Folge 2, Staffel 3: "Verschwörung des Schweigens / Paper Clip"(Kopie von SciFi Forum)
Nach Mulders Rückkehr führt ein altes Foto die Agenten zu einem ehemaligen Nazi-Wissenschaftler und einem riesigen Archiv mit Daten über Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen. Mulder und Scully kommen auf die Spur eines geheimen wissenschaftlichen Projekts, in das auch Mulders Vater verwickelt war. Der Raucher scheitert bei seinem Versuch, das verlorene DAT-Band zu bergen, und Scullys Schwester stirbt.
Die Operation "Paper Clip" war ein
reales militärisches Geheimprojekt nach dem zweiten Weltkrieg, um Wissenschaftler und Industrielle u.a. aus Nazi-Deutschland in die USA zu bringen, und ihnen im Austausch gegen ihr Wissen Amnestie zu gewähren. In der Episode ist einer der Wissenschaftler der ehemalige Nazi-Arzt Viktor Klemper (eine Figur, die auf dem realen Arzt Hubertus Strughold basiert). Wie der Brite den Agenten erklärt, war Bill Mulder an der Sammlung von Daten beteiligt, die Klemper für seine Arbeit an Alien-Mensch-Hybriden verwendete, und Samantha wurde entführt, um Bill Mulders Schweigen sicherzustellen. Die Datensammlung in der Strughold-Mine wurde mit Daten des Pockenschutzimpfprogramms der WHO erstellt, das Archiv enthält aber auch neuere Daten über Entführungen: Mulder und Scully finden im Archiv sowohl Akten über Samantha als auch über Scully selbst. Eine solche Datensammlung war in den 90ern ein Alptraum, der Paranoikern zugeschrieben wurde; nach Snowden wissen wir es heute besser.
In "Paper Clip" wird weiter vertieft, was in "The Blessing Way" schon angerissen wurde: Das Syndikat ist weit davon entfernt, unfehlbar zu sein, und alles andere als eine in Einigkeit verschworene Gruppe. Keiner von ihnen scheint zu wissen, wie mit der Krise umzugehen ist, man stolpert nur von einem Problem zum nächsten (dass das Syndikat nicht die allmächtige Instanz ist, die Mulder sich vorstellt, sah man schon in "Little Green Men", als Scullys Verfolger am Flughafen sich nicht hätten dilettantischer anstellen können). Die Aussagen des Rauchers und seine Fähigkeit, der Lage Herr zu werden, werden von den anderen bezweifelt - nicht zu unrecht, denn praktisch alles, was der Raucher in die Hand nimmt, geht schief: Statt Scully wurde Melissa erschossen, er konnte das DAT-Band nicht in seinen Besitz bringen, und das Attentat auf Krycek schlug ebenfalls fehl. Vor allem der Brite kann offensichtlich den Raucher nicht ausstehen, und verabscheut dessen grobschlächtige Methoden zutiefst. (Es ist auch schwer vorstellbar, dass die Alleingänge des Briten mit der Gruppe abgesprochen sind.) Als sich herausstellt, dass Mulder entgegen den Aussagen des Rauchers am Leben ist, beschließt der Grauhaarige, "ihre Freunde" zu rufen, damit effektiver gehandelt wird.
Besonders mit Skinner hat der Raucher in dieser Episode große Schwierigkeiten. Der ist nun offensichtlich auf der Seite von Mulder und Scully und lässt sich vom Raucher nicht mehr ohne weiteres einschüchtern. Auch wenn er das DAT-Band an Krycek verliert, gelingt es ihm doch, in der finalen Konfrontation mit dem Raucher die Oberhand zu behalten. Vermutlich ist die Drohung mit Albert Hosteen und seinen Navajos, die angeblich alles wissen und jederzeit öffentlich machen können, ein Bluff, aber es scheint zu funktionieren. Aber nicht nur in Skinner hat der Raucher einen Antagonisten; nach dem fehlgeschlagenen Attentat hat er auch Krycek gegen sich, der Rache geschworen hat, und immer noch im Besitz des DAT-Bands ist.
Das DAT-Band ist im Prinzip der Beweis, nach dem Mulder immer gesucht hat, und zeigt gleichzeitig das Dilemma, auf das Deep Throat in "The Blessing Way" hingewiesen hat und in dem die Agenten nun stecken. Sie haben einen Beweis, aber er nutzt ihnen nichts, denn sie agieren selbst außerhalb des Gesetzes, sind von sämtlichen Quellen und jeglichem Schutz abgeschnitten. Besonders Scully leidet darunter sehr, da sie ihre angeschossene Schwester sehen will. (Interessant, dass die "linkshirnige" Scully den Navajo Hosteen zu Melissa schickt, damit der ihr mit indianischen Gebeten hilft!). Mulder zieht mit seiner Suche nach der Wahrheit eine Spur von Katastrophen hinter sich her - die alte Frau, die ihren Mann erschossen hat, sein Vater, jetzt Scullys Schwester - und es stellt sich einmal mehr die Frage nach der Legitimität. Vor allem, da es jetzt wieder den Anschein hat, als sei Mulder mehr an seiner persönlichen Wahrheitssuche interessiert als daran, die Verschwörung zur Strecke zu bringen: Das DAT-Band scheint er beinahe zu vergessen, als es um die Fragen zu seinem Vater und seiner Schwester geht.
Wie Teena Mulder nach vielem Sträuben am Ende widerwillig preisgibt, ist tatsächlich zwischen Fox und Samantha eine Entscheidung gefallen, die allerdings nicht die Mutter getroffen hat. Das überklebte Namensschild auf Samantha Mulders Akte spricht dafür, dass ursprünglich Fox hätte entführt werden sollen, Bill Mulder dann aber seine Meinung geändert hat. Warum, darüber kann man nur spekulieren.
Die größte Stärke der Episode ist wieder die Verknüpfung mit den realen Geschehnissen in der Folge des zweiten Weltkriegs. Die Deals und Kompromisse, die die westlichen Siegermächte in der Zeit des Kalten Krieges eingingen, werfen einige beunruhigende Fragen auf und einige Schatten auf die Akteure, die sich gern als "die Guten" sehen. In der Realität, und natürlich mehr noch in der Handlung der Episode. Die Weiterentwicklung der Charaktere und des Handlungsbogens der Mulder-Familie haben mir auch sehr gut gefallen. Einige Kritikpunkte habe ich jedoch auch: Die paranormalen Erlebnisse in der Strughold-Mine (Mulder sieht ein Raumschiff, an Scully rennen Hybriden vorbei) sind zwar sehr atmosphärisch und schön anzusehen, ihre Logik erschließt sich mir allerdings nicht. Warum rennen in der Mine Hybriden frei herum? Warum hebt das Raumschiff ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ab? Vielleicht übersehe ich etwas, aber es wirkt eher wie Effekthascherei. Unverständlich ist, warum Mulder und Scully nicht wenigstens versuchen, bei ihrer Flucht eine der Akten mitzunehmen. Schließlich hat das ziemlich wortreich beschriebene Bild der weißen Büffelfrau allenfalls lose Verbindung zur Gesamthandlung, nämlich zum Tod von Melissa Scully, die nun aber nicht wirklich Zentrum der Handlung ist. Für mich kommt die Episode insgesamt nicht an "Anasazi" und nur knapp an "The Blessing Way" heran, ich gebe insgesamt fünf archivierte Akten dafür.