Akte X - Staffel 6




Alles zu Chris Carters Mystery-Serien Akte X, MillenniuM und The Lone Gunmen

Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » Fr 12. Jul 2019, 20:13

Zum Start der sechsten Staffel ist Akte X von Vancouver nach Los Angeles umgezogen. Der Umzug fand vor allem auf Druck von David Duchovny statt, dem man, so seine Aussage, dies schon lange versprochen hatte - er wollte nicht mehr das ganze Jahr getrennt von seiner Frau, einer Schauspielerin in L.A., verbringen.

Der Umzug veränderte die Optik der Serie durchaus: Es ist alles sehr viel sonniger und heller, verregnete und neblige dunkle Wälder sucht man vergebens. Die Serie büßt hierdurch schon ein wenig von ihrer charakteristischen Note ein, andererseits ist man, was die erzählten Geschichten betrifft, hierdurch flexibler geworden. Es ist halt schwierig, in Vancouver Aufenthalte in der Wüste oder unter Palmen glaubhaft nachzustellen. Zumindest in Staffel 6 fällt auch auf, dass ziemlich viele Folgen mit starkem Comedy-Einschlag vertreten sind. Es sind auch wieder einige sehr originelle Episoden dabei. An Themen spielen Zeit und Sterblichkeit in Staffel 6 eine große Rolle.

In Staffel 6 kommt auch ein wichtiger Teil der Mythologie, nämlich der um die Verschwörung des Syndikats, zu einem Ende. Der Zweiteiler "Two Fathers / One Son" gibt ähnlich wie der "Cassandra"-Zweiteiler in Staffel 5 die wichtigsten Antworten. Was nicht bedeutet, dass die Mythologie beendet ist - die in "Fight The Future" angefangene Thematik der frühen Geschichte der Aliens wird zum Ende der sechsten Staffel weiter geführt.

Mytharc-Episoden (kursiv die absolut unerlässlichen):

6X01: The Beginning
6X02: Drive
6X09: S. R. 819
6X11: Two Fathers
6X12: One Son

6X19: Three of a Kind
6X20: The Unnatural
6X22: Biogenesis
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » Sa 13. Jul 2019, 18:11

Folge 1, Staffel 6: "Der Anfang / The Beginning"

Drehbuch: Chris Carter
Regie: Kim Manners



In Phoenix, Arizona, wurde ein Mitarbeiter von Roush Technologies mit dem Schwarzen Öl infiziert und ein Alien entwickelt sich in ihm. Die neugeborene Kreatur tötet ihn und einen anderen Kollegen und entkommt. Der Raucher benutzt den gekidnappten Gibson Praise, um das Wesen zu finden. Unterdessen wurden die wiedergeöffneten X-Akten Jeffrey Spender und Diana Fowley übertragen. Als Skinner Mulder von dem Vorfall in Phoenix in Kenntnis setzt, macht sich dieser mit Scully auf eigene Faust auf, um Ermittlungen anzustellen.

"The Beginning" ist die erste Episode, die in Kalifornien gedreht wurde, und die Serie macht sich nicht die Mühe, den optischen Bruch infolge des neuen Drehorts zu verbergen: Gleich die ersten Szenen sind in strahlendem Sonnenschein gefilmt. Die Folge muss die losen Enden des Staffel-5-Finales "The End" mit den Ereignissen im Kinofilm "Fight The Future" in Einklang bringen. Carter: "The main problem was to seque from a movie that some people saw and some people did not see, and bring back several characters like Agent Fowley and Agent Spender. ... What we needed to do was wrap up some important story elements. Gibson Praise needed to return. We needed to see an alien we'd seen in the movie. We wanted to re-establish some of the conspiracy elements, and we wanted to suggest that there was a blurred line between what is terrestrial and extraterrestrial."

Der mit dem Schwarzen Öl infizierte Wissenschaftler Sandy arbeitet für Roush Technologies, das Biotechnologie-Unternehmen, das sich in "Redux II" als eine der Fronten des Syndikats heausgestellt hat. Offenbar wird bei Roush an dem Schwarzen Öl geforscht, das in Blackwood, North Texas aus der Höhle abgepumpt worden war, und Sandy hat sich dabei versehentlich infiziert. Die Kreatur entwickelt sich sehr schnell und wird innerhalb von 12 Stunden ausgebrütet. Als sie entkommt, wandert sie auf der Suche nach einer Hitzequelle durch die Wüste von Arizona und landet schließlich im Kühltank eines Atomkraftwerks (die Sicherheitsvorkehrungen scheinen dort sehr zu wünschen übrig zu lassen; wie kommt die Kreatur dort hinein?). Nach mehrmaligem Häuten kommt ein Alien in der bekannten grauen Gestalt zum Vorschein: Die Kreatur ist eine Art Puppenstadium in der Entwicklung der Grauen, die das endgültige Entwicklungsstadium dieser außerirdischen Rasse sind. In allen Entwicklungsstadien ist jedoch das Schwarze Öl stets präsent; es ist die eigentliche außerirdische Rasse.

In der Zwischenzeit ist Mulder dabei, mittels eines neuen Verfahrens in mühsamer Kleinarbeit die X-Akten aus ihren Überresten zu rekonstruieren. Er und Scully müssen sich einer neuerlichen Anhörung unterziehen, in der es um ihre Petition geht, wieder den X-Akten zugeteilt zu werden. Die Anhörung ist für den Zuschauer recht amüsant, geht es doch darum, einem völlig ahnungslosen Panel von FBI-Autoritäten die Mythologie zu erklären: "This entire story is essentially unintelligible and, therefore, encourages unintelligible analysis." ... "The plot is for these spacelings to take over the planet aided by a group of men here on earth? Who are growing corn in the middle of the desert which features pollen which was genetically altered to hold a virus which will be taken away by bees whose sting transmits the virus, causing the growth of an extraterrestrial biological entity inside the human host?" Klingt doch alles sehr plausibel und bodenständig :lol: Es endet damit, dass die X-Akten Jeffrey Spender und Diana Fowley übertragen werden; vor allem Spender ist Mulder gegenüber offen feindselig. Bei der Entscheidung, Jeffrey Spender den X-Akten zuzuteilen, hat sicherlich der Raucher die Strippen gezogen; es wird auch deutlich gemacht, dass Spender voll unter dessen Einfluss steht. Über Fowley wiederum erfährt man, dass sie nicht nur mit Mulder an den X-Akten gearbeitet hat, sondern sie diese zusammen mit ihm entdeckt hat: "You and I found the X-Files together". Während Scully Vorbehalte gegenüber Fowley hat, vertraut Mulder ihr offenbar nahezu blind.

Skinner ist derjenige, der Mulder in den Fall bringt und ihm die Akte zuschanzt; er will immer noch Mulder und Scully helfen, ihre Aussagen über die Ereignisse in "Fight The Future" zu beweisen. Formal jedoch werden sie einem anderen Vorgesetzten zugeteilt, Assistant Director Alvin Kersh, ein unangenehmer Typ, der offensichtlich entschlossen ist, die beiden aufsässigen Agenten zur Räson zu bringen. Laut Aussagen von Produzent Frank Spotnitz war die Einführung von Kersh ein Versuch, die Spannung zwischen Mulder und Scully und ihrem Vorgesetzten zurückzubringen, nachdem Skinner inzwischen doch recht offensichtlich auf Seiten der Agenten ist. Auch im Hinblick auf Scully scheint "The Beginning" etwas den Reset-Button zu bedienen, und sie wieder stärker zur Skeptikerin machen zu wollen. Ich muss sagen, dass dies an diesem Punkt langsam wirklich unglaubwürdig und ärgerlich wird. Natürlich hat Scully in "Fight The Future" wieder nicht gesehen, wie das UFO abhob. "Mulder, let me remind you once again: what I saw was very little." Mulder reagiert darauf verständlicherweise verärgert. "What does it take? For this thing to come up and bite you on the ass?" Den Eindruck kann man in "The Beginning" wirklich bekommen. Nach fünf Jahren ist an Scullys Skeptizismus, gegeben die Parameter des Akte X-Universums, nichts Rationales oder Wissenschaftliches mehr. Es erweckt den Eindruck, dass sie sich selbst belügt, und das ist auch, was Gibson Praise suggeriert: "You already know. You just don't want to believe it."

Gibson, der am Ende von "The End" in den Händen des Syndikats landete, wurde von diesen allen möglichen Tests, darunter Gehirnoperationen, unterzogen. Außerdem wird er vom Raucher benutzt, um mit Hilfe seiner mentalen Fähigkeiten das entkommene Alien zu finden. Er führt den Raucher und seine Leute zum Kraftwerk, kann ihnen aber dort selbst entwischen und sich im Wagen von Mulder und Scully verstecken. Auch Scully macht weitere Tests mit Gibson, und findet bestätigt, was Mulder schon in "The End" vermutete: Das als außerirdisch vermutete Virus ist Teil der Junk-DNA, die in Gibsons Fall aktiv ist, und für seine Fähigkeiten, Gedanken lesen zu können, verantwortlich ist. Somit wären alle Menschen teilweise außeriridisch. (The plot thickens.)

"The Beginning" ist sicher nicht die beste Staffel-Premiere, die Serie tut sich noch etwas schwer, sich in der neuen Umgebung einzufinden. Dank der Szenen im Kraftwerk hält sich der optische Bruch jedoch noch in Grenzen; diese sind auch wieder sehr gut inszeniert. Ansonsten gelingt es recht gut, die Handlungsfäden von "The End" und "Fight The Future" zusammenzuführen. Die Folge hat etliche humoristische Elemente, so werden - längst überfällig - Mulder und Scully ihre ausufernden Reisekosten unter die Nase gerieben (so ein Trip in die Antarktis ist ja nicht gerade eine Ermittlung um die Ecke). Ein Kraftwerksmitarbeiter heißt "Homer" (nach den Simpsons, wo Duchovny einen Gastauftritt hatte), und vor allem die selbstironische Szene, als die Vorsitzende des FBI-Panels die Mythologie aus Sicht einer Unbeteiligten zusammenfasst, hat mir sehr gut gefallen. Etwas ärgerlich fand ich Scullys übertriebenen Skeptizismus, und dass das Alien ebenso wie Gibson Praise einfach so in ein Atomkraftwerk hineinspazieren kann, ist mir der Fiktion zuviel. Ich vergebe schwache fünf Alien-Klauen dafür.
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » So 14. Jul 2019, 18:36

Folge 2, Staffel 6: "Die Fahrt / Drive"

Drehbuch: Vince Gilligan
Regie: Rob Bowman



In Nevada ist eine Auto-Verfolgungsjagd zwischen der Polizei und einem vermeintlichen Geiselnehmer im Gange, an deren Ende die vermutete Geisel den Kopf gegen das Autofenster schlägt und stirbt. Mulder, der diesen Vorfall bei einem Routineeinsatz zufällig im Fernsehen sieht, schaltet sich in die Ermittungen ein. Als Scully die Frau obduziert, stellt sie fest, dass sie an einem geplatzten Innenohr gestorben ist. Bald zeigt der Mann der verstorbenen Frau auch Krankheitssymptome. Er nimmt Mulder als Geisel und verlangt von ihm, dass er mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Westen fährt.

Noch mehr als in der Staffelpremiere ist in "Drive" deutlich sichtbar, dass die Serie nach Kalifornien umgezogen ist. Ein Großteil der Handlung findet bei Tageslicht auf langen Landstraßen durch die Wüste statt; dies wäre sicherlich in Vancouver schwierig zu filmen gewesen. Es ist an einer Stelle sogar ein Schild "Welcome To California" zu sehen. Mulder und Scully verfolgen im Auftrag des FBI einen verdächtigen Ankauf von Kunstdünger, als sie im Fernsehen einen Bericht über einen vermeintlichen Kidnapping-Fall sehen: Es hat den Anschein, als würde der Fahrer eines Wagens mit einer Geisel in einer Hochgeschwindigkeitsjagd vor der Polizei fliehen. Mit einer Spikes-Falle kann die Polizei den Wagen stoppen; die vermutete Geisel, seine Frau, beginnt aber, ihren Kopf gegen das Autofenster zu schlagen, ihr Schädel platzt und sie stirbt. Mulder, den der Routineauftrag ohnehin nervt, will sich sofort in den mysteriösen Fall einschalten, und Scully protestiert zwar etwas halbherzig, kommt aber dann ziemlich schnell mit.

Bei der Autopsie der Beifahrerin stellt Scully fest, dass sie an einem geplatzten Innenohr gestorben ist. In weiteren Ermittlungen stößt sie auf tote Hunde und Vögel, die auf ähnliche Weise zu Tode gekommen sind, und entwickelt die Theorie, dass Regierungsexperimente mit niedrig-frequenten Radiowellen verantwortlich sind. (Das erwähnte Project Seafarer existierte tatsächlich und war Gegenstand von umwelt- und gesundheitspolitischen Kontroversen. Die letzten Experimente dieser Art wurden 2004 eingestellt.)

In der Zwischenzeit entwickelt der festgenommene Crump ähnliche Symptome wie seine verstorbene Frau. Er nimmt Mulder als Geisel und zwingt ihn, mit dem Auto in Richtung Westen zu fahren - nur schnelle Bewegung in westlicher Richtung kann den Druck auf dem Innenohr mildern. Mulder flieht mit Crump vor den Polizeisperren, während es Scully gelingt, eine Lösung zu finden - aber sie kommt zu spät. Als sie Mulder schließlich einholt, ist Crump bereits gestorben.

Die Prämisse der Geschichte - Mulder ist im Auto eingesperrt mit einem Mann, dessen Schädel explodiert, wenn er langsamer oder nicht mehr in Richtung Westen fährt - ist recht einfach, aber dennoch dramatisch. Hinzu kommt, dass der betroffene Crump ein reichlich unsympathischer Charakter ist. Er ist offener Antisemit und beklagt sich über eine jüdische Weltverschwörung, als deren Teil er Mulder vermutet, von dem er wegen seines Namens glaubt, dass er Jude ist. Mulder reagiert darauf zwar erkennbar giftig, hat jedoch - wenig überraschend - für Crumps Misstrauen gegenüber der Regierung mehr Verständnis. Er versucht, Crump zu helfen, selbst als er an der Tankstelle Gelegenheit hätte, Crump zu entkommen. Trotz seiner unangenehmen Art empfindet man so etwas wie Sympathie oder zumindest Mitleid für Crump, spätestens, als er erzählt, wie es seiner Frau am Morgen ergangen ist. Viel davon ist Bryan Cranstons schauspielerischer Leistung zu verdanken, der die sympathischen und verabscheuungswürdigen Seiten Crumps gleichermaßen glaubhaft herüberbringt. So ist es, als Crump am Ende die Fahrt nicht überlebt, durchaus ein bewegender Moment.

Ob Crump mit seiner Vermutung recht hat, dass er und seine Frau Teil eines finsteren Regierungsexperiments war, oder ob es sich um einen Unfall handelte, wie die zuständige Behörde Scully versichert, wird in der Episode nicht aufgelöst. Mulders und Scullys neuer Vorgesetzter Kersh ist jedenfalls der Meinung, dass der ganze Einsatz hinausgeworfenes Geld war (er listet detailliert die angefallenen Kosten auf) und lässt keines von Scullys Argumenten gelten, nach denen ihr Eingreifen Leben gerettet hätte - er glaubt sogar der Behörde, dass die Sendemasten zufällig im Anschluss an den Vorfall abgebaut wurden. Selbst Scully ist am Ende von ihrer Unterredung mit Kersh frustriert; man muss schon sagen, derart eiskalt und antagonistisch war Skinner selbst zu Beginn der Serie nicht.

"Drive" ist eine sehr temporeiche Episode mit spannenden Szenen, von denen die markanteste die an der Tankstelle ist, als Mulder wegen der zu langen Verzögerungen einen Wagen der Tankstelle entwendet. Die Aufnahmen in der Wüste erzeugen eine Art Western-Feeling, das dem neuen Drehort zu verdanken ist. Die größte Stärke der Folge ist das Zusammenspiel zwischen Mulder und Crump, und die schauspielerische Leistung von Bryan Carston. Das Ende der Episode, als Mulder und Scully in ihrem Versuch, Crump zu retten, scheitern, ist bewegend, und Mulders Frustration steht ihm ins Gesicht geschrieben. Wie öfter bei Vince Gilligan braucht es einige logische Bocksprünge bzw. die Bereitschaft, über Löcher hinwegzusehen - so ist mir völlig schleierhaft, weswegen man gerade nach Westen fahren muss. Mir persönlich fehlen auch wieder etwas die tieferen Schichten in der Geschichte, es ist halt praktisch eine reine Action-Episode, wenn auch eine recht gut gemachte. Ich vergebe vier Tankstellenautos dafür.
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » Di 16. Jul 2019, 20:55

Folge 3, Staffel 6: "Im Bermuda-Dreieck / Triangle"

Drehbuch: Chris Carter
Regie: Chris Carter



Mulder macht sich im Bermuda-Dreieck auf die Suche nach einem vor 60 Jahren verschollenen Luxus-Kreuzer, der auf Satellitenbildern wieder aufgetaucht ist. Als er in einen Sturm gerät und von Seeleuten gerettet wird, findet er sich tatsächlich auf dem Schiff wieder - allerdings ist es dort das Jahr 1939, und die Welt befindet sich im Krieg. Die britische Crew hält ihn für einen deutschen Spion. Während er verhört wird, wird das Schiff von Nazis überfallen, die auf der Suche nach einem Wissenschaftler mit Plänen für eine gefährliche Waffe sind.

"Triangle" ist wieder eine von Carters Experimentierfolgen, eine Hommage an den "Zauberer von Oz" und die Werke von Alfred Hitchcock, verpackt in eine Zeitreise, die im zweiten Weltkrieg spielt. Mulder, wahrscheinlich aus Frustration über seine Arbeitssitution, begeht eine Riesendummheit: Als auf Satellitenfotos ein vor 60 Jahren im Bermuda-Dreieck verschollener Luxus-Liner, die Queen Anne, unerklärlicherweise an derselben Stelle wieder auftaucht, macht Mulder sich allein mit einem Motorboot auf, um das Schiff zu finden. Er gerät in einem Sturm und kentert; als er von einer Gruppe von Seeleuten aus dem Wasser gefischt wird, findet sich er prompt auf der verschollen geglaubten Queen Anne wieder. Allerdings stellt sich heraus, dass er in der Vergangenheit gelandet ist: Auf dem Schiff schreibt man das Jahr 1939. Die britische Besatzung hält ihn für einen deutschen Spion, verhört ihn und sperrt ihn ein, als das Schiff von den Nazis geentert wird. Die Nazis suchen nach "Thors Hammer"; die britischen Seeleute halten dies für eine Waffe, aber Mulder sagt ihnen, dass es der Deckname eines Wissenschaftlers mit Plänen für eine kriegsentscheidende Waffe ist. Mulder gerät in die Konfronation der Nazis mit den Schiffspassagieren und muss verhindern, dass der Wissenschaftler in die Hände einer der beiden Seiten gerät, weil sonst die gesamte Geschichte verändert wird.

Auf dem Schiff begegnet Mulder allen möglichen Leuten, die er aus seinem Leben in der Gegenwart kennt, und die auf diesem Schiff Spiegelbilder ihrer Rollen in seinem wirklichen Leben spielen: Der Raucher ist ein Nazi-Kommandant (was angesichts seiner Kollaboration mit Nazi-Ärzten und seiner Rolle in der Verschwörung keine Überraschung ist), Spender ist sein Laufbursche, den er beauftragt, Informationen aus Mulder herauszubekommen. Skinner ist ein Untergebener des Rauchers, versucht aber, das Richtige zu tun, und die Passagierin Scully kommt Mulder zu Hilfe und ermöglicht ihm die Flucht (zum Abschied gibt es endlich den von Shippern langersehnten Kuss zwischen Mulder und - allerdings der falschen - Scully, woraufhin Mulder sich eine heftige Ohrfeige fängt). Kersh ist Chef über den Maschinenraum und wieder ein äußerst unangenehmer Typ. Es erinnert alles etwas an "The Field Where I Died" in Staffel 4, als verschiedene Personen in gänzlich unterschiedlichen Zeitabschnitten in ähnlichen Rollen wieder auftauchten.

In der Gegenwart wird die Scully des Jahrs 1998 von den Lone Gunmen über das Verschwinden von Mulder informiert, und setzt alles in Bewegung, um ihn wiederzufinden. Die Lone Gunmen brauchen Informationen über Schiffsüberwachungen aus dem Pentagon, und sie wendet sich erst an Skinner, der sie zunächst abwimmelt, dann an Kersh, bei dem aber der Raucher herumlungert. Schließlich versucht sie Spender einzuschüchtern, um an die Informationen zu kommen, wird von diesem aber an Kersh verpetzt. Die Szenen, als Scully wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gänge des FBI hetzt und Skinner und Spender um Hilfe bittet, gehören zu den stärksten der Episode, was Gillian Andersons komödiantischem Talent zu verdanken ist - besonders als Scully Spender im Kellerbüro zur Schnecke macht und dann Skinner, der ihr am Ende dann doch hilft, aus Dankbarkeit impulsiv küsst. Als Mulder am Ende der Episode wieder aufgefunden wird und im Krankenhaus zu sich kommt, macht er Scully eine Liebeserklärung, die diese aber darauf zurückführt, dass er unter Medikamenten steht.

Die Episode lässt offen, was mit Mulder tatsächlich geschehen ist - hat er das Erlebnis nur geträumt, war es eine Reise in eine andere Dimension? Eine Zeitreise im engen Sinne scheidet eigentlich aus, da ähnlich wie in "The Field Where I Died" hier die Daten - vor allem die Anwesenheit des ca. 60-jährigen Rauchers im Jahr 1939 - wieder nicht in Einklang zu bringen sind. Interessant ist jedenfalls, dass Mulder, als er wieder zu sich kommt, die Nachwirkungen von Scullys Ohrfeige spürt.

Mit der Handlung, in der der Protagonist an einem surrealen Ort bekannten Personen in anderen Rollen begegnet, ist "Triangle" vor allem eine Hommage an den 1939 erschienenen Film "Der Zauberer von Oz", was auch in weiteren Anspielungen verdeutlicht wird. So spielt die Handung von "Triangle" im Jahr 1939, Skinners Hund hört auf den Namen Toto (des Hundes der Protagonistin in "Oz", Mulders Motorboot heißt "Lady Garland", nach der Hauptdarstellerin Judy Garland. Der Kapitän der Queen Anne ist nach dem Komponisten von "Oz" benannt, und die Schlussszene am Krankenhausbett ist derjenigen in "Oz" nachgestellt.

Was die Inszenierung angeht, ist "Triangle" sehr ungewöhnlich angelegt und umgesetzt, von Hitchcocks Film "Rope" inspiriert. Die Episode besteht aus vier jeweils elf Minuten langen ununterbrochen gefilmten Sequenzen (obwohl sie nicht völlig zusammenhängend gefilmt sind, wurden sie sehr geschickt so zusammengeschnitten, dass die jeweiligen Abschnitte ununterbrochen erscheinen). Dadurch, dass es keine sichtbaren Schnitte gibt, folgt die Kamera stets einer Person - es verleiht der Folge eine enorme Dynamik, von der vielleicht am Meisten Scullys Suche nach Informationen durch das FBI-Gebäude profitiert. (Laut Produktionsnotizen sind es insgesamt nur 24 Einstellungen, aus denen "Triangle" zusammengefügt ist.) Der Höhepunkt ist schließlich der vorletzte Akt, als die Episode in einer Split-Screen-Einstellung die 1998er und 1939er Scully zeigt, wie sie in verschiedenen Zeitebenen denselben Korridor entlanggehen und sich kurz etwas verwirrt umdrehen, als hätten sie das Gefühl, dass hier etwas Merkwürdiges im Gange ist.

Die außergewöhnliche und fantasievolle Inszenierung ist wahrscheinlich die größte Stärke von "Triangle". Darüber hinaus ist "Triangle" eine sehr unterhaltsame Episode, die zu einem erheblichen Teil von Andersons schauspielerischer Leistung lebt. Was man hier wirklich kritisieren muss, ist die Synchronisation; dadurch, dass in der deutschen Fassung sowohl die Briten und Mulder als auch die Nazis Deutsch sprechen, geht sehr viel an den gegenseitigen Verständigungsschwierigkeiten verloren. Der insgesamt sehr gelungenen und unterhaltsamen Episode kann man dies jedoch nicht vorwerfen. Ich vergebe gute fünf Satellitenfotos dafür.
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » Sa 20. Jul 2019, 18:58

Folge 4, Staffel 6: "Dreamland (Teil 1) / Dreamland I"

Drehbuch: Vince Gilligan, John Shiban & Frank Spotnitz
Regie: Kim Manners



Mulder und Scully sind auf dem Weg zur Area 51, um einen Informanten zu treffen, der angeblich Beweise für Experimente mit außerirdischen Technologien hat. Auf dem Weg dorthin werden sie von einer Militärpatrouille aufgehalten. Als kurz darauf ein unbekanntes Flugobjekt über die Gruppe hinwegfliegt, tauschen Mulder und ein Army-Mitarbeiter die Körper, und müssen fortan mit dem Leben des jeweils anderen klarkommen.

"Dreamland I" ist die erste echte Komödie der sechsten Staffel, und außerdem mit dem klassischen Science Fiction-Thema des Körpertauschs durch Verwerfungen in der Raumzeit eine eher untypische X-Akte. Akte X tat sich mit solchen Stoffen bisher immer eher schwer, und mit der Logik dieser Körpertausch-Geschichte ist es auch in diesem Zweiteiler wieder nicht weit her. Der komödiantische Einschlag der Episode und ihr eigentliches Thema werden gleich im Teaser angerissen: Mulder und Scully fahren mitten in der Nacht durch die Wüste, weil Mulder von einem Informanten kontaktiert wurde, der angeblich Beweise für militärische Experimente mit außerirdischer Technologie in der Area 51 hat. "Don't you ever just want to stop?", fragt Scully, "Get out of the damn car? Settle down and live something approaching a normal life?" - "This *is* a normal life", entgegnet Mulder. Man kann das im Allgemeinen bezweifeln, aber für Mulder scheint das gültig zu sein, denn in "Dreamland" erfährt man, wie sich Mulder anstellt, wenn er in etwas hineingerät, was man gemeinhin für ein normales Leben hält.

Die Agenten werden von einer Militärpatrouille von Men in Black aufgehalten und während dieser Begegnung überfliegt ein unbekanntes Flugobjekt die Gruppe. Man sieht ein gleißendes Licht und als es wieder verschwindet, findet sich Mulder im Körper des Anführers der Men in Black-Gruppe, Morris Fletcher, wieder und umgekehrt. (Der Tausch Mulder / Fletcher ist nicht der einzige, der bei dem Vorfall ausgelöst wurde; es hat auch ein Militärpilot mit einer älteren Hopi-Indianerin den Körper getauscht, was für einige witzige Szenen sorgt.) Mulder ist nun gezwungen, für's Erste Morris Fletchers Leben zu leben, als Area 51-Mitarbeiter und Ehemann mit zwei Kindern im Teenager-Alter - eine Welt, in der er ein echter Alien ist. Mit Fletchers Ehe steht es nicht zum Besten und vor allem die Tochter scheint ihn zu hassen. Mulder ist völlig unfähig, mit der familiären Situation umzugehen, und macht die ohnehin brüchige Beziehung zu Fletchers Frau Joanne nur noch schlimmer. Er schläft im Wohnzimmer, sie erwischt ihn beim Ansehen eines Pornofilms und als er im Schlaf Scullys Namen murmelt und sie dann auch noch bei den Fletchers auftaucht, verdächtigt Joanne ihn, sie zu betrügen. Scully, der er erzählen will, was passiert ist, glaubt ihm nicht.

Währenddessen fährt Fletcher mit Scully zum FBI zurück und benimmt sich aus Scullys Sicht - die ihn ja für Mulder hält - äußerst wunderlich. Er verlangt von ihr, ihm an der Tankstelle Zigaretten zu holen, er schleimt sich bei Kersh ein und bändelt mit dessen Sekretärin an; Scully spricht er ständig mit "Dana" an und verpasst ihr einen Klaps auf den Hintern. Es ist etwas unverständlich, wieso Scully - die das Thema Körpertausch ja schon einmal erlebt hatte - nicht schneller daraufkommt, dass dies nicht Mulder sein kann. Gillian Andersons Darstellung von Scullys Reaktionen auf "Mulders" absonderliches Verhalten ist allerdings urkomisch.

Am Ende der Episode verpetzt Fletcher Mulder an die Militärpolizei als den Informanten, der Mulders Büro zu Beginn kontaktiert hatte. Mulder wird von der Militärpolizei festgenommen, als er Scully den Flugdatenschreiber des experimentellen Flugzeugs, das den Vorfall ausgelöst hat, als Beweismittel übergeben will. "You! You son of a bitch! You orchestrated this whole thing!", schreit er Fletcher an, der Scully begleitet hat, "he's not me, Scully! Would I do this?! Would I do this?! Scully...! Scully!" Scullys Gesichtsausdruck deutet an, dass sie nun langsam zu akzeptieren scheint, dass ihr "Partner" wirklich nicht der richtige Mulder ist.

"Dreamland I" ist eine recht unterhaltsame Episode, deren Handlung allerdings für meine Begriffe für einen Zweiteiler nicht ausreichend ist. So wirkt die Folge über weite Strecken doch recht schleppend und durch viele Gags aufgebläht. Die Unterhaltungen zwischen Mulder und Familie Fletcher auf der einen Seite und Fletcher und Scully sowie Kersh auf der anderen sind zwar witzig, aber auch vorhersehbar. Interessanter sind eigentlich Szenen wie die an der Tankstation, als Fletchers Schergen den verletzten Tankwart erst liegen lassen, dann ermordern, während Mulder einen Arzt herbeiholen will. Hier deutet sich an, dass man aus dem Stoff mehr hätte machen können, als die etwas flache Komödie, die "Dreamland I" geworden ist. Amüsant war immerhin die Demystifizierung der Men in Black und deren Alltagsarbeit, die sich hier doch sehr mondän darstellt. Positiv hervorzuheben ist Nora Dunns schauspielerische Leistung als Joanne Fletcher, die verhindert, dass Joanne zu einer Karikatur einer nervigen Ehefrau wird. Was mich etwas gestört hat, war der Technobabble über Raumzeit-Verwerfungen, die durch eine Fehlfunktion eines experimentellen Flugzeugs verursacht wurden - das hört sich an wie aus Star Trek und passt für meine Begriffe nicht zu Akte X. Auch Scullys Skeptizismus war in dieser Episode wieder einmal völlig überzogen, vor allem angesichts des wirklich höchst absonderlichen Verhaltens ihres Partners. Insgesamt fand ich "Dreamland I" eine zwar unterhaltsame, aber auch etwas flache Komödie. Ich vergebe knappe vier vergessene Milchtüten dafür.
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » So 21. Jul 2019, 15:56

Folge 5, Staffel 6: "Dreamland (Teil 2) / Dreamland II"

Drehbuch: Vince Gilligan, John Shiban & Frank Spotnitz
Regie: Michael Watkins



Der vom Militär verhaftete Mulder wird wieder freigelassen, nachdem sich der von ihm ans FBI übergebene Flugdatenschreiber als der falsche erweist. Er muss sich weiter mit Mrs Fletcher auseinandersetzen, die ihn samt Mobiliar vor die Tür gesetzt hat. Währenddessen genießt Fletcher weiter sein Leben als Fox Mulder und versucht, mit Scully anzubändeln, der nun endgültig klar wird, dass er nicht Mulder ist. Zusammen mit den Lone Gunmen versucht sie eine Möglichkeit zu finden, den Körpertauschprozess umzukehren.

Spätestens im zweiten Teil von "Dreamland" wird die Bereitschaft des Zuschauers zu logischen Bocksprüngen doch arg beansprucht. Das fängt schon mit Mulders Freilassung aus dem Militärgefängnis an. Weswegen Mulder dem FBI den falschen Flugdatenschreiber - ein Gerät aus einem verschrotteten Flugzeug - übergeben hat, bleibt völlig im Dunkeln; Mulders Absicht war es jedenfalls, daran besteht kein Zweifel, sicher nicht. Hat Mulder aus Versehen den falschen erwischt? Hatte General Wegman seine Finger im Spiel? Den Eindruck machte er auf mich aber nicht. Jedenfalls wird Mulder freigelassen und geht zurück zu Joanne, die mittlerweile Fletchers gesamte Habseligkeiten samt Mobiliar aus dem Haus geworfen hat. Er versucht Joanne zu überzeugen, dass er nicht ihr Mann, sondern ein FBI-Agent ist. Wie nicht anders zu erwarten, glaubt sie ihm nicht, sondern führt seine Erklärungen auf eine Midlife Crisis zurück.

In der Zwischenzeit hat Kersh Scully wegen Insubordination und mangelnden Teamgeists vorübergehend vom Dienst suspendiert. Fletcher versucht, die Situation auszunutzen, und lädt Scully zum Abendessen in Mulders Wohnung ein. Bei den Vorbereitungen stellt er erst einmal fest, dass Mulder kein Schlafzimmer hat - der entsprechende Raum ist voll mit Gerümpel und Pornomagazinen. Fletcher räumt die Wohnung auf und besorgt Mulder ein neues Schlafzimmer samt Wasserbett. Auch dieser Punkt ist hochgradig unplausibel, geradezu an den Haaren herbeigezogen. Fletcher muss mittlerweile ein paar Tage in Mulders Körper sein - erst jetzt fällt ihm auf, dass die Wohnung kein Schlafzimmer hat? Und dann schafft er es binnen Stunden, den gesamten Raum auszuräumen, und ein neues Schlafzimmer zu besorgen und zu installieren; die ganze restliche Wohnung wird natürlich nebenbei auch noch auf Hochglanz poliert. Als Scully dann bei ihm ankommt, versucht er sie ins Bett zu bekommen, aber inzwischen ist ihr klar, dass dieser Partner nicht Mulder ist. Sie schafft es, ihn auszutricksen und mit Handschellen ans Bett zu fesseln, woraufhin er seine wahre Identität eingesteht. Sie werden vom Informanten kontaktiert, der Mulder den richtigen Flugschreiber übergeben will. Als Übergabeort wird die Little A’Le’Inn-Bar in der Nähe der Area 51 vereinbart. Dort entpuppt sich der Informant als niemand anderes als der Leiter der Area 51, General Wegman selbst.

In eben diese Bar hat Mulder in der Zwischenzeit Joanne eingeladen, in einem Versuch, das Verhältnis zu retten. Dort trifft er - anscheinend rein zufällig - auf Scully und Fletcher, ebenfalls anwesend sind die Men in Black, die auf der Suche nach dem Maulwurf unter den Area 51-Mitarbeitern sind. Unter einigen Komplikationen landet der Flugdatenschreiber schließlich in Scullys Händen, die ihn zusammen mit Fletcher zu den Lone Gunmen bringt. Die finden zwar heraus, was geschehen ist, aber wie die Situation zu lösen ist, wissen sie nicht. Das ist auch nicht nötig, denn in der Zwischenzeit beginnt sich die Raumzeit-Verwerfung von selber umzukehren. Mulder und Fletcher müssen nur rechtzeitig an die Ausgangsstelle zurückkehren, dann ist der Zustand vor dem Körpertausch wieder hergestellt.

"Dreamland II" hat durchaus einige interessante Elemente; so geht die Episode ähnlich wie "Small Potatoes" aus Staffel 3 der Frage nach, wie Mulders Leben aussehen würde, wenn er ein anderer, weniger sperriger Charakter wäre. Kam "Small Potatoes" noch zu der Schlussfolgerung, dass Mulder ein "Loser by Choice" ist, so fällt das Urteil in "Dreamland II" wesentlich freundlicher aus. Zwar lässt auch "Dreamland II" keinen Zweifel daran, dass Mulder es wesentlich einfacher und angenehmer haben könnte, aber in der Gegenüberstellung mit Fletcher - der die Gelegenheit im Wesentlichen dazu benutzt, aus seinen familiären Verpflichtungen herauszukommen und seine Frau mit allen möglichen anderen Frauen zu betrügen - kommt Mulders Unangepasstheit und Isolation eher als eine Charakterstärke herüber. Am deutlichsten wird das zum Ende von "Dreamland I", als Fletcher Mulder an Kersh verrät und die Men in Black sich wundern, warum ihr Boss den schwer verwundeten Tankwart nicht einfach liegen lässt. Zwar hinterlässt Mulder seinerseits im Hause Fletcher ein familiäres Desaster, dies aber nicht, weil er jemanden ausnutzen will. Vielmehr versucht er, den angerichteten Schaden zu reparieren. Immerhin wird Fletcher gegen Ende etwas sympathischer, als er seiner völlig verstörten Frau erklärt, dass er - und nicht Mulder - ihr Ehemann ist.

Eine andere Sache, die mir in "Dreamland" gut gefallen hat, war die Dekonstruktion der Men in Black und der Area 51. Insgesamt sind Fletcher und seine Mannen völlig durchschnittliche Charaktere, der eine oder andere scheint sogar ein rechter Einfaltspinsel zu sein. Besonders witzig fand ich die Konversation Mulders mit General Wegman, nachdem sich Mulder ihm gegenüber als der FBI-Agent identifiziert hat, den Wegman ursprünglich kontaktiert hat. Mulder fragt Wegman, was "die Wahrheit" über die Einrichtung ist - und der reagiert völlig perplex: "You mean... You don't know?" Wie sich herausstellt, weiß Wegman ebenso wenig über die experimentellen Flugzeuge wie Mulder: "What *is* going on here at Area 51? What are these black-budget projects? We just fly these birds. They don't tell us what makes them go. They engineer them all up in Utah," und: "Do aliens really exist, Agent Mulder?" Ein nettes Detail war auch der Eingangsmonolog von Fletcher in "Dreamland II", der sehr an José Chungs Erzählungen in der Episode "José Chung's 'From Outer Space'" erinnerte.

Solche Elemente und einige weitere Szenen (Scullys und Fletchers Besuch bei den Lone Gunmen; Mulder und Scully, als sie ihm erklärt, dass er vielleicht nie mehr Fletchers Körper verlassen kann) bewahren "Dreamland" davor, im Desaster zu enden. Denn die Geschichte an sich hat, vor allem im zweiten Teil, einfach zu viele Löcher. Die Zufälle und die logischen Verrenkungen, die notwendig sind, um die Handlung am Laufen zu halten, habe ich teilweise schon erwähnt. Mulder, der offenbar zufällig den falschen Flugdatenschreiber erwischt, und später zufällig mit Joanne zur richtigen Zeit in der richtigen Bar ist, die wundersame Komplettrenovierung von Mulders Apartment innerhalb von Stunden. Im Grunde tut auch niemand etwas dazu, dass sich schließlich die Raumzeit-Verwerfung umkehrt und das Problem gelöst wird - die Umkehrung erfolgt von selbst. Vollends zum Vergessen ist dann der Reset-Button am Ende, zumal er auch noch inkonsequent und inkonsistent ist. Für die Charaktere ist es, als hätten die Ereignisse nie stattgefunden, was vor allem im Hinblick auf das künftige Schicksal der Familie Fletcher ärgerlich ist. Aber auch Mulder kann aus seiner Erfahrung mit einem "normalen Leben" nichts mitnehmen und nichts lernen. Seltsamerweise ist sein Wasserbett immer noch vorhanden und auch die verschmolzenen Münzen aus dem Vorfall gibt es noch. Die Episode kann sich hier nicht entscheiden, was von dem Vorfall nun umgekehrt wurde und was nicht. Das Bett und die Münzen zeigen, dass nicht alles vom Reset betroffen war - man könnte meinen, es sei nur das Gebiet um die Area 51 betroffen. Aber nicht nur Mulder und Scully erinnern sich an nichts, sondern auch Kersh hat die Vorgänge der letzten Tage offenbar vergessen: "I just wanted to let you know that we slipped under Kersh's radar. Our little field trip to Nevada went unnoticed." Obwohl Scully doch eigentlich wegen ihres "Field Trips" suspendiert worden ist.

Also das ist alles ziemlich unbefriedigend, und für einen Zweiteiler an Pay-Off viel zu wenig. Zudem hat auch "Dreamland II" erhebliche Längen; vor allem die ganzen Szenen im Gefängnis mit der Hopi-Indianerin hätte man sich m.M.n. komplett sparen können. Ich vergebe insgesamt drei Flugdatenschreiber dafür.
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » Sa 27. Jul 2019, 20:17

Folge 6, Staffel 6: "Die Geister, die ich rief / How The Ghosts Stole Christmas"

Drehbuch: Chris Carter
Regie: Chris Carter



Es ist Weihnachtsabend, und Mulder schleppt Scully mit zur Observierung eines Hauses, in dem es angeblich spuken soll. Der Geschichte dahinter zufolge begingen im Jahr 1917 zwei Liebende Selbstmord, auf dass sie durch den Krieg nicht getrennt würden und ihre Liebe ewig währen sollte. Seither kommen sie jedes Jahr zu Weihnachten zurück, um junge Pärchen dazu zu bringen, es ihnen gleich zu tun. Drei Ehepaare sind dem offenbar seither zum Opfer gefallen. Scully hält die Geschichte für Humbug - bis die beiden plötzlich tatsächlich den beiden Geistern gegenüber stehen.

Die experimentelle Phase der sechsten Staffel geht weiter, mit einem der klassischen Horrorthemen, die Akte X noch nicht behandelt hat: Einem Spukhaus. Gleichzeitig ist "How The Ghosts Stole Christmas" die Akte X-Variante einer Weihnachtsgeschichte. Mulder ruft die etwas widerwillige Scully am Heiligabend zu einem Haus, das angeblich von Geistern heimgesucht wird. An Weihnachten im Kriegsjahr 1917, so erzählt er ihr, hat ein junges Paar aus Angst davor, getrennt zu werden, in dem Haus einem Mitnahme-Selbstmord begangen. Seither kehren die Geister von Maurice und Lyda jedes Jahr zu Weihnachten in das Haus zurück. Drei Doppelselbstmorde haben sich seither in dem Haus ereignet, alle an Heiligabend. Scully ist erst etwas genervt und will wieder nach Hause fahren - schließlich will sie am nächsten Tag Weihnachten mit ihrer Familie feiern und muss noch Geschenke einpacken - aber ihre Autoschlüssel sind verschwunden. So folgt sie Mulder entgegen aller anderweitigen Vorsätze doch in das Haus. Dort ereignen sich alle möglichen merkwürdigen Dinge: Es schlägt elf Uhr, die Haustür verschließt sich von selbst und lässt sich nicht mehr öffnen, es brennt plötzlich Licht im Haus, obwohl von außen nichts zu sehen war, in einem Kamin liegt noch glühendes Holz, und als die Agenten den Raum verlassen wollen, führt sie die nächste Tür wieder in denselben Raum. Vollends gespenstisch wird es, als sie unter den Holzdielen ein Klopfen hören und ihre eigenen verwesten Leichen darunter finden. Die beiden trennen sich, um einen Weg nach draußen zu finden und begegnen prompt den beiden Geistern.

Maurice und Lyda, die die Agenten für ein Pärchen halten, versuchen jeder für sich, Mulder und Scully mit Psychotricks zu manipulieren, um sie dazu zu bringen, es ihnen gleichzutun und auch einen Mitnahme-Selbstmord zu begehen - so wie es ihnen schon bei mindestens drei Paaren zuvor gelungen ist. Dabei sprechen sie bekannte Punkte an den Verhaltensweisen der Charaktere an, auf die in der Serie und von den Fans schon öfter hingeweisen worden ist. So beschreibt Maurice Mulder als "a narcissistic, overzealous, self-righteous egomaniac" und warnt ihn, wie das wohl enden wird: "you're prone to obsessive compulsiveness workaholism, antisocialism... Fertile fields for the descent into total wacko breakdown." Er glaubt, die Aliens existieren nur in Mulders Fantasie und Mulder sehe diese Dinge, weil er einsam ist: "A lonely man chasing paramasturbatory illusions that you believe will give your life meaning and significance and which your pathetic social maladjustment makes impossible for you to find elsewhere." Als Mulder darauf hinweist, dass er nicht allein, sondern mit Scully da ist, fragt Maurice ihn, ob er ihre Autoschlüssel gestohlen hat, damit sie mit ihm kommt. (Was mit Scullys Autoschlüsseln passiert ist, lässt die Episode offen; es ist gut möglich, dass Mulder tatsächlich verantwortlich ist.) Scully wiederum muss sich von Lyda auch so einiges anhören. "You must have an awful small life. Spending your Christmas Eve with him… Running around chasing things you don’t even believe in," und sie behauptet, dass Scully co-abhängig ist. Auch Scullys sturer Skeptizismus wird thematisiert: "Maybe you repress the truth about why you're really here pretending it's out of duty or loyalty, unable to admit your dirty little secret. Your only joy in life is proving him wrong."

Letztlich bewirkt es aber nichts, der ganze Psycho-Babble kann Mulder und Scully nicht in den Mitnahme-Selbstmord treiben, und besonders Maurice ist erkennbar frustriert: "This pop psychology approach is crap. All it does is annoy them. When's the last time we actually haunted anyone?" - "We used to have years to drive them mad. Now we get one night!" rechtfertigt sich Lyda. Die Geister greifen zu grobschlächtigeren Methoden und billigen Tricks: Erst erscheint Lyda Scully in Mulders Gestalt und "erschießt" sie, dann erscheint sie Mulder als Scully und "erschießt" diesen. Es dauert aber nicht lange, bis Mulder die Illusion als das erkennt, was sie ist, und ihm klar wird, dass sie beide unversehrt sind.

Die Geister Maurice und Lyda fungieren in "How The Ghosts Stole Christmas" als Spiegelbilder und Spiegel von Mulder und Scully. Auch Maurice und Lyda sind ein schrulliges Paar, und als sie ihre Pläne samt der Durchführung in der Vergangenheit und Gegenwart diskutieren, sieht man die Geschichte von ihrem Standpunkt aus; für die beiden ist das alles nur ein etwas bizarres Spiel. Mulder ist schockiert, dass die Geister gealtert sind: "What happened to the star-crossed lovers?" - "Oh, let me tell you the romance is the first thing to go." Trotzdem erweckt die Episode den Eindruck, dass Maurice und Lyda sich immer noch lieben, und es genießen, ihre Späße zusammen zu treiben. "We haven't forgotten the meaning of Christmas." Auch Mulder und Scully bekommen zum Ende der Episode noch eine schöne Weihnachtsszene: Zurück in seiner Wohnung wird Mulder von Scully besucht, die nicht schlafen konnte, und obwohl sie sich versprochen haben, dass sie sich nichts schenken, tauschen sie Geschenke aus.

"How The Ghosts Stole Christmas" ist eine gleichermaßen gruselige wie lustige und warmherzige Weihnachtsepisode, die hervorragend zu den X-Akten passt. Besonders die Szene, als Lyda erst vorgibt, Mulder, und dann Scully zu sein, und beide "erschießt", ist reinste schwarze Komödie, ebenso wie die entgegen ihrer Versicherungen und Rationalisierungen von dem Spukhaus offenkundig völlig verängstigte Scully. Urkomisch war auch die Szene, als die beiden Agenten vor den vermeintlichen Leichen unter dem Dielenboden wie die verängstigten Kinder weglaufen. Abgesehen von Scullys Monolog darüber, dass die Vorstellung von Geistern mehr über die Lebenden als über die Toten sagt, lässt die Episode offen, was in dem Spukhaus tatsächlich geschehen ist. Letztlich geht es aber in "How The Ghosts Stole Christmas" auch nicht um das Spukhaus, sondern um eine Betrachtung der Charaktere Mulder und Scully, und über die sagt die Episode sehr viel - wenn es auch nur eine komprimierte Zusammenfassung von bereits Bekanntem ist. Schon allein, dass Mulder - obwohl er nicht mehr den X-Akten zugeteilt ist, dies somit eigentlich eine Freizeitbeschäftigung ist - an Heiligabend anscheinend nichts anderes zu tun weiß, als zu einem Spukhaus zu fahren, passt ins Bild. Ebenso die treffenden Analysen der Agenten durch die beiden Geister, die die Einsamkeit der beiden für ihre Zwecke ausnutzen.

Im Hinblick auf die Inszenierung ist die Episode ein weiteres Experiment. Praktisch die ganze Folge spielt am selben Ort, im Spukhaus, und außer Mulder und Scully gibt es nur zwei andere Charaktere, die hervorragend gecastet sind: Lily Tomlin und Ed Asner geben zwei wunderbar schrullige Geister ab. Auch das Spukhaus ist wunderbar inszeniert, inklusive aller klassischen Elemente wie der geisterhaften Atmosphäre, den Leichen unter den Dielen etc. Schließlich ist da noch der ebenso weihnachtliche wie Akte X-typische Abschluss mit Mulder und Scully, die - vor den Blicken der Zuschauer geschützt - ihre Geschenke auspacken; was sie sich geschenkt haben, erfährt man nicht. Mir hat Carters Weihnachtsgeschichte außerordentlich gut gefallen; ich vergebe gute fünf verlorene Autoschlüssel dafür.
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » Mo 5. Aug 2019, 19:18

Folge 7, Staffel 6: "Zeit der Zärtlichkeit / Terms of Endearment"

Drehbuch: David Amann
Regie: Rob Bowman



Aus Virginia wird ein mysteriöses Verschwinden eines Babies gemeldet: Die hochschwangere Mutter behauptet, eine dämonische Gestalt habe es ihr in der Nacht aus dem Leib gerissen. Mulder, der den Fall in Spenders Papierkorb findet, verdächtigt den Ehemann der Frau, ein Dämon zu sein, während Scully von einer drogeninduzierten Halluzination ausgeht. Wie sich herausstellt, hat der Mann noch eine weitere Ehefrau, die ebenfalls hochschwanger ist.

"Terms of Endearment" ist eine klassische Monster of the Week-Story mit offensichtlichen Ähnlichkeiten zu Roman Polanskis Film "Rosemary's Baby" - allerdings mit einem Twist (Scully erwähnt sogar gleich zu Beginn, den Film am Abend zuvor im Fernsehen gesehen zu haben). Wayne Weinsider, der Dämon, ist ein Cabrio-fahrender Versicherungsmakler, der sich verzweifelt eine "normale" Familie wünscht. Als seine hochschwangere Frau Laura bei der Ultraschall-Untersuchung ist, werden abnormale Knochenbildungen am Schädel und am Steißbein des Fötus gefunden. In der Nacht darauf wacht Laura auf und sieht eine dämonische Gestalt vor einer Feuerwand, die ihr das Baby aus dem Bauch entreisst. Ihr Bruder, der örtliche Sheriff, bittet das X-Akten-Büro um Hilfe, wo Spender den Fall prompt durch den Schredder lässt. Mulder jedoch, der sich anscheinend zur Angewohnheit gemacht hat, Spenders Papierkorb zu durchsuchen, nimmt sich der Sache an.

Als Mulder die Weinsiders befragt, ergeben sich Unstimmigkeiten zwischen deren Aussagen. Schon bald hat er Wayne im Verdacht. Scully, die er hinzuzieht, erkennt auf der Ultraschall-Aufnahme Ansätze von Hörnern, außerdem werden im Blut der Mutter Spuren des Gifts der Alraune gefunden - ein Kraut, das für selbst-induzierte Abtreibungen verwendet wird und überdies Halluzinationen verursacht. Wie Mulder herausfindet, ist Wayne noch mit einer zweiten Frau verheiratet, die ebenfalls hochschwanger ist. Wayne hat überdies unter anderen Namen früher schon in osteuropäischen Staaten gelebt, wo er zweimal wegen Mordes an seinen Ehefrauen angeklagt war. Mulder vermutet daraufhin, dass Wayne ein Dämon ist, der ein normales, nicht-dämonisches Kind haben will, und Lauras Baby wegen dessen Abnormitäten abgetrieben hat.

Wayne, der Dämon, ist zwar klar der Bösewicht der Geschichte; er balanciert zwischen zwei Ehefrauen und versucht sogar, Laura zu überzeugen, dass sie es war, die das Kind getötet hat, und ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben. Jedoch wird die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt und er ist trotz seiner teuflischen Taten kein völlig unsympathischer Charakter, will er doch das, was alle werdenden Väter wollen: "A normal life, a family. It’s all I ever wanted." Alles, was er will, ist ein normales, nicht-dämonisches Kind. Dafür scheint er allerdings zu allem bereit zu sein. Waynes zweite Ehefrau Betsy hingegen will das exakte Gegenteil: Sie ist selber eine Dämonin und will um jeden Preis ein dämonisches Kind. Wie Wayne hat sie schon mehrere Versuche hinter sich, ein Kind zu bekommen, das ihren Anforderungen entsprach, bisher jedoch erfolglos. Wie Wayne hat sie alle diese Kinder, die in ihrem Fall normal waren, umgebracht. Auf der metaphorischen Ebene kann man diese Geschichte auch lesen als eine Parabel über Eltern, die alles tun würden, um ein Kind zu bekommen, das ihren Standards entspricht; bzw. Kinder, die das nicht tun, rigoros abtreiben.

Mit der Erzählperspektive, die Wayne in den Fokus stellt, und Betsy, die Wayne ebenso benutzt wie er Laura, werden die traditionellen Geschichten über Schwangerschaften mit teuflischen Kindern auf den Kopf gestellt, und in diesem Sinne ist "Terms Of Endearment" trotz der hinlänglich bekannten Thematik recht orginell. Typisch ist auch wieder, dass die Polizei schnell dabei ist, Laura die Schuld zu geben, und Mulder der einzige ist, der hier nicht gleich voreilige Schlussfolgerungen zieht. Die Episode hat auch ein paar amüsante Momente, so Mulders Verfolgung von Wayne auf seiner Fahrt zu Betsy und auch die Schlussszene, als Betsy mit ihrem teuflischen Baby davon fährt, ist gut gelungen. Hervorzuheben ist auch die schauspielerische Leistung von Bruce Campbell in der Rolle von Wayne, die viel dazu beiträgt, dass Wayne trotz seiner dämonischen Natur irgendwie menschlich wirkt. Auch die Umsetzung der Szenen, in denen Wayne als Dämon erscheint, ist gut gelungen. Unentschuldbare Schlamperei ist allerdings die Dialogzeile Mulders, "I'm not a psychologist". Es ist mir völlig unbegreiflich, wie das nicht geschnitten worden ist. Insgesamt gebe ich vier Ultraschallbilder dafür.
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » Mi 7. Aug 2019, 20:35

Folge 8, Staffel 6: "Der Regenmacher / The Rain King"

Drehbuch: Jeffrey Bell
Regie: Kim Manners



In einer unter extremer Dürre leidenden Kleinstadt in Kansas ist ein Mann unterwegs, der sich als "Regenkönig" bezeichnet und behauptet, es gegen Bezahlung regnen lassen zu können. Tatsächlich gibt es viele zufriedene Kunden. Der Bürgermeister ruft Mulder und Scully herbei, da er glaubt, dass der Mann nicht nur den Regen, sondern auch die Dürre erzeugt und die Bevölkerung auf diese Weise erpresst. Scully hält alles für einen Schwindel und auch der örtliche Fernseh-Meteorologe glaubt, dass es zufällige Zusammentreffen mit natürlichen Wetterphänomenen sind. Mulder hingegen ist überzeugt, dass tatsächlich jemand Einfluss auf das Wetter hat - und der Meteorologe der Verantwortliche ist.

Den Reviews nach zu schließen, die ich gelesen habe, geht es nicht nur mir so, dass mir die "heitere Phase" zu Beginn der sechsten Staffel allmählich etwas auf die Nerven geht. "The Rain King" ist wieder eine dieser Komödien, und auch noch eine besonders kitschige. Mulder und Scully werden nach Kroner in Kansas gerufen, wo extreme Dürre herrscht und Daryl Mootz als "Regenkönig" unterwegs ist, der anscheinend heftige Gewitter hervorrufen kann. Die Gegend ist schon seit 30 Jahren für extreme Hitzewellen, aber auch sich häufende Tornados und Hagelstürme bekannt. Mootz hat aus seinen vorgeblichen Fähigkeiten, das Wetter beeinflussen zu können, ein Unternehmen gemacht, und tatsächlich beginnt es überall, wo Mootz mit seinem Tross auftaucht und einen Regentanz aufführt, kurz darauf zu regnen. Entsprechend hat er eine umfangreiche Kartei mit zufriedenen Kunden. Der Bürgermeister von Kroner verdächtigt Mootz jedoch, nicht nur für den Regen, sondern auch für die Dürre verantwortlich zu sein, und sich auf diese Weise eine goldene Nase zu verdienen. Mootz hat sechs Monate zuvor seine ehemalige Verlobte Sheila, mit der er ohnehin nur wegen ihres Geldes zusammen war, abserviert, und im Anschluss daran bei einem Autounfall in einem Hagelsturm ein Bein verloren. Ein Meteorologe beim Lokalsender, Holman Hardt, ist überzeugt, dass die Wetterkapriolen natürlichen Ursprungs sind.

Als in der Nacht wieder ein Tornado über die Gegend rollt und Verwüstung anrichtet (unter anderem stürzt eine Kuh durch das Dach von Mulders Motelzimmer), beichtet Sheila, dass ihrer Meinung nach alles ihre Schuld ist. Eine Anzahl von Wetterkatastrophen habe sich zu bestimmten emotionalen Zeitpunkten ihres Lebens ereignet. Mulder jedoch macht Holman Hardt als Verursacher aus, der seit seinen Highschooltagen unglücklich in Sheila verliebt ist und mit seinen unterdrückten Gefühlen die Extremwetterlagen auslöst. Nachdem Holman Sheila seine Liebe gesteht und die beiden ein Paar werden, hören die Wetterkapriolen auf, und die beiden werden zusammen glücklich.

Soweit die sehr fluffige Geschichte der Romantikkomödie, die hauptsächlich dazu zu dienen scheint, die Shipper unter den Fans zufriedenzustellen - denn die Geschichte um Daryl Mootz, Sheila und Holman dient eigentlich nur als Transportmittel für eine Erzählung, in der es um die Beziehung zwischen Mulder und Scully geht. Es dreht sich um die unterdrückten Gefühle der beiden Agenten, die Sheila und Holman mit Ratschlägen helfen wollen, die sie eigentlich selber beherzigen sollten. Besonders Scully mit ihrem Monolog über Freundschaften, die die beste Basis für eine Liebesbeziehung seien, redet offensichtlich mehr über sich und Mulder als über Sheila und Holman: "Well, it seems to me that the best relationships — the ones that last — are frequently the ones that are rooted in friendship. You know, one day you look at the person and you see something more than you did the night before. Like a switch has been flicked somewhere. And the person who was just a friend is. suddenly the only person you can ever imagine yourself with." Wiederholt werden die beiden Agenten von Figuren in der Episode für ein Paar gehalten; von den Angestellten beim TV-Sender, wie auch von der Motelbesitzerin. Was Mulder angeht, amüsiert die Vorstellung, dass ausgerechnet er als Berater in Sachen Liebesbeziehungen agieren soll, nicht nur Scully: "Mulder, when was the last time you went on a date? ... The blind leading the blind." Bezeichnenderweise geht sein Ratschlag auch spektakulär nach hinten los.

Die Geschichte selber scheint von Geschichten über Regenmacher, die in der Zeit der Großen Depression in den USA unterwegs waren, inspiriert zu sein. Die Kleinstadt Kroner ist auch wieder eine der typischen entlegenen und aus der Zeit gefallenen US-Kleinstädte, die in Akte X oftmals den Schauplatz bilden. Das Drehbuch ist leider wieder ziemlich unausgegoren. Nicht nur fehlt es an jeglichem Erklärungsversuch, auf welche Weise Holmans Gefühlswelt das Wetter beeinflusst. Die Annahme, dass es Holman ist, der die Wetterkapriolen verursacht, ist auch nur schwer damit in Einklang zu bringen, dass der Regen immer Daryl Mootz zu folgen scheint. Die Charaktere, vor allem Sheila, sind ziemlich holzschnittartig, was zum Teil am Drehbuch, zum Teil aber auch an den Darstellern liegt. Es gibt ein paar lustige Momente, allen voran die fliegende Kuh, vor der sich Mulder gerade noch retten kann, und Mulders gescheiterte Versuche als Ratgeber in Beziehungsfragen. Insgesamt ist das alles aber sehr flach und mit zuviel Zuckerguss überzogen. Vielleicht wäre die Episode besser weggekommen, wenn sie nicht am Ende einer Serie mehrerer kömodiantischer Folgen stehen würde, von denen sie auch noch die schwächste ist. Ich vergebe knappe drei Regenschirme dafür.
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Re: Akte X - Staffel 6

Beitragvon nevermore » So 11. Aug 2019, 20:13

Folge 9, Staffel 6: "S.R. 918 / S.R. 819"

Drehbuch: John Shiban
Regie: Daniel Sackheim



Walter Skinner bricht beim Boxtraining zusammen und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Ein anonymer Anrufer behauptet, er habe noch 24 Stunden zu leben. Als Scully eine Blutprobe untersucht, findet sie sich rasch vermehrende Nanobots. Während Scully und die Ärzte um Skinners Leben kämpfen, sucht Mulder nach dem Mann, der ihn vergiftet hat und stößt dabei auf eine Senatsresolution zur Neuregelung der Ausfuhr neuer Technologien, die Skinner zu verhindern versuchte.

"S.R. 819" ist die erste Mythologieepisode seit "The Beginning", und führt Akte X nach mehr als einem halben Dutzend eher atypischer Episoden wieder in bekanntere Gewässer zurück. Obwohl die Verbindung zur übergeordneten Mythologie eher lose bleibt, ist ihr Hauptthema eine Regierungsverschwörung, der hier Skinner zum Opfer fällt. Die titelgebende Senatsresolution S.R. 819 betrifft finanzielle Hilfe für die WHO und die Ausfuhr medizinischer Technologie in Länder der Dritten Welt. Skinners Auftrag ist es, einen Sicherheitscheck über die auszuführende Technologie durchzuführen, der für die Abstimmung erforderlich ist. Ebenso erforderlich ist eine Expertise von Dr. Kenneth Orgel, einem Physiker und Senatsberater für Ethik und neue Technologien. Wie sich bei Skinners Untersuchung zeigt, bedeutet die Resolution eine schwere Verletzung von Handelsbestimmungen. Orgel unterdessen findet heraus, wie gefährlich die Technologie ist, wenn sie in die falschen Hände gerät. Er sucht deswegen Skinner auf, um ihm dies mitzuteilen. Offenbar stört diese Gefährdung der S.R. 819 jemanden mächtig, denn sowohl Skinner als auch Orgel werden mit den Nanobots, die nach der Verabschiedung der S.R. 819 exportiert werden sollen, infiziert.

Die Infektion Skinners und Orgels macht die Gefahren der Technologie, vor denen Orgel warnt, deutlich: Diese Nanobots, Maschinen in molekularer Größe, können für Anschläge auf einzelne Personen missbraucht werden, besonders, wenn sie wie die in der Episode fernsteuerbar sind. Hier verklumpen sie die Blutgefäße und blockieren den Blutkreislauf: "It's creating something, a matrix stimulated by blood flow in response to movement. It's multiplying and solidifying in an orderly fashion. It's building valves or dams in the vascular system." Eine Behandlung ist unbekannt; das einzige, was Scully und die Ärzte tun können, ist die Arterien aufzulasern. Dies ist jedoch ein Wettlauf gegen die Zeit, den sie nur verlieren können: "It's building walls in his vessels faster than we can tear them down". Wer oder was hinter dem Anschlag steckt, wird in der Episode nur indirekt angedeutet: Zu den Unterstützern der S.R. 819 gehörte die tunesische Delegation mit Kulturattachee Alesander Lazreg. Vermutlich sollte die Technologie also auch nach Tunesien exportiert werden. Tunesien steht in Akte X in Verbindung mit dem Namen Conrad Strughold, der dort im Exil lebt und, wie seit "Fight the Future" bekannt ist, der Mastermind des Syndikats ist.

Was die Charaktere angeht, steht Skinner und seine Stellung als "Mann zwischen den Linien" im Zentrum des Geschehens, wie schon früher in der Serie vor allem in "Zero Sum". So explizit wie in "S.R. 819" hat Akte X diesen Aspekt von Skinners Charakter jedoch noch nie thematisiert. Vermeintlich mit dem Tod konfrontiert entschuldigt er sich bei Scully, dass er ihr und Mulder nicht ein besserer Verbündeter gewesen ist: "I think I owe you an apology, Scully. You and Mulder... Your quest should have been mine. [...] I can see now that... I always played it safe. I wouldn't take sides. Wouldn't let you and Mulder... pull me in." In Skinners Eröffnungsmonolog suggeriert die Episode sogar, es gäbe so etwas wie eine schicksalhafte Strafe für dieses Verhalten: "Every minute of every day we choose. Who we are. Who we forgive. Who we defend and protect. To choose a side or to walk the line. To play the middle. To straddle the fence between what is and what should be. This was the course I chose. Trying to find the delicate balance of interests that can never exist. Choosing by not choosing. Defending a center which cannot hold. So death chose for me." Während es grundsätzlich richtig ist, dass Skinner immer irgendwie zwischen den Stühlen blieb, ist seine Selbstkritik doch etwas überzogen; immerhin wurde er wegen seiner Loyalität, als es um die Untersuchung des Tods von Scullys Schwester ging, beinahe ermordet und ging später, um Scully zu retten, einen gefährlichen Deal mit dem Raucher ein. Dennoch scheint Skinner in einem Kreislauf gefangen, in dem ihn sein Pragmatismus immer wieder in eine noch schlechtere Position bringt. Auch in "S.R. 819" ist Skinner am Ende wieder - entgegen aller Vorsätze - in einer Situation, in der er erpressbar ist. Der Mann, der die Nanobots kontrolliert, entpuppt sich als Alex Krycek - er rettet zwar Skinners Leben, indem er den tunesischen Attachee beseitigt, der Skinner töten will, aber er tut dies nur, um Skinner für seine eigenen Zwecke zu benutzen (Krycek ist zwar vermutlich vom Syndikat mit dieser ganzen Mission beauftragt worden, handelt, was den Umgang mit Skinner angeht, aber offensichtlich wieder rein in seinem eigenen Interesse und in eigener Regie). Im Endergebnis ist Skinner, was die Beziehung zu den beiden Agenten angeht, wieder am Ausgangspunkt angelangt. Er muss sie anweisen, sich von dem Fall zurückzuziehen, und zieht sich wieder Mulders Misstrauen zu.

Dem Anschlag auf Skinner auf der Spur stößt Mulder auf einen alten, aber seit "Nisei" in Staffel 3 nicht mehr gesehener Bekannten, Mulders Kontaktmann im Kongress Senator Matheson. In Staffel 1 und 2 als vermeintlich wichtiger Verbündeter Mulders eingeführt, erweist sich Matheson hier als ein Spielball des Syndikats ("I am a victim here" - wurde Matheson etwa auch von den Nanobots infiziert?), eingespannt, um die Resolution zu verabschieden und unter der Kontrolle von Krycek, der Orgel, um Matheson zu disziplinieren, vor dessen Augen sterben lässt. Matheson versucht Mulder, davon abzuhalten, den Fall weiter zu verfolgen. Im Versuch, sich selber zu retten, ist Matheson bereit, Skinner zu opfern: "My intention is to save lives, Fox. But I can't save his." Später warnt er Mulder, "if you pursue this, Fox, they will kill you."

Der Zusammenhang von "S.R. 819" mit der übergreifenden Mythologie bleibt vage und scheint sich auf die Verbindung zu Tunesien, dem Exil von Conrad Strughold, zu beschränken. Die Gründe, weswegen sich Strughold und das Syndikat für die Nanotechnologie interessieren, sind unklar - möglicherweise ein weiterer Versuch, ein Mittel gegen das Schwarze Öl zu finden, vielleicht aber auch nur als einer Waffe, mit der unliebsame Kontrahenten unauffällig beseitigt werden können. Allerdings tauchen weder der Raucher noch andere Syndikatsmitglieder in "S.R. 819" auf; die einzige Verbindungsperson, die zu sehen ist, ist Alex Krycek. Ebenfalls unklar ist, woher die Technologie kommt, von der man laut Matheson glaubt, sie existiere nur in der Theorie. Sie könnte außerirdischen Ursprungs sein. Die Nanobots selber passen in das in Akte X wiederkehrende Motiv der Korruption von Menschen, die von etwas infiziert werden - angefangen von den verschiedenen Parasiten in Episoden wie "Ice", "Firewalker" oder "Travelers" bis hin zur Infektion mit dem Schwarzen Öl. Gleichzeitig können die Nanobots als eine Metapher für eine Aids-Infektion gelesen werden; Skinners Infektion betrifft sein Blut und sie ist unheilbar, es ist ein Zustand, mit dem er leben muss.

Was mir an der Episode gefallen hat, war, dass die Motive von Matheson und Orgel lange im Dunkeln blieben und auch die Identität des verkleideten Krycek bis zum Schluss verborgen blieb. Gerade was Matheson, Mulders vermeintlichen Vertrauten, angeht, wird das "Trust No-one"-Credo Deep Throats bestätigt: Matheson hat zwar von sich aus keine bösartigen Motive, würde aber jeden verraten, um seine Haut zu retten. Etwas ärgerlich war in der Tat, wie schon erwähnt wurde, dass zum wiederholten Mal jemand wie Krycek, noch dazu in diesem höchst sonderbaren Aufzug und mit der Fernbedienung, anscheinend völlig unbehelligt ins FBI hinein- und wieder hinaus spazieren kann. Positiv hervorzuheben ist die Arbeit der Make-Up-Abteilung, die die Auswirkungen der Bots auf Skinner und Orgel großartig und erschreckend Realität werden ließen. Überhaupt waren diese Szenen wieder fantastisch inszeniert. Insgesamt eine gute Episode, die etwas darunter leidet, dass man ziemlich sicher davon ausgehen kann, dass Skinner unbeschadet aus der Sache herauskommt (selbst wenn das bei Akte X nie ganz sicher ist, wäre ein Tod Skinners doch ein mittleres Erdbeben), und auch der Zusammenhang mit dem übergreifenden Handlungsbogen etwas vage und konsequenzlos bleibt. Ich vergebe gute vier Nanobots dafür.
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