Akte X - Staffel 3




Alles zu Chris Carters Mystery-Serien Akte X, MillenniuM und The Lone Gunmen

Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Di 23. Okt 2018, 12:54

Nach einer recht experimentellen und etwas unebnen zweiten Staffel, die auch noch den einen oder anderen Stolperer drin hatte, bekommt die Serie in der dritten Staffel sehr viel mehr Kontur. Der große Erfolg und die Übernahme durch größere Netzwerke bzw. das Umsetzen auf bessere Sendezeiten zwangen bzw. erlaubten es Carter und den Produzenten, die Sache längerfristig durchzudenken - man musste nicht mehr mit dem Absetzen am Ende der Staffel rechnen und auch das Reinreden seitens des Senders wurde weniger.

Scully spielt in der dritten Staffel eine viel größere Rolle; es galt, sowohl ihre Abwesenheit wegen Gillian Andersons Schwangerschaft aufzuholen als auch die Folgen von Scullys Entführung endlich aufzuarbeiten. In Staffel 3 werden auch stärker die Bezüge zur zeitgenössischen Geschichte und Politik ausgearbeitet, besonders in den Mythologiefolgen.

Mytharc-Episoden (kursiv die absolut unerlässlichen):

3X01: The Blessing Way (Das Ritual)
3X02: Paper Clip (Verschwörung des Schweigens)
3X09: Nisei (Die Autopsie)
3X10: 731 (Der Zug)
3X15: Piper Maru (Der Feind I)
3X16: Apocrypha (Der Feind II)

3X21: Avatar (Heimsuchung)
3X23: Wetwired (Ferngesteuert)
3X24: Talitha Cumi (Der Tag steht schon fest)
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von Anzeige » Di 23. Okt 2018, 12:54

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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Di 23. Okt 2018, 12:58

Folge 1, Staffel 3: "Das Ritual / The Blessing Way"

(Kopie von SciFi Forum)


Zum Auftakt der dritten Staffel wird Mulder in der Wüste dem Tod nahe von den Navajos aufgegriffen und man führt ein altes indianisches Ritual durch, in dem er über sein Weiterleben entscheidet. In der Zwischenwelt begegnet er seinem Vater und Deep Throat, die ihn zum Weiterleben auffordern. Scully werden von den Schergen des Rauchers die Abschriften der Majestic 12-Dokumente abgenommen, sie wird vom FBI suspendiert. Das DAT-Band selber ist verschwunden. Scully findet einen in ihrem Nacken implantierten Mikrochip und wird von einem Syndikatsmitglied gewarnt, dass ein Mordanschlag auf sie geplant ist.

In "The Blessing Way" überschlagen sich die Ereignisse nicht ganz so wie im Staffelfinale "Anasazi". Unerwarteterweise gibt es keine Action-Szenen, in denen Mulder sich aus dem brennenen Güterwaggon kämpft, sondern er wird einfach von den Navajos, die kreisenden Bussarden nachgehen, in der Wüste aufgefunden. Mir gefällt diese Entscheidung, die Geschehnisse im brennenden Waggon der Vorstellung des Zuschauers zu überlassen. Es erinnert an "One Breath", als Scully plötzlich und unerklärlich im Krankenhaus wieder auftauchte. Überhaupt sind Mulders Erfahrungen in der Zwischenwelt das Gegenstück zu Scullys Nahtoderlebnissen nach ihrer Entführung. Wie Scully trifft auch Mulder seinen Vater, außerdem Deep Throat, die ihn beide zum Weiterleben drängen. Wie "One Breath" suggeriert auch "The Blessing Way", dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Mir ein bisschen zu dick aufgetragen war die biblische Symbolik, dass Mulder "in der Nacht des dritten Tages" zu den Lebenden zurückkehrt (wie lange war es bei Scully eigentlich?). Überhaupt sind Hosteens Monologe ein bisschen arg bedeutungsschwanger. Weniger wäre da vielleicht mehr gewesen.

In "The Blessing Way" bekommt man auch zum ersten Mal das Syndikat zu sehen. Es ist eine Gruppe weißer, älterer Männer verschiedener Nationalitäten (offenbar aus den USA, Großbritannien und den ehemaligen drei Achsenmächten Italien, Japan und Deutschland), die sich in einem Apartment in New York treffen. Sie treffen unabhängig von ihren Regierungen Entscheidungen, oder wie der Brite es formuliert: "We represent certain global interests. [...] We predict the future and the best way to predict the future is to invent it." So allmächtig und allwissend, wie es bisher schien, sind sie nicht; sie sind wegen des Diebstahls der Majestic 12-Daten in hellem Aufruhr. Der Raucher versucht zu beruhigen, es sei alles unter Kontrolle, aber die Eingangsszene, als er mit seiner Truppe bei Hosteen einfällt, zeigt, dass dem nicht so ist. Entgegen seinen Behauptungen weiß er weder wo Mulder, noch, wo das DAT-Band ist. Ein Grund, warum er die anderen anlügt, ist, dass er Mulder schützen will (das Einsperren im Güterwaggon war unbeabsichtigt).

Scully, ohne die Daten und vom FBI suspendiert, ist nun völlig auf sich allein gestellt. Da sie die Daten nicht hat, ist sie für das Syndikat wertlos, der Raucher hat ebenfalls kein Interesse an ihr, und Skinner erteilt ihr erst einmal eine Abfuhr. Vom Briten (dem Syndikatsmitglied) erhält sie eine Warnung, dass auf sie ein Anschlag geplant ist - offenbar ist der Raucher nicht der einzige im Syndikat, der eigene Wege geht. Zu allem Überfluss findet sie ein Implantat in ihrem Nacken. Ihre Schwester Melissa drängt sie, an ihre verdrängten Erinnerungen zu kommen, um der Sache mit dem Implantat auf den Grund zu gehen. Scully ist erst nicht dazu bereit; es kommt zur Konfrontation und die Sitzung beim Hypnotherapeuten, auf die sie sich schließlich widerwillig einlässt, schlägt fehl.

Es wurde langsam Zeit, dass sich die Serie mit den Nachwirkungen von Scully Entführung wirklich auseinandersetzt. Melissa hat hier die Barrieren auf Scullys Seite unterschätzt; sie stößt auf zweifachen Widerstand: Erstens hat Scully als Skeptikerin ohnehin große Vorbehalte gegen Dinge wie Hypnotherapie, und zweitens ist sie durch die Entführung traumatisiert. Melissa scheint nur den ersten Teil zu sehen: "You are so shut off to the possibility there could be any other explanation except for your rigid scientific view of the world. It's like you've lost all touch with your own intuition!" Sie klagt Scully hier an, dass sie zu "linkshirnig" ist, geht aber völlig über das immer noch recht frische Trauma der Entführung hinweg. (Ganz so "linkshirnig" wie Melissa behauptet, ist Scully ohnehin nicht. Zum einen ist sie gläubige Katholikin, zum anderen hatte sie bereits eine Vision ihres verstorbenen Vaters und auch in "The Blessing Way" erscheint ihr Mulder in einer Vision oder einem Traum, der sie so sehr überzeugt, dass sie damit zu Mulders Mutter geht.) Der geplante Anschlag auf Scully geht dann gründlich daneben, als Krycek und sein Partner statt Scully Melissa erschießen.

Undurchsichtig ist in dieser Episode weiterhin die Rolle von Walter Skinner. Er lässt Scully auf die gröbstmögliche Weise abblitzen, als sie mit Informationen zu ihm kommt, und seine Aussage, er sei nicht bei ihrer Wohnung gewesen, ist glatt gelogen. Er steht weiterhin auf der Grenze zwischen seiner Loyalität zu seinen Agenten und seiner Verpflichtung gegenüber der Regierung, zudem wird er vom Raucher unter Druck gesetzt. Scully hält ihn für den Attentäter, vor dem sie vom Briten gewarnt wurde. Der Konflikt endet im Cliffhanger am Ende der Episode, als beide in Mulders Apartment die Waffen aufeinander richten.

Sehr viel dreht sich in dieser Episode um die Themen Wahrheit, geschriebene Geschichte versus Erinnerungen. Mulder wird in seinem Nahtodeserlebnis von Deep Throat mit der Frage, was er mit der Wahrheit anzufangen gedenkt, konfrontiert. Hier wird, was Mulder angeht, eine Entwicklung deutlich. Zu Beginn der Serie war es ihm genug, die Wahrheit zu finden. Zu Beginn der zweiten Staffel dann sagte er zu Scully, er habe von ihr gelernt, dass er Beweise brauche - solche, die auch andere überzeugen. Deep Throat sagt ihm nun, dass auch das nicht genug ist: "There is truth here, old friend, if that's all you seek; but there's no justice or judgment without which truth is a vast, dead hollow." Es geht nicht mehr nur um Wahrheit, sondern um Gerechtigkeit. In gewisser Weise wurde dies schon in "F. Emasculata" vorbereitet, als die Frage aufgeworfen wurde, wie legitim es ist, wenn Mulder über seine nur ihm selbst dienende Wahrheitssuche seine eigentlichen Pflichten als FBI-Agent vergisst. Deep Throat weist ihn hier darauf hin, dass die Wahrheitssuche mehr sein muss als ein Ego-Trip.

In mehreren Handlungssträngen befasst sich die Episode mit Erinnerungen als Weg zur Wahrheit. Melissa sieht Scullys Erinnerungen als einen Weg zur Wahrheit, dem sich Scully versperrt, weil sie ihnen nicht traut, und weil sie zu schmerzhaft sind. Mulder sieht die Erinnerungen seiner Mutter als einen Weg zur Wahrheit, aber Teena versperrt sich ebenfalls. Albert Hosteen hält Erinnerungen für wichtiger als geschriebene Geschichte: "There is an ancient Indian saying that something lives only as long as the last person who remembers it. My people have come to trust memory over history. Memory, like fire, is radiant and immutable while history serves only those who seek to control it, those who douse the flame of memory in order to put out the dangerous fire of truth. Beware these men for they are dangerous themselves and unwise. Their false history is written in the blood of those who might remember and of those who seek the truth." Geschichte wird von den Siegern geschrieben - Hosteen deutet hier an, dass das Auslöschen von Gruppen, die sich an die Wahrheit erinnern, ein Mittel sein kann, die Geschichtsschreibung zu kontrollieren. (Im Flashback sieht man, wie die Hybriden im Waggon gestorben sind - vergast mit Zyanidgas, wieder der Bezug zu den Nazi-Vernichtungslagern.)

Mir gefällt dieser etwas ruhigere, philosophischere Mittelteil des Dreiteilers sehr gut, wenn mir auch die religiöse Thematik etwas zu dick aufgetragen war und Hosteens Monologe etwas überbeansprucht wurden. Ich gebe gute fünf kreisende Bussarde dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Di 23. Okt 2018, 20:10

Folge 2, Staffel 3: "Verschwörung des Schweigens / Paper Clip"

(Kopie von SciFi Forum)


Nach Mulders Rückkehr führt ein altes Foto die Agenten zu einem ehemaligen Nazi-Wissenschaftler und einem riesigen Archiv mit Daten über Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen. Mulder und Scully kommen auf die Spur eines geheimen wissenschaftlichen Projekts, in das auch Mulders Vater verwickelt war. Der Raucher scheitert bei seinem Versuch, das verlorene DAT-Band zu bergen, und Scullys Schwester stirbt.

Die Operation "Paper Clip" war ein reales militärisches Geheimprojekt nach dem zweiten Weltkrieg, um Wissenschaftler und Industrielle u.a. aus Nazi-Deutschland in die USA zu bringen, und ihnen im Austausch gegen ihr Wissen Amnestie zu gewähren. In der Episode ist einer der Wissenschaftler der ehemalige Nazi-Arzt Viktor Klemper (eine Figur, die auf dem realen Arzt Hubertus Strughold basiert). Wie der Brite den Agenten erklärt, war Bill Mulder an der Sammlung von Daten beteiligt, die Klemper für seine Arbeit an Alien-Mensch-Hybriden verwendete, und Samantha wurde entführt, um Bill Mulders Schweigen sicherzustellen. Die Datensammlung in der Strughold-Mine wurde mit Daten des Pockenschutzimpfprogramms der WHO erstellt, das Archiv enthält aber auch neuere Daten über Entführungen: Mulder und Scully finden im Archiv sowohl Akten über Samantha als auch über Scully selbst. Eine solche Datensammlung war in den 90ern ein Alptraum, der Paranoikern zugeschrieben wurde; nach Snowden wissen wir es heute besser.

In "Paper Clip" wird weiter vertieft, was in "The Blessing Way" schon angerissen wurde: Das Syndikat ist weit davon entfernt, unfehlbar zu sein, und alles andere als eine in Einigkeit verschworene Gruppe. Keiner von ihnen scheint zu wissen, wie mit der Krise umzugehen ist, man stolpert nur von einem Problem zum nächsten (dass das Syndikat nicht die allmächtige Instanz ist, die Mulder sich vorstellt, sah man schon in "Little Green Men", als Scullys Verfolger am Flughafen sich nicht hätten dilettantischer anstellen können). Die Aussagen des Rauchers und seine Fähigkeit, der Lage Herr zu werden, werden von den anderen bezweifelt - nicht zu unrecht, denn praktisch alles, was der Raucher in die Hand nimmt, geht schief: Statt Scully wurde Melissa erschossen, er konnte das DAT-Band nicht in seinen Besitz bringen, und das Attentat auf Krycek schlug ebenfalls fehl. Vor allem der Brite kann offensichtlich den Raucher nicht ausstehen, und verabscheut dessen grobschlächtige Methoden zutiefst. (Es ist auch schwer vorstellbar, dass die Alleingänge des Briten mit der Gruppe abgesprochen sind.) Als sich herausstellt, dass Mulder entgegen den Aussagen des Rauchers am Leben ist, beschließt der Grauhaarige, "ihre Freunde" zu rufen, damit effektiver gehandelt wird.

Besonders mit Skinner hat der Raucher in dieser Episode große Schwierigkeiten. Der ist nun offensichtlich auf der Seite von Mulder und Scully und lässt sich vom Raucher nicht mehr ohne weiteres einschüchtern. Auch wenn er das DAT-Band an Krycek verliert, gelingt es ihm doch, in der finalen Konfrontation mit dem Raucher die Oberhand zu behalten. Vermutlich ist die Drohung mit Albert Hosteen und seinen Navajos, die angeblich alles wissen und jederzeit öffentlich machen können, ein Bluff, aber es scheint zu funktionieren. Aber nicht nur in Skinner hat der Raucher einen Antagonisten; nach dem fehlgeschlagenen Attentat hat er auch Krycek gegen sich, der Rache geschworen hat, und immer noch im Besitz des DAT-Bands ist.

Das DAT-Band ist im Prinzip der Beweis, nach dem Mulder immer gesucht hat, und zeigt gleichzeitig das Dilemma, auf das Deep Throat in "The Blessing Way" hingewiesen hat und in dem die Agenten nun stecken. Sie haben einen Beweis, aber er nutzt ihnen nichts, denn sie agieren selbst außerhalb des Gesetzes, sind von sämtlichen Quellen und jeglichem Schutz abgeschnitten. Besonders Scully leidet darunter sehr, da sie ihre angeschossene Schwester sehen will. (Interessant, dass die "linkshirnige" Scully den Navajo Hosteen zu Melissa schickt, damit der ihr mit indianischen Gebeten hilft!). Mulder zieht mit seiner Suche nach der Wahrheit eine Spur von Katastrophen hinter sich her - die alte Frau, die ihren Mann erschossen hat, sein Vater, jetzt Scullys Schwester - und es stellt sich einmal mehr die Frage nach der Legitimität. Vor allem, da es jetzt wieder den Anschein hat, als sei Mulder mehr an seiner persönlichen Wahrheitssuche interessiert als daran, die Verschwörung zur Strecke zu bringen: Das DAT-Band scheint er beinahe zu vergessen, als es um die Fragen zu seinem Vater und seiner Schwester geht.

Wie Teena Mulder nach vielem Sträuben am Ende widerwillig preisgibt, ist tatsächlich zwischen Fox und Samantha eine Entscheidung gefallen, die allerdings nicht die Mutter getroffen hat. Das überklebte Namensschild auf Samantha Mulders Akte spricht dafür, dass ursprünglich Fox hätte entführt werden sollen, Bill Mulder dann aber seine Meinung geändert hat. Warum, darüber kann man nur spekulieren.

Die größte Stärke der Episode ist wieder die Verknüpfung mit den realen Geschehnissen in der Folge des zweiten Weltkriegs. Die Deals und Kompromisse, die die westlichen Siegermächte in der Zeit des Kalten Krieges eingingen, werfen einige beunruhigende Fragen auf und einige Schatten auf die Akteure, die sich gern als "die Guten" sehen. In der Realität, und natürlich mehr noch in der Handlung der Episode. Die Weiterentwicklung der Charaktere und des Handlungsbogens der Mulder-Familie haben mir auch sehr gut gefallen. Einige Kritikpunkte habe ich jedoch auch: Die paranormalen Erlebnisse in der Strughold-Mine (Mulder sieht ein Raumschiff, an Scully rennen Hybriden vorbei) sind zwar sehr atmosphärisch und schön anzusehen, ihre Logik erschließt sich mir allerdings nicht. Warum rennen in der Mine Hybriden frei herum? Warum hebt das Raumschiff ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ab? Vielleicht übersehe ich etwas, aber es wirkt eher wie Effekthascherei. Unverständlich ist, warum Mulder und Scully nicht wenigstens versuchen, bei ihrer Flucht eine der Akten mitzunehmen. Schließlich hat das ziemlich wortreich beschriebene Bild der weißen Büffelfrau allenfalls lose Verbindung zur Gesamthandlung, nämlich zum Tod von Melissa Scully, die nun aber nicht wirklich Zentrum der Handlung ist. Für mich kommt die Episode insgesamt nicht an "Anasazi" und nur knapp an "The Blessing Way" heran, ich gebe insgesamt fünf archivierte Akten dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Do 25. Okt 2018, 22:28

Folge 3, Staffel 3: "Blitzschlag / D.P.O."

(Kopie von SciFi Forum)


Mulder und Scully untersuchen in Oklahoma eine ungewöhnliche Serie von Todesfällen durch Blitzschlag. Mulder glaubt, dass es sich um Mord handelt und verdächtigt einen Jungen, der einen Blitzschlag überlebt hat. Er ist seitdem in der Lage, elektrische Geräte fernzusteuern und selber Stromschläge abzugeben.

Nach dem "Anasazi"-Dreiteiler ist eine "normale" Folge eine undankbare Aufgabe. Dass einfach so zur Tagesordnung übergegangen wird, und die Ereignisse auf die beiden Agenten anscheinend keinerlei Einfluss hatten, ist etwas merkwürdig und hat mich schon etwas gestört. Auch ansonsten finde ich die Folge eher nichtssagend. Ihr Thema ist, was macht ein Loser-Typ, wenn er plötzlich Superkräfte bekommt. Darren Oswald ist der typische Loser, offenbar nicht der Allerhellste, niemand nimmt ihn wirklich ernst oder traut ihm etwas zu, nicht einmal sein bester Freund oder seine Mutter. Die einzige Ausnahme ist seine ehemalige Lehrerin und die Frau seines Chefs, in die er auch deshalb völlig verschossen ist.

Die Antwort auf die Frage, was er mit seinen Superkräften macht - er kann nicht wirklich etwas damit anfangen. Er nutzt sie für dumme Streiche und kleinliche Racheakte, und versucht, auf recht tollpatschige Weise Mrs Kiveat damit zu beeindrucken. Irgendetwas Sinnvolles kommt dabei nicht heraus. Ich weiß nicht genau, was die Episode damit sagen will - dass ein Loser, selbst wenn er übermenschliche Kräfte erhält, immer ein Loser bleiben wird?

Etwas merkwürdig ist das Verhalten des örtlichen Sheriffs. Die örtlichen Behörden sind ja des Öfteren eher abweisend, wenn das FBI auf den Plan tritt, aber dieser Sheriff ist offen feindselig. Vor allem Scully geht er frontal an und will ihr anscheinend beweisen, dass er alles viel besser weiß als sie (Mulder hingegen lässt er eher in Ruhe). Entweder es ist reiner Sexismus, oder er ist ein Gegenstück zu Darren, und er ist enttäuscht, dass es nur zum Sheriff und nicht zum Blitzforscher gereicht hat.

Lichtblicke der Episode sind wie schon erwähnt wurde die Darsteller, vor allem Ribisi, und einige eindrucksvolle Szenen im Zusammenhang mit den Blitzschlägen. Aber insgesamt ist diese Episode bestenfalls Durchschnitt. Mehr als drei durchgeschmorte Handys gibt's von mir nicht dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Di 30. Okt 2018, 22:39

Folge 4, Staffel 3: "Der Hellseher / Clyde Bruckman's Final Repose"

(Kopie von SciFi Forum)


Mulder und Scully werden zu einer Untersuchung von Serienmorden an Hellsehern gerufen. Während die Polizei einen Fernseh-Wahrsager hinzuzieht, stolpert mit Clyde Bruckman ein echter Hellseher eher unfreiwillig in die Untersuchung hinein, der vorhersehen kann, wie Leute sterben.

"Clyde Bruckman's final repose" brachte Drehbuchautor Darin Morgan und Bruckman-Darsteller Peter Boyle die beiden ersten Emmies für die Serie ein. In vielerlei Hinsicht ähnelt die Episode dem ersten Morgan-Drehbuch, "Humbug", sie ist witzig, tragik-komisch und dabei sehr philosophisch. Die Handlung dreht sich um das Spannungsfeld von Vorherbestimmtheit, Schicksal und freiem Willen, und um die interessante Frage, wie das Vorhersehen der Zukunft und die Vorstellung eines freien Willens zusammenpassen. Bruckman sieht seine Begabung, den Tod anderer Menschen vorhersehen zu können, ähnlich wie eine Art Fluch an. Sein Verhältnis zu ihr ist etwas widersprüchlich: Einerseits sagt er zu Mulder, dass das Eintreten dessen, was er vorhersieht, unausweichlich ist ("How can I see the future if it didn’t already exist?" - "If the future is written, then why go ahead and do anything?" - "Now you're catching up."). Gleich daraufhin sagt er aber, er habe Angst, in das Schicksal einzugreifen, wegen dessen, was er unbeabsichtigt vielleicht anrichtet - das impliziert, dass ein Eingreifen doch möglich ist. In der Episode greift er mehrfach nicht ein, um den Tod von jemandem zu verhindern (so beim Agenten Havez, und bei seiner Hotelzimmernachbarin), gleichzeitig versucht er jedoch, den Schaden zu begrenzen - er will einem jungen Familienvater, dessen Tod er vorhersieht, eine Risikolebensversicherung verkaufen, um dessen Familie abzusichern. Ganz so mechanistisch, deterministisch, wie es zu Anfang scheint, ist seine Haltung also nicht. Ist seine Überzeugung, die Zukunft sei schon geschrieben, eine selbsterfüllende Prophezeiung aufgrund seiner fatalistischen Haltung - treten die Tode der Hotelbewohnerin und Agent Havez ein, weil er so passiv ist? Ist er so fatalistisch, weil er, wie er in einer Szene sagt, vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht?

Völlig mechanistisch scheint hingegen der ebenfalls hellseherisch begabte Killer zu agieren. Er sieht sich als eine Marionette, glaubt, die Dinge, die er tut, seien unvermeidlich, und geht von einem Wahrsager zum nächsten, um herauszufinden, warum er tut, was er tut. Bruckman lehnt diese Vorstellung ab und sagt ihm, er tue das, was er tut, weil er ein mörderischer Wahnsinniger ist. Er stellt sich die Frage, warum Menschen das tun, was sie tun. "Why do I sell insurance? I wish I knew. Why did this woman collect dolls? What was it about her life? Was it one specific moment where she suddenly said, 'I know… dolls.' Or was it a whole series of things?"

Interessant auch die Haltung der beiden Agenten gegenüber Bruckman. Mulder passt die Interpretation Bruckmans, dass Einschreiten nicht möglich oder nicht wünschenswert ist, überhaupt nicht - sonst müsste er auch seinen Beruf aufgeben. Er verlangt von Bruckman, ihm bei der Untersuchung zu helfen. Etwas widerstrebend lenkt Bruckman dann ein. Als Bruckman dann keine praktischen Hinweise liefert, verliert er die Geduld mit ihm - er sieht ihn und seine Begabung eher als Mittel zum Zweck. Scully hingegen glaubt nicht an die hellseherische Gabe und am Anfang geht Bruckman ihr eher auf die Nerven. Als sie jedoch gewahr wird, wie Bruckman unter der Gabe leidet, entwickelt sie Sympathie und Mitgefühl für ihn.

Bruckman ist durch seine Gabe - die er nicht durch ein paranormales Erlebnis erlangt hat, sondern durch eine obsessive Beschäftigung mit dem Tod des Musikers Big Bopper - völlig vereinsamt und von der Welt isoliert. Ständig konfrontiert mit dem Vorhersehen seines eigenen Tods und des der Menschen, die um ihn sind. Will man so eine Begabung wirklich haben? Es endet damit, dass er sich selbst das Leben nimmt.

Eingebettet ist die ganze Philosophie in unzählige witzige Szenen auf Kosten von Hellsehern (die Hellseher-Karikatur Yappi; die ganzen Hellseher, die den Mord an ihnen selbst nicht vorhersehen können; Bruckman, der Versicherungen verkauft und die Lottozahlen nicht vorhersehen kann), der Polizei (die Yappi für nützlicher hält als das FBI) und Mulder (wird wegen Aussendens negativer Energie aus dem Raum geworfen, soll an autoerotischer Erstickung sterben), makaberen Humor (Bruckman sieht seinen eigenen Kopf in einer Mülltüte), hintergründige Situationskomik (Bruckman erzählt fast dasselbe wie Yappi, aber auf völlig andere Weise - wenn zwei das gleiche sagen, ist es noch lange nicht dasselbe; Scully rettet Mulder, weil sie in den falschen Aufzug steigt), und jede Menge In-Jokes (so z.B. das T-Shirt, das Mulder schon Luther Boggs in Season 1 unter die Nase hielt). Nebenbei kommt Scully noch zu ihrem Schoßhund Queequec und erfährt, dass sie unsterblich ist.

Eine großartige Episode, mit einem großartigen Peter Boyle als Gastdarsteller. Ich gebe sechs Lebensversicherungspolicen dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » So 4. Nov 2018, 12:21

Nachtrag aus der Diskussion: Ich glaube, Bruckmans Monolog über "why does anyone do the things they do" könnte der Schlüssel zu seinem Fatalismus sein - das würde auch zu seiner Angst passen, versehentlich irgendetwas durch sein Eingreifen anzurichten, und zu dem Zitat, dass er den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Er glaubt, die Zusammenhänge sind so komplex, dass Menschen sie nicht erfassen können und deshalb auch nicht planvoll agieren können. Sie stolpern durchs Leben und wissen selbst nicht, wieso sie in die Situation gekommen sind, in der sie jetzt sind. Also tut er lieber nichts, oder beschränkt sich auf Schadensbegrenzung.

Die Haltung hat etwas taoistisches - Wu Wei, Tun durch Nicht-tun.Man soll nicht aktiv in das Weltgeschehen eingreifen bzw. sich dem natürlichen Lauf der Dinge nicht in den Weg stellen.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » So 4. Nov 2018, 20:48

Folge 5, Staffel 3: "Die Liste / The List"

(Kopie von SciFi Forum)


Ein zum Tode verurteilter Mörder droht auf dem elektrischen Stuhl, er werde zurückkommen und fünf Menschen ermorden. Als kurz darauf ein Gefängniswärter unter unerklärlichen Umständen zu Tode kommt, zieht man Mulder und Scully hinzu, die nach der Todesliste mit den Opfern suchen. Während Mulder Reinkarnation in Betracht zieht, glaubt Scully, dass ein Komplize von Neech Manley die Racheakte ausführt.

Zum wiederholten Mal eine Episode um Reinkarnation, diesmal mit einer besonderen Note. Dies wurde hier noch nicht erwähnt, deshalb vermute ich, dass das hier gar keiner weiß. Laut Chris Carter selbst - der es als Regisseur und Drehbuchautor wissen muss - wurde Neech in Form einer Fliege wiedergeboren. Ich muss sagen, ich wäre von selbst wohl nicht auf die Idee gekommen, habe die Episode aber unter diesem Aspekt nochmal angeschaut, und wirklich, es sind Fliegen und Fliegenlarven immer wieder zu sehen, und zwar immer im Zusammenhang mit Opfern auf der Todesliste (womit auch die Frage beantwortet ist, wer auf der Liste stand: Alle die, um die die Fliege herumschwirrte - die Mithäftlinge Rogue und Speranza also nicht).

Die Idee ist so abgefahren, dass Carter sie nicht einmal Mulder aussprechen ließ. Neech beschäftigte sich ja laut Episode mit Religion und Reinkarnation. Im Hinduismus (der wird in der Szene vor dem Bücherregal sogar erwähnt) gibt es Lehren, nach denen jemand mit schlechtem Karma als niedere Lebensform wiedergeboren wird. Ein paar Hinweise sind aber doch in der Episode, neben den Fliegenlarven und der Fliege, die um die Ermordeten herumschwirrte, auch der Dialog zwischen Mulder und dem Mithäftling Speranza am Anfang: "He would have called it "transmigration of the soul." - "Into what form?" - "You, me, this mattress - I don't know. He didn't specify, but he's back." Die Folge deutet hier zumindest an, dass die Reinkarnation nicht menschlich sein könnte.

Ein Problem mit Carters irrer Idee ist, dass mir völlig unklar ist, wie Fliege Neech die Morde eigentlich bewerkstelligt. Und wie kam die Leiche mit dem abgeschnittenen Kopf ins Gefängnisbüro? Hat Neech doch einen Komplizen (wenn ja, wen?), oder ist er in der Lage, als eine Art Astralprojektion aufzutauchen - Danielle glaubte ja, ihn zu sehen, Speranza auch, oder vielleicht haben sie sich das auch nur eingebildet. Die Folge lässt einen darüber im Unklaren.

Insgesamt macht es einem die Episode schwer, sich wirklich für sie zu begeistern. Die vielen Nebenhandlungen sind verwirrend, keiner der Charaktere ist irgendwie sympathisch, und Neechs Motive für die Auswahl seiner Opfer bleiben auch etwas im Dunkeln. Die Themen um die Todesstrafe und das korrupte Gefängnissystem wurden zwar angerissen, aber nicht wirklich ausgeführt. Mulder und Scully erreichen hier wieder nichts, sondern laufen immer den Ereignissen hinterher.

Gut gefallen hingegen hat mir die Atmosphäre der Unsicherheit und Angst, die die Existenz der Liste erzeugte, und die Inszenierung vor allem der Gefängnisszenen (die in der Tat sehr an das Schweigen der Lämmer erinnerte). Ich gebe noch knapp vier wiedergeborene Fliegen dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Mo 12. Nov 2018, 17:23

Folge 6, Staffel 3: "Fett / 2Shy"

(Kopie von SciFi Forum)


Drei Fettaugen. Ein fettsaugender Serienmörder ist hinter übergewichtigen Frauen her und rekrutiert seine Opfer in Online-Dating-Plattformen.

Vom Hocker gerissen hat mich die Episode auch nicht, obwohl sie eigentlich Potenzial hat. Angelegt ist der Fall so ähnlich wie die Tooms-Fälle, der Mörder mordet, weil er ein genetischer Mutant ist und Körper(bestand-)teile seiner Opfer zum Überleben braucht. Im Unterschied zu Tooms hat er aber auch noch einen manipulativen Zug - er nutzt die Schwäche seiner Opfer aus und manipuliert sie, ansonsten gäbe es keinen Grund, über den Umweg Online-Dating zu gehen und sich auf Frauen zu fokussieren. Übergewichtige beiderlei Geschlechts gibt es auch anderswo und ohne diesen Aufwand zu finden. Man muss davon ausgehen, dass ihm die Dating-Masche eine zusätzliche Befriedigung verschafft, was Scully ihm am Ende der Episode auch vorhält. An die Tooms-Episoden kommt die Folge trotzdem zu keinem Zeitpunkt heran.

Unterschwelliges Thema der Episode ist Sexismus gegenüber Frauen, zum einen mit der Wahl der Opfer, zum anderen aber auch mit diesem Sheriff, der Scully gegenüber sehr patronisierend ist. Wenn eine Frau keine weiblichen Leichen obduzieren soll, sollten Männer dann auch keine männlichen Leichen obduzieren? Immerhin anerkennt er Scullys Kompetenz am Ende der Episode dann doch, und glücklicherweise war man so klug, den Showdown den beiden Frauen zu überlassen und nicht etwa Mulder als den weißen Ritter hereingaloppieren zu lassen.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Mo 12. Nov 2018, 17:25

Folge 7, Staffel 3: "Der zweite Körper / The Walk"

(Kopie von SciFi Forum)


Eine Serie von mysteriösen Todesfällen in einem Militärgefängnis ruft Mulder und Scully auf den Plan. Ein Golfkrieg-Veteran behauptet, wiederholt von einem Unbekannten am Freitod gehindert zu werden, der auch den Tod seiner Familie bei einem Hausbrand auf dem Gewissen habe. Mulder vermutet, dass ein vierfach amputierter Patient als Astralwesen der Schuldige ist.

Akte X hat sich ja schon wiederholt mit der Thematik traumatisierter Soldaten beschäftigt, so in "Deep Throat", "Sleepless" und "Fresh Bones", so explizit wie in "The Walk" allerdings noch nicht. Leonard "Rappo" Trimble ist aufgrund seiner Verstümmelungen völlig verbittert und von einem Haß auf alles, was auch nur ansatzweise mit dem Militär zu tun hat, angetrieben. Er fühlt sich von der Kriegsmaschinerie benutzt und weggeworfen, als er nicht mehr nützlich war. Er stellt es so dar, dass er in einem übergeordneten politischen Interesse handelt: "This isn’t about you and me, man. This is about all the grunts and all the crips and all the boys who came home in a box!" Ob es ihm nicht doch hauptsächlich um sich selbst geht, darf bezweifelt werden; jedenfalls sind unter seinen Opfern einige Kollateralschäden, die nicht im Entferntesten mit dem Militär etwas zu tun haben, vor allem das kleine Kind. Dessen Tod nimmt er in Kauf, weil er dem General das nehmen will, was ihm am wichtigsten ist - sein eigenes Kind.

Mit seinem Zynismus und seinen Gemeinheiten auch gegen Leute, die ihm helfen wollen, ist er ein sehr unsympathischer Charakter. In gewisser Weise finde ich es sogar gut, dass man hier mal kein heldenhaftes Kriegsopfer mit einem Heiligenschein auf einen Podest stellt (vor allem, damit sich die Zuschauer besser fühlen), sondern einen Charakter zeigt, der überhaupt nicht mit seinen Verstümmelungen fertig wird. (In dieselbe Kerbe schlägt die Charakterisierung der Mutter des getöteten Kindes: "I don’t want to 'handle it'. I want my son back!").

Was Rappo letztlich will, ist dasselbe wie Colonel Stans - seinem Leben ein Ende setzen. Beide Kriegsveteranen können ihr Trauma nicht überwinden und sehen nur noch im Tod einen Ausweg aus ihrer Situation. Es geht damit auch um die Debatte um das Recht zu sterben, wenn man mit seinem Leben bzw. dessen Umständen nicht mehr fertig wird.

Wenn es auch Rappo persönlich eher um sich selber geht, der politische Kommentar der Episode ist nicht zu überhören. In den USA wurde der Golf-Krieg in den 90ern in der Öffentlichkeit als eine Erfolgsgeschichte gesehen, die das Vietnam-Trauma wieder zurecht rückte. Akte X schwamm hier gegen den Strom, und kommentierte nicht nur in dieser Episode das Golfkrieg-Syndrom. Während sich Rappos Anklage gegenüber Mulder über "watching war on cable TV like it was a damn video game" gegen den öffentlichen Umgang mit dem Golfkrieg wendet, fällt von Colonel Stans sogar die Aussage, vielleicht könnte der Angreifer einer von Saddams Soldaten sein, " … come back to hold me accountable," was zumindest Zweifel an einer schwarz-weißen moralischen Zuordnung nahe legt.

Bei der Recherche fand ich heraus, dass Mulders Monolog am Ende ursprünglich einen anderen Wortlaut hatte:

"Leonard Trimble was a casualty of the Gulf War. A victim of friendly fire. The wounds of war, however, can go beyond the physical and mental injuries of battle. There was a spiritual toll on the combatants, the attack against the psyche that leaves in its wake only bitterness and anger. It was war that destroyed Leonard Trimble’s body and released his phantom soul. And it was war that destroyed those parts of himself that make us civilized human beings … those better angels of our nature." (Quelle).


Daraus wurde - vermutlich auf Intervention des Senders hin - der viel unverfänglichere Text:

"It was war that destroyed Leonard Trimble’s body … but his wounds went deeper than the loss of his limbs. What destroyed those parts of him that make us human beings? Those better angels of our nature? I cannot say."


Die Ironie des "I cannot say" ist vermutlich beabsichtigt. Interessant auch im Zusammenhang mit Rappos Motivation, dass er von eigenen Leuten so verstümmelt wurde.

Die Umsetzung ist, typisch für Rob Bowman, sehr gelungen und es gibt mit der anfänglichen Selbstmordversuch-Szene, der Szene im Schwimmbad und dem Showdown im Keller einige wirklich spektakuäre Szenen. Insgesamt hat mir die Episode deutlich besser gefallen als "2Shy", ich gebe vier fehlgeschlagene Selbstmordversuche für die Episode.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Di 13. Nov 2018, 18:53

Folge 8, Staffel 3: "Parellele / Oubliette"

(Kopie von SciFi-Forum)


Ein junges Mädchen wurde entführt und entwickelt eine geistige Verbindung zu einer jungen Frau, die als Kind vom selben Täter entführt worden ist.

"Oubliette" bezieht ähnlich wie "Irresistible" ihre Stärken weniger aus den übernatürlichen Elementen als aus dem Tatbestand, dass es sich um einen Verbrecher handelt, der sich hinter jedem Gesicht verbergen könnte, sowie der Nähe zu real vorgefallenen ähnlichen Fällen. Es geht vor allem um die emotionalen Folgen für die Charaktere.

Thematisch hat "Oubliette" damit einige Ähnlichkeit mit der Vorgängerfolge "The Walk", es geht auch hier um ein Trauma, das nur durch den Tod überwunden werden kann. Lucy ist nicht wie Rappo aus "The Walk" ein völliger Unsympath, aber auch sie erregt zuweilen etwas Unmut beim Zuschauer, weil sie anscheinend nur an sich selber denkt und nicht bereit ist zu helfen. Gleichzeitig hat man Sympathie für sie und ihre Anstrengungen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, was ihr in letzter Zeit auch gelungen zu sein schien. Umso schlimmer für sie, dass nun durch ihre Verbindung mit Amy alles wieder aufbricht und ihr mühsam in Ordnung gebrachtes Leben wieder durcheinander bringt. Weil sie zudem überhaupt nicht versteht, was mit ihr geschieht, ist sie völlig verstört und verängstigt. Ihre ablehnende Haltung gegenüber der Polizei ist angesichts ihrer problematischen Vergangenheit auch verständlich. Eine solch komplexe und glaubwürdige Charakterisierung einer einmal auftretenden Figur innerhalb einer einzigen Episode sieht man selten.

Die Polizei, Scully inklusive, macht es ihr auch nicht leichter. Die örtlichen Beamten sehen ihre kriminelle Vergangenheit und verdächtigen sie, und auch Scullys Verhalten ist etwas ärgerlich. Der einzige, der von Anfang an auf Lucys Seite steht, ist Mulder. Der Bezug zur Entführung von Mulders Schwester ist offensichtlich und die Episode legt Wert darauf, dass Mulders Motivationen nicht allein auf dieses Kindheitserlebnis reduziert werden können. m.E. ist das glaubhaft, denn Mulder hat auch in anderen Fällen schon stets große Empathie für die Opfer gezeigt. Scully hingegen ist hier - ebenfalls ähnlich wie schon in anderen Fällen - sehr schnell bereit, Lucy zu verdächtigen und Mulders Sympathie für Lucy auf eine sehr oberflächliche Ebene zu reduzieren. Erfreulicherweise überdenkt sie ihre Haltung zum Ende der Handlung.

Neben der lebensnahen Handlung lebt die Folge vor allem von den großartigen schauspielerischen Leistungen, allen voran Tracey Ellis als Lucy Householder und David Duchovnys. Ellis ist fantastisch in ihrer Darstellung der sich anfangs völlig ablehnend verhaltenden Lucy, ihrer Wut, ihrer Verstörung und Verzweiflung durch die Geschehnisse, und ihres schrittweisen Öffnens gegenüber Mulder. Duchovny wiederum gelingt es großartig, Mulders Konflikt darzustellen zwischen seinem Mitgefühl für Lucy und seiner Aufgabe, Amy zu retten. Eine der besten Szenen ist am Ende, als er Lucy nicht retten kann und sie an Amys Stelle stirbt. (Auch hier wieder die Parallele zu Samantha, die er auch nicht retten konnte.) Auch Jewel Staite hat einige wunderbare Szenen als die verängstigte, aber sich trotzdem wehrende Amy. Die Darstellung der Szenen im Kerker, als Wade Amy im Dunklen fotografiert und sie terrorisiert, sind haarsträubend. Wade ist ähnlich wie Donny Pfaster und anders als die meisten anderen Monsters of the Week ein rein menschliches Monster; das Übernatürliche ist hier ein Weg, Amy zu finden. Über Wades Charakter erfährt man nicht viel, die Folge konzentriert sich auf die Opfer. Lucy konnte ihm nie wirklich entkommen, selbst nach ihrer Flucht fand er einen Weg, sie durch Amy zu verletzen. Metaphorisch gesprochen blieb sie bis zum Zeitpunkt ihres Todes im Kerker ("Oubliette") eingesperrt.

Bei der Recherche fand ich Hinweise auf Parallelen zur griechischen Mythologie, die Geschichte um die von Hades in die Unterwelt entführte Persephone, nach der sich Demeter auf die Suche begibt. Die Episode endet am Fluss, vermutlich ein Bild für den mythischen Fluss Styx, der die Grenze zur Unterwelt markiert. Es sind auch solche Dinge, die eine Episode aus der Masse herausheben.

"Oubliette" ist eine meiner Lieblingsfolgen. Die ganze Episode ist sowohl sehr spannend als auch sehr emotional, inklusive des tragischen Endes. Vom Drehbuch über die Darsteller bis hin zu den gewählten Drehorten ist sie einfach auf allen Ebenen hervorragend gelungen. Ich gebe sechs Kerkerfalltüren dafür.
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