminate the monsters of the world." In der Schöpfungsgeschichte der Navajo-Mythologie werden die Zwillingsbrüder Nayenezgani und Tohbachischin, von ihrem Vater, der Sonne, vor Prüfungen gestellt und mit Geschenken bedacht, um Monster zu töten, und den Weg für die Menschheit freizumachen. Die Parallele zu Jeffrey und Fox (von dem man an dieser Stelle zwar nur vermutet, aber nicht bestätigt bekommen hat, dass er auch ein Sohn des Rauchers ist) ist offensichtlich.
Mit diesem "Cassandra"-Zweiteiler hat Akte X nun endgültig epische Ausmaße angenommen. Es gibt einen galaktischen Krieg zwischen zwei außerirdischen Rassen, der über den Köpfen der Menschen tobt, die diesen Kräften hilflos ausgeliefert sind, und ihnen weder etwas entgegenzusetzen haben noch sie verstehen. Symbolisch und symptomatisch hierfür steht Mulders fruchtloser Versuch, in der Air Force-Basis in das Geschehen einzugreifen, und seine Verwirrung hinterher. Entsprechend bekommen wir nicht, wie in einer Science-Fiction-Serie zu erwarten, große Weltraumschlachten zu sehen, sondern das Geschehen wird in ein paar Dialogzeilen von Krycek und Cassandra erklärt. Anders als man erwarten könnte sind die Rebellen hier nicht notwendigerweise die "Guten"; sie wollen nicht den Menschen helfen. Sie handeln aus Eigeninteresse in einem Konflikt mit einer anderen Rasse, und die Erde ist nur ein Schlachtfeld für sie. Der Brite mag sich ihnen anschließen wollen, aber es hat nicht den Anschein, als seien sie daran überhaupt interessiert.
Immer deutlicher werden im "Cassandra"-Zweiteiler die religiösen Untertöne der Serie: Krycek beschreibt den Kampf der Außerirdischen als "a struggle between heaven and earth", Cassandra bezeichnet sich als "apostle" der Außerirdischen, auf dem Symposium in "Patient X" sagt ein Kommentator über sie: "She believes [...] that we are not simply breeding cows for them, as some have suggested – but subjects, much like we think of our relationship with God." Reviewer
Darren Mooney zitiert einen Artikel aus dem Guardian 1995, in dem auf mögliche Verbindungen zwischen UFO und dem Göttlichen bereits in der mittelalterlichen Kunst hingewiesen wird. Wie Mooney weiter ausführt, klingen demgegenüber Mulders Argumente auf dem Symposium wie atheistische Religionskritik: "The conspiracy is not to hide the existence of extraterrestrials. It's to make people believe in it so completely that they question nothing." Oder anders formuliert: Der Glaube an UFO ist das Opium des Volkes. Allerdings ist Cassandras Glaube an die guten Absichten der Außerirdischen genauso fehlgeleitet; die Kolonisten haben ebensowenig wie die Rebellen das Beste für die Menschen im Sinn. Anders als an einigen anderen Stellen (insbesondere in "Revelations" in Staffel 3) scheint die Serie hier sowohl vor Unglauben als auch vor blindem Glauben zu warnen.
Der "Cassandra"-Zweiteiler ist in mancherlei Hinsicht eine logische Weiterentwicklung der schon in früheren Episoden anklingenden Idee, dass die Kolonisierung kein Unternehmen in Einvernehmlichkeit ist. Es gibt Spannungen innerhalb des Syndikats, es gibt aufmüpfige Klone und nun gibt es auch noch außerirdische Rebellen. "The Red and the Black" lässt aber auch einige wichtige Fragen offen: Warum ist Cassandra Spender so wichtig, dass sie als einzige gerettet wird? Wer sind die außerirdischen Rebellen, und warum haben sie so viele Gemeinsamkeiten mit menschlichen Hybriden?
"The Red and the Black" ist insgesamt - sieht man von dem dramatischen Showdown in der Air Force-Basis ab - eine ruhigere Episode als "Patient X". Besonders gut gefallen hat mir das Einrahmen der Episode in die Szenen im Norden Kanadas zu Beginn und am Ende - die Landschaftsaufnahmen sind atemberaubend schön. Auch Scullys Hypnosesitzung samt den Visionen und das Zusammentreffen von Mulder und Krycek waren sehr gut gemacht. Die größten Stärken der Episode - und des Zweiteilers insgesamt - sind jedoch die Weiterentwicklung der Mythologie und die gelungene Intergration mit den Schicksalen für die einzelnen Figuren, was in früheren Mythologiefolgen immer auf der Strecke geblieben ist. Das ist insbesondere angesichts der nochmals größer und epischer gewordenen Themen, die der Zweiteiler behandelt, beachtlich. Auch für den zweiten Teil vergebe ich deshalb gute fünf Sitzungen beim Hypnotherapeuten.