Akte X - Staffel 3




Alles zu Chris Carters Mystery-Serien Akte X, MillenniuM und The Lone Gunmen

Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Mi 14. Nov 2018, 11:46

Folge 9, Staffel 3: "Die Autopsie / Nisei"

(Kopie von SciFi-Forum)


Nach mehreren Einzelepisoden ist jetzt wieder ein Mythologie-Zweiteiler am Start. Verglichen mit den letzten Mythologiefolgen gibt es in "Nisei" keine dramatischen Enthüllungen, trotzdem ist wieder jede Menge los. Mulder kauft auf ein Zeitungsinserat hin (die guten alten Zeiten...) ein Videotape, auf dem angeblich eine Autopsie an einem Außerirdischen gezeigt wird. Als die Agenten den Verkäufer aufsuchen wollen, finden sie ihn tot auf, Mulder nimmt einen flüchtenden Japaner fest und verursacht damit einen diplomatischen Zwischenfall. Dokumente aus der Aktentasche des Japaners führen ihn über einige Umwege zu dem Zugwaggon, in dem die Autopsie gefilmt wurde, während Scully auf eine Gruppe von Frauen trifft, die behaupten, von Außerirdischen entführt worden zu sein und wie sie einen Chip im Nacken hatten.

Die von Scully zu Anfang der Episode erwähnte Dokumentation über eine angebliche Autopsie eines Außerirdischen auf Fox (dem Sender, der auch die X-Akten ausstrahlte) hat es tatsächlich gegeben, sie wurde 1995 ausgestraht und erwies sich später als Fälschung. Das Video, das Mulder in der Episode kauft, ist - im Rahmen des X-Files-Universums - dagegen echt: Die wichtigste Enthüllung der Episode ist, dass japanische Kriegsverbrecher in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Regierung Experimente durchführten und an Alien-Mensch-Hybriden arbeiteten. Die Folge knüpft damit direkt an "Anasazi" an, wo bereits deutlich wurde, dass die Verschwörung nicht auf die USA beschränkt ist und Leichen von Alien-Mensch-Hybriden in einem vergrabenen Zugwaggon gefunden wurden. Das von Senator Matheson erwähnte "Projekt", die Einheit 731, hat ebenso wie die "Operation Paperclip" einen realen Hintergrund. Die Einheit 731 operierte während des zweiten Weltkriegs in Japan und führte dort ähnlich wie ihre Nazi-Gegenstücke in Deutschland medizinische Experimente an Menschen durch. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde ihnen von den USA im Austausch gegen ihr Wissen Immunität gewährt. Auch diese Wissenschaftler sind in der Episode nicht tot, sondern weiterhin aktiv - Ishimaru ist das Gegenstück zu Victor Klemper aus dem "Blessing Way/Paper Clip"-Zweiteiler. "Monsters begetting monsters." Von Matheson auf den Weg gebracht findet Mulder den Bahnwaggon, in dem die Experimente durchgeführt wurden.

In der Nebenhandlung um Scully beschäftigt sich die Episode wieder mit den Folgen von Scullys Entführung. Auch nach Melissas Tod tut sich Scully weiter schwer, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen. Sie verdrängt immer noch ihre Erinnerungen, reagiert defensiv und läuft beinahe davon, als Regressionshypnose zur Sprache kommt, und versucht, sich von der MUFON-Gruppe zu distanzieren. Gleichzeitig ist sie aber beunruhigt, als sie von den Krebserkrankungen der Entführten erfährt. Ihre Zweifel, ihre Verstörung und ihre Angst werden von Anderson sehr gut dargestellt. In einigen Rückblenden wird wieder angedeutet, was mit ihr geschehen ist.

Nachdem in den ersten beiden Staffeln mit Billy Miles, Max Fenig und Duane Barry die prominentesten Entführten männlich waren, verschiebt sich in der dritten Staffel der Fokus auf weibliche Entführte und die Geschichte nimmt einen feministischen Zug an, über Frauen, die von Männern für genetische Experimente missbraucht werden. Die Implantate speichern und replizieren laut Agent Pendrell, der hier seinen ersten Auftritt hat, die mentalen Prozesse der Opfer, ein neuronales Netzwerk.

Zwei schon bekannte Nebencharaktere haben auch wieder einen Auftritt. Skinner erscheint hier wieder in der Rolle des Antagonisten und ist den beiden Agenten wenig hilfreich, da ihm die ganze Sache zu heiß ist. Ähnliches gilt für X, der via Scully Mulder aufzuhalten versucht, und ihr sagt, er wisse nicht, wie die Implantate funktionieren: "There are limits to my knowledge."

Wie schon im vorangegangenen Mythologie-Dreiteiler ist eine Stärke der Episode wieder der Bezug zu den historischen Ereignissen im und in der Folge des zweiten Weltkriegs, und wieder kommen die Siegermächte nicht gut weg. Die geheimen Projekte der US-Regierung mit Kriegsverbrechern der unterlegenen Seite in fiktiver Form auf den Bildschirm zu bringen gehört zu den Anliegen der Serienmacher. Mir gefällt, wie in der Geschichte alles mit einem unbedeutenden Vorfall beginnt - Mulder kauft auf ein Zeitungsinserat hin ein merkwürdiges Video - und sich zu einem weit über die USA hinausreichenden Komplott ausweitet. Die Episode endet mit einer grandiosen Szene, als Scully auf Anweisung von X hin Mulder hindern will, auf den Zug zu springen, und dieser doch springt und dabei sein Handy verliert (anscheinend ein kleiner In-Joke, da Mulder nun endlich gelernt hat, dem ständigen Verlust seiner Waffe mit einer Zweitwaffe zu begegnen).

"Nisei" glänzt auch mit witzigen Dialoge um das Autopsievideo, einer sehr guten schauspielerischen Leistung von Gillian Anderson in der Nebenhandlung und einigen gelungenen Action-Szenen. Mein Hauptkritikpunkt an der Episode ist, die ganze Nebengeschichte um das japanische Schiff und das gesunkene U-Boot ist für meinen Geschmack zu lang geraten. Vor allem die Szenen am Hafen ziehen sich ziemlich in die Länge (das Herumgerenne auf dem Schiff hätte man sich m.E. gänzlich sparen können), und die Flucht Mulders von dem Schiff ist ein bisschen arg unplausibel dargestellt. Das passt nicht so recht in eine Episode, die ansonsten recht straff daherkommt und jede Menge Tempo hat. Ich gebe knappe fünf Videotapes mit außerirdischen Autopsien dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Do 15. Nov 2018, 23:20

Folge 10, Staffel 3: "Der Zug / 731"

(Kopie von SciFi-Forum)


Im zweiten Teil des Zweiteilers ist Mulder hinter dem Japaner Ishimaru aka Zama her und wird dabei mit einem angeblichen NSA-Agenten und dem Opfer der Experimente in einen Waggon mit einer Zeitbombe eingesperrt. Derweilen führen Scullys Nachforschungen über ihren Chip sie zu einer Forschungseinrichtung, wo angeblich die Hansen-Krankheit erforscht wird, in der aber etwas ganz anderes vor sich geht.

Die Folge fängt schon grausig genug an, mit den Szenen in der Forschungseinrichtung, wo eine Massenexekution an deformiert aussehenden Wesen stattfindet. Die Szenerie mitsamt dem Massengrab, in dem sich Leichen stapeln, erinnert wieder an Bilder aus einem Nazi-Vernichtungslager. Die Aussage kann man kaum anders verstehen, als dass die Machenschaften der Verantwortlichen hier keinen Deut besser sind (der Kranke, mit dem Scully später spricht, spricht von "Death Squads"). Genau ist nicht zu sehen, wer da erschossen wird - sind es Alien-Mensch-Hybriden, oder menschliche "Forschungsobjekte"?

Der Vorwand, die Hansen-Krankheit aka Lepra zu erforschen, dient nur als Cover, denn für die Krankheit gibt es seit den 1980ern ein Heilmittel. Die Einrichtung war dennoch für Ishimaru der perfekte Standort, denn mit Lepra-Kranken wollte sich niemand abgeben. Was wirklich dort statt fand, waren Experimente an denen, um die sich keiner kümmert: "on the homeless, on the insane, they were brought here and they were subjected to diseases and radiation tests." Ziel: Die Schaffung eines Wesens, das gegen alle Arten von Waffen immun ist. Für seine Experimente nutzte Ishimaru Eisenbahnwaggons und konnte so überall seine Tests durchführen, mit einer installierten Bombe als Selbstzerstörungsmechanismus zum Schutz vor Entdeckung.

Der "First Elder", der sie in der Einrichtung aufgreifen lässt, erzählt Scully, was sie hören will: Er bestätigt ihr, dass sie tatsächlich entführt wurde und an ihr Tests durchgeführt wurden, schiebt aber alles auf die Japaner - es waren keine Aliens oder außerirdische Technologie im Spiel. Die ganzen Entführungsgeschichten durch Außerirdische, überzeugt er Scully, seien nur ein Täuschungsmanöver, um von den Machenschaften der von der Regierung geschützten Japaner abzulenken. Scully kommt diese Erklärung gerade recht, kann sie so doch ihre Erinnerungsfetzen und ihre Skepsis über die Existenz Außerirdischer in Einklang bringen.

In "731" spielt Akte X zum wiederholten Mal mit der Möglichkeit, dass Mulder Gespenstern hinterher jagt und es in Wahrheit keine Außerirdischen gibt. Die hier eingeführte Variante ist, dass die Regierung mit japanischen Wissenschaftlern kooperierte, die Menschen entführt und an ihnen Tests durchgeführt haben, und die Geschichten über Entführungen durch Außerirdische benutzte, um dies zu vertuschen. Scully weist Mulder auf einen realen Vorfall hin: "Two weeks ago, the president made a public apology for secret radiation tests that had been conducted on innocent citizens up until 1974." Auch das ist, kurz bevor "Nisei" ausgestrahlt wurde, tatsächlich geschehen. Scully wirft Mulder vor, der Regierung ungewollt bei der Vertuschung ihrer Machenschaften zu helfen. "Don’t you see, Mulder? You’re doing their work for them. You’re chasing aliens that aren't there, helping them to create a story to cover the shameful truth ... and what they can't cover, they apologize for. Apology has become policy." "Apology is policy", die Tagline dieser Episode.

Den NYT-Artikel, der Drehbuchautor Frank Spotnitz zu der Geschichte des Zweiteilers "Nisei/731" inspirierte, und dem ein halbes Jahr später die Entschuldigung Clintons folgte, kann man hier nachlesen.

So interessant der Gedanke ist, dass Mulder auf einem Don Quixote-Trip ist und so lobenswert das Ansinnen, die ganzen realhistorischen Ereignisse einem Publikum nahezubringen, das sich vielleicht sonst nicht so dafür interessieren würde, das Problem damit ist, dass der Versuch sich zu diesem Zeitpunkt kaum mehr mit dem bisherigen Geschehen in der Serie vereinbaren lässt. Kann man in Staffel 1 und Anfang der Staffel 2 die Ereignisse vielleicht noch mit Täuschungsmanövern und Mulders übersteigerter Fantasie erklären, so tauchen in "Colony" und "Endgame" Kolonien von Klonen und gestaltwandelnde Kopfgeldjäger auf, die auch Scully sieht. Es braucht schon viel guten Willen, um Scullys Akzeptanz der Erklärungen des "First Elder" noch mit ihrem Entführungstrauma und Skeptizimus erklären. Vom Zuschauer kann man m.M.n. an diesem Punkt nicht mehr erwarten, dass er die Erklärung für bare Münze nimmt.

Insgesamt fand ich die Episode sehr gut gelungen, besonders auch wieder die Bezüge zu den realgeschichtlichen Geschehnissen. Ebenso die Szenen, wie Mulder und Scully beide in einem Eisenbahnwaggon stehen und übers Telefon zwei sehr verschiedene Theorien diskutieren. Und die Auftritte des Schaffners und Xs, der sich hier als Softie erweist und am Ende doch Mulder rettet. Ein paar Abstriche gibt es aber auch. Einmal Scullys Blauäugigkeit, mit der sie sich vom "First Elder" diese Geschichte verkaufen lässt (und die sie ein bisschen arg naiv aussehen lässt). Ein paar Elemente, die arg unplausibel sind: Dass man mitten in Virginia eine Forschungsstation und eine Eisenbahnlinie jahrzehntelang verbergen kann. Ich gebe fünf Zeitbomben dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Mi 21. Nov 2018, 20:37

Folge 11, Staffel 3: "Offenbarung / Revelations"

(Kopie von SciFi-Forum)


Ein Priester, der falsche Stigmata aufweist, wird ermordet aufgefunden. Es ist der elfte solcher falscher Propheten, die ermordet wurden. Ein achtjähriger Junge, dessen Hände im Schulunterricht zu bluten beginnen, könnte das nächste Opfer sein. Mulder und Scully schalten sich ein, um den Jungen zu schützen.

Akte X tastet sich hier wieder an das Thema Religion heran, wie das schon zuvor einige Male der Fall war, so in "Miracle Man" und "Die Hand, die verletzt". Religion ist in den USA immer noch ein heißes Eisen, bei der Recherche fand ich Hinweise auf Umfragen von vor ca. 5 Jahren, nach denen ca. 75 Prozent der Amerikaner der Religion eine große Bedeutung zuschreiben und ca. 40 Prozent sich nicht vorstellen können, einen Atheisten zu wählen. Entsprechend vorsichtig ist die Serie hier noch mit ihrem Umgang mit dem Thema; kein Vergleich mit der offen subversiven Herangehensweise zum Ende der sechsten Staffel.

Die Episode beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Glauben. Sie eröffnet mit dem einen Extrem: Reverend Findley warnt seine Gemeinde, an die Wissenschaft zu glauben, sei gefährlich und nennt als Beispiel ein junges Mädchen, das in seinem Glauben erschüttert wurde, weil ihr Bruder ihr sagte, das rote Meer sei von Wind und Meeresströmungen getrennt worden und nicht von Moses bzw. dem Willen Gottes. (Man kann sich fragen, warum das eine das andere ausschließen muss.) Das Mädchen fragte, ob es Wunder gäbe oder die Geschichten in der Bibel nur Märchen seien. "I assured her that yes, miracles really do happen. Most people today tend to vest themselves in science and cynicism. They expect proof for all that they see, but miracles are wonders by nature. They need no rationale, no justification. You must witness the miracles of the Lord without question."

Auch auf Seiten der Wissenschaft gibt es Vertreter der Auffassung, dass sich Glaube und Wissenschaft gegenseitig ausschließen. Was Scully als Wissenschaftlerin und gläubige Katholikin ins Zentrum der Episode rückt. Scullys katholischer Glaube war schon früher in der Serie ein Thema, hier muss sie sich explizit mit der Möglichkeit von Wundern im biblischen Sinn auseinandersetzen. In der Schlussszene in der Kirche sagt sie "I've drifted away from the church. I'm not sure why exactly." Wie das kleine Mädchen, von dem in der Eröffnungsszene die Rede ist, fragt sie den Pfarrer, ob es wirklich Wunder gibt. Ihre Aussage "I'm afraid that God is speaking… but that no one’s listening" klingt fast so, als ob sie ihren Skeptizismus in Frage stellt.

Mulder seinerseits hat als überzeugter Atheist mit der plötzlich jeden Skeptizismus ablegenden Scully Probleme. Für mich ist Mulders Skeptizismus wesentlich leichter nachvollziehbar als Scullys Wunderglaube. Mulder hat ein Problem mit der organisierten Religion, und projiziert das auf religiöse Wunder an sich. Da Mulder generell ein Problem mit Autoritäten und Institutionen hat, ist seine Ablehnung der organisierten Religion nicht verwunderlich. Sein Hinweis, dass "a very disgruntled altar boy" womöglich der Täter sei, könnte ein Hinweis auf die Pädophilie-Skandale in der Kirche sein, die in den USA in den 1980ern und 90ern groß in den Schlagzeilen waren. Er hält das Ganze für einen Kreuzzug von Fanatikern und will von Wundern nichts wissen - er hat interessanterweise die Wunder auch nicht gesehen, und ist somit auch in dieser Hinsicht hier in derselben Rolle wie sonst Scully. Mulder ist genauso wenig einfach der "Believer", wie Scully einfach die Skeptikerin ist.

Beide Charaktere sind komplizierter und das stellt einmal mehr die Partnerschaft auf die Probe. Mulder ist durch Scullys Abkehr vom Skeptizismus verwundert, um nicht zu sagen verunsichert, und muss sich fragen, ob auf ihre bisherige Funktion als "Realitätscheckering" kein Verlass mehr ist. Meine Vermutung ist, dass er deswegen selbst stark in den Skeptizismus verfällt - mehr als er es sonst vielleicht ohnehin bei diesem Thema täte. Scully wiederum muss sich fragen, ob Mulder sich hier durch seine Ablehnung der organisierten Religion von der Suche nach der Wahrheit abbringen lässt. Am Ende kommt sie zu dem Schluss, dass sie mit Mulder über alles reden kann, aber ausgerechnet über Glaubensfragen nicht. Bezeichnend, dass sie beim "Good Bye" ihm nicht einmal sagt, wohin sie geht.

Interessant ist an "Revelations", wie Akte X hier mit dem Thema Glauben umgeht. Nicht zum ersten Mal scheint die Serie nahezulegen, dass Glauben nur einen Wert hat, wenn er unbedingt und rein ist. Das war schon in "Miracle Man" so, als der Heiler Samuel überzeugt war, durch seine Schwäche und seinen Stolz seine Gabe verloren zu haben. In "Die Hand, die verletzt" wurde auf parodistische Weise der oberflächliche Glaube im heutigen Amerika aufs Korn genommen, indem der Teufel eine Gruppe von Satanisten strafte, weil sie nicht religiös genug waren. Hier werden falsche Propheten Opfer ... und die Show sympathisiert mit Owen Jarvis, der zwar in etwas beunruhigender Weise als fanatischer Gläubiger dargestellt wird, aber am Ende recht behält. "Mass on Christmas, fish on Friday. You think that makes you a good Christian. Just because you don't understand the sacrifice, because you're unwilling, don't think for a moment that you set the rules for me. I don't question His word. Whatever He asks of me, I'll do." Und am Ende Scullys Geständnis, dass sie vom Glauben abgekommen ist.

Die Episode machte den Produktionsnotizen zufolge in der Produktion große Probleme und war kurz davor, im Papierkorb zu enden. Man sieht das auch noch im Endprodukt. So einiges ergibt nur mit erheblichen logischen Bocksprüngen einen Sinn. Warum Gates in Jerusalem zur Überzeugung kam, er müsse das Werk des Teufels tun, hätte mehr als eines Halbsatzes der Erklärung bedurft. Auch, warum Kevin Stigmata aufweist. Stigmata sind äußere Zeichen für Auserwählte Gottes. "I'm special" und "Kevin was chosen by God" reicht da einfach nicht als Erklärung, zumal Kevin zu keinem Zeitpunkt auch nur andeutet, dass er überhaupt gläubig ist. Der finale Showdown in der Recyclingfabrik ergibt auch keinen Sinn. Warum bringt der Mörder Kevin in die Recyclingfabrik, anstatt ihn einfach irgendwo zu töten? Die Verbindung zu dem "coming full circle"-Zitat ist sehr konstruiert, um nicht zu sagen an den Haaren herbeigezogen. "Coming full circle to find the truth" als Hinweis auf die Recyclingfabrik? Welche Wahrheit ist in der Recyclingfabrik zu finden?

Am Ende halten David Nutters hervorragende Regie und Andersons schauspielerische Leistung die Episode zusammen. Vor allem die Konfrontation in der Recyclingfabrik ist hervorragend inszeniert - der herumfliegende Abfall erzeugt eine dystopische Szenerie, die gut zum apokalyptischen Thema passt. Anderson hat zusammen mit Kevin, in der Unterhaltung mit Owen und beim Abschied von Mulder einige sehr gute Szenen. Thematisch wäre die Folge vielleicht besser in der Schwesterserie "Millenium" aufgehoben gewesen als bei den X-Akten. Ich gebe knappe vier Recyclingtonnen dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Do 29. Nov 2018, 22:28

Folge 12, Staffel 3: "Krieg der Koprophagen / War of the Coprophages"

(Kopie von SciFi-Forum)


In Massachusetts stirbt ein Kammerjäger bei der Bekämpfung eines akuten Kakerlaken-Befalls. Der zufällig vor Ort weilende Mulder fährt hin, um den Todesfall zu untersuchen. Scully bleibt zunächst zuhause, als sich aber weitere Todesfälle ereignen und Mulder mit einer insektenwissenschaftlerin anbandelt, begibt sie sich doch in die zunehmend im Chaos versinkende Kleinstadt.

"Behold the mighty cockroach, believed to have originated in the Surilian period over three-hundred and fifty million years ago." Wenn eine X-Akten-Episode so beginnt, kann eigentlich nur einer der Autor sein. Darin Morgan macht in seinem dritten Skript die rätselhafte Beziehung zwischen Menschen und Kakerlaken zum Thema. Der Tatort "Miller's Grove" ist nach "Grover's Mill" benannt, einem Ort in Orson Welles berühmt-berüchtigter Radioübertragung von "War of the Worlds", nach der Berichten zufolge eine Panik ausbrach, weil die Sendung für einen realen Bericht gehalten wurde. Wie der Episodentitel schon andeutet, ist "War of the Coprophages" von diesem Ereignis inspiriert: Hier bricht eine Panik aus, nicht wegen Berichten über einfallende Außerirdische, sondern Berichten über einfallende Kakerlaken - von denen möglicherweise einige außerirdischen Ursprungs sind. (Darüber hinaus fand ich bei der Recherche heraus, dass es 1974 in Massachusetts eine durch Militärexperimente verursachte Plage mutierter Kakerlaken gab.)

"By evolutionary standards, they are nearly flawless creatures but creatures nevertheless ... Possessing only a simple nervous system, their behavior is dictated solely by responses to environmental stimuli. Unlike us, they are incapable of thought, of... self-illumination." Morgans Hauptumtrieb in der Episode scheint zu zeigen, dass es mit dieser Self-Illumination der Menschen nicht so weit her ist. Schon nach dem ersten Todesfall entstehen Gerüchte, und noch bevor irgendwer weiß, was überhaupt passiert ist, stürzen sich die Medien darauf: Es ist von einem Ausbruch von Ebola die Rede, ein geheimes Regierungsexperiment wird vermutet, Mulder bricht in ein Regierungsgebäude ein, Dr Newton fragt sich, ob er seine Familie evakuieren muss. Die Polizei tut wenig, um die Leute zu beruhigen, und das wenige auch noch erfolglos. Als Scully endlich in Miller's Grove ankommt, ist die Panik in vollem Gange. Scullys Versuch, die Leute im Supermarkt zur Vernunft zu bringen, scheitert an einem umfallenden Ständer mit Schokokugeln.

"Self-Illumination"? "Capable of thought"? Es hat eher nicht den Anschein. Es sieht eher aus nach "their behavior is dictated solely by responses to environmental stimuli". In dieselbe Kerbe schlägt auch Dr Bambi Berenbaum (benannt nach einem wirklichen Insektenwissenschaftler): "[Insects] are truly remarkable creatures. So beautiful, and so honest. Eat, sleep, defecate, procreate. That*s all they do. That's all we do, but at least insects don't kid themselves that it's anything more than that."

Die Massenpanik hat Folgen, fünf Brände, massenweise Autounfälle, Schlägereien, Vergiftungen mit Insektengift, überfallene Geschäfte, und Dr Eckerle stirbt. Wenn Leute schon über eine Kakerlaken-Plage in helle Panik geraten, was würde dann erst bei einer echten Konfrontation mit Außerirdischen geschehen, wie in Orson Welles Radiosendung? Ist Mulders Idee, man müsse den Leuten die Wahrheit sagen, vielleicht hoffnungslos naiv - hat der Raucher etwa recht?

Womit wir bei Mulder wären. Der hat, als seine Wohnung saniert wird, nichts besseres zu tun, als im Auto herumzusitzen und nach UFOs Ausschau zu halten, obwohl seine Mutter direkt in der Nähe wohnt. "Does the FBI really keep tap of these things?" - "No." Als er sich schließlich in den Fall einschaltet, liegt er zur Abwechslung mit seinen Vermutungen wiederholt und gründlich daneben. Das gilt nicht nur für Todesfälle im Zusammenhang mit den Kakerlaken. Morgan nimmt Mulders gesamtes Glaubensgebäude aufs Korn. Der erste Tiefschlag kommt von Scully. Als Mulder blumig darüber philosophiert, wer vielleicht vom Weltall aus die Menschen beobachtet, demontiert ihn Scully mit eiskalter Rationalität. "Mulder, I think the only thing more fortuitous than the emergence of life on this planet is that, through purely random laws of biological evolution, an intelligence as complex as ours ever emanated from it. The very idea of intelligent alien life is not only astronomically improbable but at it’s most basic level, downright anti-Darwinian".” Dann kommt Berenbaum mit ihrer Theorie, dass UFOs in Wahrheit Insektenschwärme sind. Schließlich demontiert Dr Isanov sein Weltbild vollends: "Anyone who thinks alien visitation will come not in the form of robots, but of living beings with big eyes and gray skin has been brainwashed by too much science-fiction." Besonders nach Isanovs Lektion wirkte Mulder doch sehr geknickt.

Scully verbringt ihre Freizeit zuhause, reinigt ihre Waffe, badet ihren Hund und weiß offenbar auch nichts rechtes mit ihrer Zeit anzufangen. Zwar hat sie zunächst keine rechte Lust, an den Tatort zu fahren, dennoch recherchiert sie zum Thema Kakerlaken und hat das Telefon ständig neben sich, sogar als sie ins Bett geht, um jederzeit bereit zu sein, wenn Mulder anruft. Was sie dann auf den Plan ruft, sind nicht die Todesfälle, sondern das Auftauchen von Dr Berenbaum. "Her name is Bambi?" Es gibt ein paar wunderbare Szenen im Zusammenhang mit "Bambi", die zeigen, dass Scully die Konkurrenz einer anderen Wissenschaftlerin um Mulders Aufmerksamkeit überhaupt nicht passt.

Morgans Skripts nehmen immer auch Elemente der Serie selbst aufs Korn. In "War of the Coprophages" ist ein Kernpunkt, dass beide Agenten kein Leben außerhalb der X-Akten haben, und selbst in ihrer Freizeit irgendwie in X-Akten-Fälle verwickelt werden. Mulder sucht selbst in der Freizeit nach Außerirdischen, Scully ist, wenn auch aus der Entfernung, ebenfalls mit dem Fall beschäftigt und will keine Konkurrenz dabei haben. Die Massenpanik resultiert aus der Angst vor einem der zentralen Themen der Serie, Regierungsverschwörungen. Mulders Einbruch in ein Regierungsgebäude, das sich als langweiliges Wohnhaus entpuppt. Die offenbar künstliche Kakerlake mit metallischen Beinen, von der die Episode suggeriert, dass sie außerirdischen Ursprungs sein könnte - was in der Episode ein ungelöstes Rätsel bleibt. Selbst das Format der Episode nimmt Carters Vorliebe aufs Korn, die Folge mit bedeutungsschwangeren Monologen zu beginnen und zu beenden.

Eine Menge Referenzen und In-Jokes gibt es auch: Neben "War of the Worlds" finden sich wiederholte Zitate aus dem "Planet der Affen"; Queequeg, den Scully in "Clyde Bruckman's Final Repose" adoptiert hat, taucht erstmals wieder auf, Scully verspeist eine der Schokoladenkugeln, die die Leute im Supermarkt für Schaben halten, was an die Szene in "Humbug", als Scully ein Insekt verspeist, erinnert.

In der Summe ist "War of the Coprophages" vielleicht der schwächste Darin Morgan-Skript - das will bei dieser höchst unterhaltsamen Episode schon etwas sagen. Es fehlt ein wenig der Tiefgang seiner anderen Drehbücher und die Handlung zerfasert zeitweise etwas. Ich gebe dennoch knapp fünf Kakerlaken dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Sa 1. Dez 2018, 21:15

Folge 13, Staffel 3: "Energie / Syzygy"

(Kopie von SciFi-Forum)


Mulder und Scully werden von einer örtlichen Polizeibeamtin gerufen, um eine Mordserie an einer Kleinstadt-High School zu untersuchen. Gerüchte um einen satanistischen Kult sorgen für Panik unter den Einwohnern. Im Zentrum stehen zwei befreundete Mädchen, die anscheinend durch eine abnorme Planetenkonstellation zu telekinetischen Fähigkeiten gekommen sind, welche auch für das irrationale Verhalten aller in der Stadt sich Aufhaltenden, einschließlich der beiden Agenten, verantwortlich ist.

"Syzygy" wirkt wie eine Kreuzung zwischen Darin Morgans Vorgängerepisode "War of the Coprophages" und "Die Hand, die verletzt" aus Staffel 2 (aus der Feder von Glen Morgan & James Wong) und das größte Problem der Episode ist, dass sie unmittelbar nach der Kakerlaken-Folge ausgestrahlt wurde. Die beiden Episoden ähneln sich, was Anlage und Storyelemente angeht, doch sehr. Es sind beides Comedy-Episoden über Kleinstadt-Paranoia und Massenhysterie, Mulder flirtet mit einer anderen Frau und Scully reagiert eifersüchtig: Während in "War of the Coprophages" das Auftauchen von "Bambi" Scully erst dazu bringt, zum Tatort zu kommen, reagiert sie hier genau umgekehrt und will zurück nach Washington fahren, als sich Mulder für White zu interessieren scheint. Wo Darin Morgan Chris Carters Schreibstil auf die Schippe nahm, mit den Monologen zu Beginn und am Ende der Episode, imitiert bzw. parodiert hier Chris Carter Darin Moran.

In Reviews wird meist die Verwandtschaft mit "War of the Coprophages" hervorgehoben, ich finde allerdings die Ähnlichkeiten mit "Die Hand, die verletzt" mindestens ebenso augenfällig. Es wird ein Satanistenkult vermutet, auch hier wird so einiges an Klischees aus Geschichten über Satanisten auf den Kopf gestellt: So wird z.B. gleich zu Beginn thematisiert, dass das nächste Opfer eine blonde Jungfrau sein wird - wie sich herausstellt, sind zwei blonde Jungfrauen die Mörderinnen. Das vermeintliche Brandzeichen des Gehörnten erweist sich als das eingebrannte Emblem der High School (die High School in "Die Hand, die verletzt" hieß Crowley-Highschool), es werden überdreht dargestellte satanistische Rituale gezeigt, es geht das Gerücht um, dass Babies geopfert werden, und es regnet tote Vögel vom Himmel (dort waren es Kröten). Auch die Interviews, die Mulder und Scully mit den beiden Teenagern führen, erinnern an das Interview mit dem angeblich missbrauchten Mädchen in "Die Hand, die verletzt".

Die beiden im Zentrum stehenden Mädchen erinnern etwas an die "Weird Sisters" aus Shakespeares "Macbeth", mit sinnfreien Reimen wie "Double, double, toil and trouble" (hier "One Bloody Mary, Two Bloody Mary…"). Sie sorgen für einige urkomische Szenen - die Interviews, in denen sie fast wortgleiche Geschichten erzählen; als sie sich wegen dieses Typen zerstreiten und dann jede die andere für die Morde verantwortlich macht. Und natürlich der finale Kampf zwischen beiden und als es Zwölf schlägt, ist der Spuk vorbei und beide sitzen völlig verängstigt in der Kammer.

Verantwortlich für alles ist eine bestimmte Planetenkonstellation, die der Episode den Titel gibt ("Syzygy"). Wie die Astrologin Madame Zerinka (die der Regierung noch mehr misstraut als Mulder) erklärt, verleiht sie den beiden Mädchen, die an einem bestimmten Tag geboren wurden, außergewöhnliche Kräfte. Auch andere verhalten sich seltsam, so z.B. Mulder und Scully, die sich hier ständig gegenseitig auf die Nerven gehen. Spätestens als Mulder zu saufen und Scully zu rauchen beginnt, ist auch dem Letzten klar, dass etwas nicht stimmt. Während Mulder irgendwie noch zu realisieren scheint, dass hier etwas vor sich geht, ist Scully völlig im Dunkeln. Als es Zwölf schlägt, ist auch dieser Spuk vorbei, wie das einhellige "Put the gun down!" zeigt.

Neben der astrologischen Konjunktion hat der Titel "Syzygy" auch noch andere Bedeutungen, wie ich herausfand. In der Gnostik bezeichnet "Syzygy" eine Paarung, die komplementäre Eigenschaften zusammenbringt - die beiden Hälften werden oft mit "männlich" und "weiblich" bezeichnet. In ähnlicher Weise wird der Begriff in der Jungschen Psychoanalyse verwendet. In der Serie wird dieses Prinzip natürlich durch Mulder und Scully verkörpert, die auch mit ihrer Vorgehensweise zwei verschiedene komplementäre Wege verfolgen.

Die Episode ist recht spannend und hat viele komische Momente, für die neben den beiden Teenager-Mädchen besonders auch Mulder und Scully sorgen. So die Diskussionen ums Autofahren, Scullys Ablehnung jeglicher Theorien, die etwas mit Satanismus zu tun haben, und Mulder, der diese Ablehnung ins Lächerliche zieht (von Anderson und Duchovny auch gut gespielt). Ebenso die überzeichneten Satanismus-Anspielungen und natürlich die Szene mit White und Mulder im Motel. So ganz reicht sie für mich aber an keines ihrer Vorbilder "War of the Coprophages" und "Die Hand, die verletzt" heran. Ich gebe gute vier vom Himmel fallende Vögel dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Do 6. Dez 2018, 21:57

Folge 14, Staffel 3: "Grotesk / Grotesque"

(Kopie von SciFi-Forum)


FBI-Agent Patterson, ein früherer Lehrer von Mulder, nimmt einen Serienkiller fest, der behauptet, ein Dämon hätte ihn zu den Morden gezwungen. Als nach dessen Verhaftung die Morde weitergehen, lässt Patterson Mulder herbeiholen, der sich immer tiefer in den Fall verliert und schließlich selbst in Verdacht gerät.

"Grotesque" ist ähnlich angelegt wie "Irresistible" oder "Oubliette", in denen das Übernatürliche nur eine untergeordnete Rolle spielt und Menschen die eigentlichen Monster sind. Wie in "Irresistible" ist ein Serienkiller am Werk, und diesmal ist es nicht Scully, sondern Mulder, der in Gefahr gerät. Mulder sieht man hier endlich einmal bei seiner Arbeit als Profiler, der er seinen exzellenten Ruf in der verhaltenswissenschaftlichen Abteilung des FBI verdankt. Er dringt immer tiefer in den Fall ein, schläft, wo der Mörder geschlafen hat, tapeziert seine Wände mit Wasserspeier-Bildern, arbeitet mit Ton an den Skulpturen des Mörders, verschafft sich die Mordwaffe - alles, um den Fall wie der Mörder zu sehen. Er kommt darauf, dass die Opfer in den Skulpturen versteckt sind.

Das Nietzsche-Zitat, das in mehrfacher Form in der Episode auftaucht ("Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.") ist eine Art Leitmotiv von "Grotesque". Pattersons Credo wird von Mulder umschrieben mit "If you want to catch a monster, you must become one yourself." Als Mulder sich immer weiter in den Fall verliert, scheint er Pattersons Credo zu folgen. Scully macht sich immer mehr Sorgen um den sich abschottenden Mulder. Ihr Entsetzen, als sie in Mulders Zimmer die Bilder an der Wand sieht, ist greifbar; ebenso, als sich herausstellt, dass auf der Tatwaffe Mulders Fingerabdrücke sind. (Scullys eigene Rationalität ist anscheinend auch beeinträchtigt, als sie allen Ernstes Mulder verdächtigt und dabei völlig vergisst, dass der erste Mord nach Mostows Verhaftung bereits begangen wurde, als Mulder noch gar nicht hinzugezogen worden war.) Auch Skinner beginnt sich Sorgen zu machen, und selbst Mostow warnt Mulder: "It will find you. Maybe it already has."

Letztlich ist es aber nicht Mulder, sondern der "vernünftige" Patterson, der seinem eigenen Credo folgte und ohne es selbst mitzubekommen zum Monster wurde. Dass ein Gesetzeshüter auf diese Art zu dem werden kann, was er verfolgt, ist verstörend, und in "Grotesque" umso effektiver, weil die Episode es schafft, Patterson als einen dreidimensionalen Charakter darzustellen (was bei anderen ehemaligen FBI-Kollegen, die bspw. in Staffel 1 auftauchten, nie gelungen war). Erreicht wird das durch Pattersons zwiespältige Haltung Mulder gegenüber, wie auch dadurch, dass er nicht offen Mulder anfragt, sondern über Skinners Büro geht. Er wird von Kurtwood Smith auch sehr überzeugend dargestellt. Dies macht die Erkenntnis Pattersons in der Konfrontation mit Mulder, als ihm klar wird, was er getan hat, und seine Rufe am Schluss in der Gefängniszelle, als er seine Unschuld beteuert, so erschreckend und verstörend. Überhaupt sind die schauspielerischen Leistungen nicht nur Smiths, sondern vor allem David Duchovnys großartig. Duchovny schafft es hier, Mulders Flirt mit dem Wahnsinn fast ohne Dialoge glaubhaft herüberzubringen.

"Grotesque" gehört wie die verwandte "Irresistible" (und auch "Oubliette") zu meinen Lieblingsepisoden und ist eine von denen, die seit der Erstausstrahlung bei mir hängen geblieben sind. Es wird nicht offen eine paranormale Erklärung für die Taten angeboten, sondern weitgehend dem Zuschauer überlassen, ob Mostow und Patterson nun besessen waren - und Mulder Gefahr lief, das auch zu werden - oder den Verstand verloren haben, und wenn ja, weshalb und wie. Besessenheit durch einen Dämon würde bedeuten, dass was immer für die Tat verantwortlich war, nicht menschlich ist. Mulders Satz "Is this the monster called Madness?" spielt darauf an, dass nicht allzu ferner Vergangenheit nicht zwischen Besessenheit vom Bösen und Wahnsinn unterschieden wurde. Mulder selbst ist hier in der Episode unschlüssig; gegenüber Patterson argumentiert er mit Besessenheit, in seinen Monologen jedoch spekuliert er, dass das "Monster called Madness" in jedem steckt und nur darauf wartet, geweckt zu werden.

Jedenfalls legt die Episode wieder nahe, dass das Böse irgendwie übertragbar oder infektiös ist - Akte X ist ohnehin von der Paranoia übertragbaren Übels, sei es durch Viren, Parasiten, Werwolfbisse, vererbte Mordgelüste etc. regelrecht durchtränkt. Hier ist die Gefahr nicht so fassbar wie bei Viren und Parasiten. Irgendetwas, das mit Mostow zu tun hatte, hat Patterson "angesteckt". (Bereits im Teaser beißt Mostow Nemhouser in die Hand, die Folge spielt schon hier darauf an, dass Nemhouser irgendwie angesteckt worden sein könnte, auch wenn es hier eine Irrfährte ist.)

Das Drehbuch profitiert von Carters Beschäftigung mit C.G. Jung, so beispielsweise, als Mulder, um den Fall zu lösen, in einen geheimen Raum musste, in dem kein Licht ist, nur mit einer Taschenlampe - wieder der Symbolismus für das Unterbewusste, mit dem Carter häufiger arbeitet. Der Skript ist sehr sorgfältig ausgearbeitet; so schneidet Mostow bereits im Teaser mit der Mordwaffe, und während mit Andeutungen gespielt wird, dass Nemhouser durch den Biss mit irgendetwas infiziert sein könnte, wird auch Pattersons Rolle angedeutet, bspw. als der Patient im Krankenhaus sich aufregt, als er Patterson sieht.

"Grotesque" ist eine ausgesprochen dunkle, verstörende Episode. Ich verstehe, dass Regisseur Manners stolz darauf ist; sie ist von den Sets bis zur Beleuchtung mit den dunkelblauen Farben (es wirkt in einigen Szenen, als würde Mulder von der Dunkelheit verschluckt) hervorragend inszeniert. Die Bilder mit den Teufelsfratzen sind wirklich grausig, und diese Katze hat mich fast ebenso wie Scully erschreckt. Auch Mark Snows tragische Musik trägt wieder viel zum Gelingen bei. Zusammen mit "Irresistible" soll "Grotesque" eine der wichtigsten Inspirationen zur deutlich dunkleren Schwesterserie "Millennium" gewesen sein, in der die Auswirkungen seiner Arbeit auf einen Profiler das Trägerthema sind. Ich gebe sechs Wasserspeier dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » So 9. Dez 2018, 21:12

Folge 15, Staffel 3: "Der Feind I / Piper Maru"

(Kopie von SciFi-Forum)


Im pazifischen Ozean taucht ein französisches Bergungsschiff nach den Überresten eines abgestürzten Kampfflugzeugs aus dem zweiten Weltkrieg. Als das Schiff später in San Diego eintrifft, leiden alle Besatzungsmitglieder bis auf eines unter schwersten Strahlungsschäden. Während sich Scully auf die Suche nach Informationen über das Kampfflugzeug begibt, führt die Verfolgung des einzig Unversehrten Mulder nach Hong Kong, wo er auf Alex Krycek trifft. In der Zwischenzeit erfolgt ein Anschlag auf Walter Skinner, der den Tod von Melissa Scully weiter untersuchen will.

"Piper Maru" nimmt einige in den letzten Mythologiemehrteilern angefangenen und hängengelassenen Handlungsfäden wieder auf: Das gesunkene U-Boot aus dem "Nisei"-Zweiteiler, das DAT-Band mit den Majestic-12-Daten aus dem "Anasazi"-Dreiteiler und den Tod von Melissa Scully. In "Nisei" suchte die Talapus im Auftrag des Syndikats im pazifischen Ozean angeblich nach einem gesunkenen japanischen U-Boot aus dem zweiten Weltkrieg, tatsächlich aber nach einem gesunkenen UFO. In "Piper Maru" sucht nun an derselben Stelle ein französisches Bergungsschiff, die titelgebende Piper Maru, angeblich nach einem P-51 Mustang Kampfflugzeug aus dem zweiten Weltkrieg, tatsächlich aber wieder nach dem UFO. Das UFO wurde im zweiten Weltkrieg von der US Air Force abgeschossen und riss einige Kampfflugzeuge mit sich, darunter die besagte P-51. Das U-Boot Zeus Faber wurde ausgeschickt, um das UFO zu bergen; offiziell suchte man nach einer Atombombe. Als die Franzosen in den Besitz der Koordinaten kommen (verkauft von Krycek, der sie wiederum aus dem gehackten DAT-Band hat, welches sich immer noch in seinem Besitz befindet), schicken sie die "Piper Maru" dorthin.

"Piper Maru" führt erstmals das Schwarze Öl ein. Das Schwarze Öl, aka Purity, ist der bedrohlichste Bösewicht der Serie - und doch ist es noch viel mehr. Zunächst jedoch ist das Schwarze Öl neben dem außerirdischen gestaltwandelnden Kopfgeldjäger die originellste Schöpfung des Akte-X Autorenteams, was Widersacher angeht. Während der Kopfgeldjäger die Gestalt von jedermann inklusive Freunde und Kollegen annehmen kann, kann das Schwarze Öl die Kontrolle über jedwede Person übernehmen, und Menschen, denen man vertraut, gegen einen wenden. Während man den Kopfgeldjäger mit einem Stilettstich in den Nacken außer Gefecht setzen kann, ist völlig unklar, wie das Schwarze Öl zu bekämpfen ist, oder wie man sich davor schützen kann. Das Öl, das über eine Art eigenes Bewusstsein verfügt, schützt den Träger selbst und kann ihn jahrzehntelang vor dem Tod bewahren (wie den Piloten des Kampffliegers, der seit dem zweiten Weltkrieg an Bord des gesunkenen Flugzeugs überlebte), ist aber durch die extreme radioaktive Strahlung, die es absondern kann, für alle anderen tödlich. Das Schwarze Öl war an Bord des im zweiten Weltkrieg abgeschossenen UFOs, infizierte von dort aus den Piloten des Kampffliegers und die Besatzung des U-Boots Zeus Faber - und schließlich nach einem halben Jahrhundert den Taucher der Piper Maru.

In "Piper Maru" wird das Thema der Vergangenheit, die einen immer wieder einholt, erneut wiederaufgegriffen. Das Schwarze Öl wartete seit einem halben Jahrhundert am Meeresgrund, bis es von dem französischen Bergungsschiff an die Oberfläche geholt wurde - und die Vorgänge im zweiten Weltkrieg mit ihm. "We bury our dead alive, don't we?" fragt der alte U-Boot-Matrose Johansen Scully. "We hear them everyday, they talk to us, they haunt us, they beg us for meaning. Conscience… it’s just the voices of the dead… trying to save us from our own damnation." Die Vorstellung, dass die Taten der Vergangenheit die Gegenwart verfolgen, zieht sich durch die gesamten X-Akten, sei es in Form von Geistern, von Toten, die den Geist Lebender kontrollieren, von vergrabenen Geheimnissen, die ans Licht gebracht werden. Man kann der Vergangenheit nicht entfliehen - "nothing vanishes without a trace". Bildhaft dargestellt durch den P-51-Piloten, den das Schwarze Öl seit dem zweiten Weltkrieg am Leben hält, ist die Vergangenheit hier buchstäblich lebendig.

Eine ebenfalls wiederkehrende Vorstellung ist die des Bösen, das infektiös ist und von einer Person zur anderen springen kann. Zuletzt in der Vorgängerepisode "Grotesque" (aber auch schon früher, bspw. mit den Parasiten in "Ice"), und hier ganz konkret und offensichtlich mit dem Schwarzen Öl, das von einem Träger zum nächsten springt und die Kontrolle erst über den Taucher, dann über dessen Frau und schließlich über Krycek übernimmt.

Krycek ist verantwortlich für die ganze Ereigniskette. Ihm ist es offenbar gelungen, die Verschlüsselung des DAT-Bands zu knacken, und er verkauft nun die Informationen aus den Majestic-12-Akten an den Meistbietenden. Er hatte ja dem Raucher Rache für den auf ihn verübten und nur knapp gescheiterten Autobombenanschlag geschworen. War er vorher nur der Kaffee-Boy, so ist er mit der Kenntnis der Informationen auf dem DAT-Band zu einer ernsten Bedrohung für das Syndikat und zu einem interessanten Ziel für Mulder geworden. Dass er nun vom Schwarzen Öl kontrolliert wird, macht ihn und die Situation vollends unberechenbar.

In der Nebenhandlung um den Tod von Melissa Scully versucht Skinner zu verhindern, dass der Fall geschlossen und die Tat begraben wird. Scully regt sich über die Vertuschungsversuche furchtbar auf; die Gegenüberstellung mit Mulders Hartnäckigkeit, der auch bei noch so weit hergeholten und scheinbar bedeutungslosen Fällen nicht locker lässt, hat mir gut gefallen. "You're in the basement because they are afraid of you. Of your relentlessness." Wie sehr Skinners Aussage, es handle sich sicher nur um ein Personalproblem und habe nichts mit anderen Interessen zu tun, daneben liegt, zeigt sich, als er wegen seiner Weigerung, den Fall aufzugeben, angeschossen wird.

"Piper Maru" ist wieder eine spannende Mythologiefolge, die die Rahmenhandlung ein großes Stück voranbringt und mit dem Schwarzen Öl den vielleicht originellsten Beitrag des Akte X Autorenstabs einführt. Es werden einige Handlungsfäden wieder aufgenommen und Fragen beantwortet, aber mindestens ebenso viele neue aufgeworfen. Mit dem angeschossenen Skinner und dem vom Schwarzen Öl infizierten Krycek endet die Episode mit einem zweifachen Cliffhanger. Ganz kommt sie für mich nicht an die besten Mythologiefolgen heran; ich gebe gute fünf Taucheranzüge dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Mi 12. Dez 2018, 21:32

Folge 16, Staffel 3: "Der Feind II / Apocrypha"

(Kopie von SciFi-Forum)


Wieder in den USA angekommen sind Mulder und Krycek auf dem Weg, das DAT-Band abzuholen, als ihr Wagen von der Straße gedrängt wird. Als Mulder wieder zu sich kommt, ist Krycek verschwunden. Derweilen führen Scullys Ermittlungen im Anschlag auf Skinner sie zum Mörder ihrer Schwester.

Der Episodentitel "Apocrypha" bezieht sich auf die biblischen Apokryphen - Schriften, die nicht zum akzeptierten Kanon gehören und laut Chris Carter hier für verborgene Dokumente und vertuschte Wahrheiten stehen. Die Episode nimmt nicht direkt das Ende von "Piper Maru" auf, sondern beginnt mit einer Rückblende ins Jahr 1953, als Bill Mulder und der Raucher einen der letzten Überlebenden der Zeus Faber im Krankenhaus verhören. Der sterbende Matrose erzählt ihnen vom Schwarzen Öl, und glaubt, dass die Zeus Faber auf eine Selbstmordmission geschickt wurde. Er will ihnen das Versprechen abnehmen, dass sie die Wahrheit über das Schwarze Öl ans Licht bringen - natürlich weiß der Zuschauer, dass Mulder Sen. und der Raucher genau dies verhindern wollen. In Rückblenden wird gezeigt, wie das Schwarze Öl die Besatzung tötet.

Der Matrose bezeichnet das Öl als "den Feind" und bestätigt damit, was Mulder (der Sohn) bereits vermutet hat - es handelt sich um eine Entität, die mit einer Form von Intelligenz ausgestattet ist. Das Öl selbst ist hierbei nicht das Außerirdische, sondern ein Medium, das eine Lebenskraft transportiert - es scheint keine Lebensform in einem uns bekannten Sinn zu sein.
Wenn ich das im Rückblick ansehe, hätte man hier schon ahnen können, wohin die Reise geht. Wurden vorher schon UFOs als "Fallen Angels" bezeichnet, so erinnert das UFO, das hier in "Apocrypha" gezeigt wird und in das sich das Schwarze Öl zurückzieht, verdächtig an das "Auge der Vorsehung" (auch das "Auge Gottes" oder das "allsehende Auge"), das in vielen Kulturen mit göttlicher Weisheit und Wachsamkeit in Verbindung steht, insbesondere auch bei den Freimaurern - dort repräsentiert es den "Allmächtigen Baumeister aller Welten", das Schöpfungsprinzip.
Es kann jegliches Material durchdringen, und wenn es Kontrolle über eine Person übernommen hat, hat es Zugang zu ihrem Wissen. So benutzt es hier Krycek, um vom Raucher im Austausch gegen das DAT-Band die Information über den Standort des UFOs zu bekommen. (Es gibt Spekulationen, dass die außerirdischen Würmer in der Season 1-Episode "Ice" etwas mit dem Schwarzen Öl zu tun haben - als einer der Würmer aus dem befallenen Piloten entfernt wird, tritt eine schwarze Flüssigkeit aus.)

Krycek, unter der Kontrolle des Öls, reist dann nach North Dakota, wo der Raucher das UFO hat hinbringen lassen (und wohin ihm die beiden Agenten folgen, aber bevor sie ihn treffen, werden sie aufgegriffen). Krycek wird in einem verlassenen Raketensilo eingesperrt, wo er in einer schauerlichen Szene das Schwarze Öl erbricht. Die Schlussszene, die ihn schreiend und an die Tür hämmernd in dem gottverlassenen Silo am Ende der Welt zeigt, könnte aus einer Kurzgeschichte von Poe stammen - als wäre er lebending begraben.

Wie schon im "Nisei"-Zweiteiler hinterlassen der Raucher und das Syndikat hier keinen besonders organisierten Eindruck. Hatten dort der Raucher und der Brite eine eigene Agenda, so stellt sich hier heraus, dass die Franzosen Nachforschungen anstellen, von denen die Syndikatsmitglieder nichts wissen. Der Brite und der First Elder sind wieder mit den Kavalerie-Methoden des Rauchers nicht einverstanden, und der muss wieder einmal vertuschen, dass entgegen seinen Behauptungen Krycek nicht tot ist und das DAT-Band weiterhin nicht in seinem Besitz ist. Zu allem Überfluss wurde nun nach Melissa Scully auch noch Walter Skinner angeschossen - angeblich durch einen Alleingang des vom Raucher angeheuerten Söldners Luis Cardinal, was weitere Gefahr für die Geheimhaltungsabsichten des Syndikats bedeutet. Es entsteht der Eindruck einer Ansammlung von mittelmäßig kompetenten Managern, die das Weltgeschehen lenken wollen, aber sich untereinander nicht trauen (können) und kaum in der Lage sind, ihre eigenen Unterlagen unter Kontrolle zu halten. Der Raucher ist fortlaufend mit Schadensbegrenzungsmaßnahmen für seine verunglückten Aktionen beschäftigt und enthält dem Rest der Gruppe Informationen vor; allem Anschein nach wissen der Brite und die anderen nach 40 Jahren immer noch nicht, wodurch die Crew der Zeus Faber gestorben ist. Die Skrupellosigkeit des Rauchers wird in der Szene, als er die Vernichtung der Körper der noch lebenden Besatzungsmitglieder der Piper Maru anordnet, von William Davies großartig dargestellt.

Im Handlungsstrang um die Ermittlungen im Mordanschlag auf Skinner wird Scully mit dem Mörder ihrer Schwester konfrontiert. Praktisch in letzter Sekunde kann sie verhindern, dass Skinner in einem Krankenwagen ermordet wird. In der Szene, als sie Cardinal gegenübersteht, hat es den Anschein, dass sie gefährlich nahe daran ist, ihn zu erschießen. Auch von Gillian Anderson hier wieder eine tolle schauspielerische Leistung, wie sie Scullys Wut und Trauer herüberbringt. Cardinal wird schließlich verhaftet und im Gefängnis getötet, bevor er eine Aussage machen kann - alle Verbindungen zur Verschwörung sind somit wieder einmal zerstört, und die wirklich Schuldigen kommen ungeschoren davon. "I think the dead are speaking to us, Mulder, demanding justice. Maybe that man was right. Maybe we bury the dead alive", sagt Scully am Grab ihrer Schwester.

Die Episode hat noch eine nette Szene mit den Lone Gunmen, auf tolpatschigste Weise als Undercoveragenten in einem Eisstadion unterwegs (Byers im Trenchcoat auf Schlittschuhen!). "You should use us more often", sagt Langley zu Mulder und den Showrunnern.

Am Ende von "Apocrypha" stehen Mulder und Scully wieder einmal ohne Beweise da, aber mit ihrem Wissen um die Verschwörung sind sie einige Schritte weitergekommen. Die Episode ist durchweg spannend inszeniert, in allen Handlungssträngen, und bringt die Charakterentwicklung einiger Nebencharaktere wie insbesondere den Raucher, das Syndikat, Krycek und Skinner entscheidend weiter. Sowohl Mulder als auch Scully werden im Zweiteiler mit den Mördern von Familienangehörigen konfrontiert und von der "dunklen Seite" auf die Probe gestellt - sie bestehen sie beide. Einige tolle schauspielerische Leistungen und denkwürdig inzenierte Szenen hat "Apocrypha" überdies aufzuweisen. Ich gebe sechs verlassene Raketensilos dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Di 25. Dez 2018, 16:23

Folge 17, Staffel 3: "Mein Wille sei dein Wille / Pusher"

(Kopie von SciFi-Forum)


Mulder und Scully untersuchen den Fall des mordverdächtigen Robert Modell, der nach seiner Festnahme durch das FBI bei einem Unfall fliehen konnte. Sämtliche der 14 ihm angelasteten Tode sehen auf den ersten Blick nach Selbstmorden oder Unfällen aus. Mulder glaubt, dass Modell über die Fähigkeit verfügt, den Opfern seinen Willen aufzuzwingen.

Robert Patrick Modell, genannt der "Pusher", hat vor Beginn dieser Mordserie eine ziemliche Versager-Karriere hinter sich: Für diverse Jobs beim Militär, für die er sich bewarb, konnte er nicht bekommen und endete dann dort als Versorgungsarbeiter. Sein Profil ist so typisch, dass Mulder es auswendig herunterrattern kann. Als er sich beim FBI bewarb, fiel er durch die psychologische Prüfung, wegen "extremer Egozentrik" und Lügengeschichten. Das Thema der Episode ist ein ähnliches, wie schon in D.P.O., als der "Loser" Darren Oswald plötzlich Superkräfte bekommt und Blitzschläge auslösen kann. Ähnlich wie Oswald weiß auch Modell nichts Sinnvolles mit seinen durch einen Gehirntumor erlangten Superkräften anzufangen und benutzt sie lediglich, um sich über andere zu erhöhen, in diesem Fall ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Die Superkräfte versetzen ihn in die Lage, das zu tun, was er ohne sie schon gern getan hätte, wozu er aber nicht in der lage war. Dies bedeutet ihm so viel, dass er lieber einen frühen Tod durch den Gehirntumor in Kauf nimmt, als ihn behandeln zu lassen und die Superkräfte wieder zu verlieren.

Wichtiger noch ist ihm, mit seinem Tod einen großen Abgang hinzulegen. "He wants to go out with a blaze of glory." Hierzu hat er sich eine Phantasiewelt geschaffen, in der er ein "Ronin" ist, ein japanischer Samurai ohne Meister, und er sieht sich darin als eine Art "Supervillain". Er zieht immer Kleidung mit der gleichen Farbe an, er begeht keine gewöhnlichen Verbrechen, und er hinterlässt Hinweise. Als Supervillain sucht er einen würdigen Gegner, und glaubt ihn in Mulder gefunden zu haben, der - zumindest aus seiner oberflächlichen Betrachtung - das erreicht zu haben scheint, was Modell erreichen wollte. (Von Mulder weiß er nur, was in der Personalakte steht; dass der mittlerweile im Kellerbüro arbeitet und von niemandem ernst genommen wird, ist eine Ironie der Geschichte.) Ihn in den Tod zu schicken wäre eine Genugtuung bzw. Entschädigung für alles, was Modell in seinem Leben erreichen wollte, aber nicht erreicht hat. "I think it was like you said. He was always such a… little man. This was finally something that made him feel big."

Was Mulder angeht, so hat man zeitweise den Eindruck, dass der auf Modells Phantasiewelt mit der Konfrontation "Held gegen Supervillain" einsteigt - in der Szene nach der Gerichtsanhörung, als er Modell veranlasst, auf seine vermeintlich offenen Schuhe zu schauen, spielt er dessen Spiel, und so auch im Vorlauf zu der Szene, die zum russischen Roulette führt - sicherlich hätte es auch andere Lösungen gegeben, als dass Mulder allein da hinein geht? Es deutet nichts darauf hin, dass Modell in der Lage ist, mehrere Leute gleichzeitig zu kontrollieren - siehe seine Festnahme, oder die Szene mit Skinner und Holly im FBI-Büro. Mulder wollte hier anscheinend den Helden spielen und zog den Kürzeren - und es ist vielsagend, dass Scully hier den Bann bricht, indem sie das Spiel eben NICHT nach Modells Regeln spielt.

"Pusher" wird von vielen X-Philes zu den besten Episoden gezählt, und so ganz kann ich mich der Begeisterung nicht anschließen. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Modell und den Agenten, in dem Modell immer einen Schritt voraus zu sein scheint, ist durchweg spannend, besonders der Show-Down mit der Russisch-Roulette-Szene im Krankenhaus (obwohl dem Zuschauer klar ist, dass weder Mulder noch Scully erschossen werden). Sie hat einige verstörende Szenen, z.B. als der FBI-Agent sich selbst anzündet. Gut gefallen hat mir auch die Szene mit Skinner, der hier von einer anderen Agentin verprügelt wird, der sanftmütigen Agent Holly - langsam wird es Zeit, dass man Skinner mal in einen ausgedehnten Urlaub schickt.

Die Episode ist deshalb alles andere als schlecht, aber andererseits auch nichts, was sie besonders herausheben würde. Mit der Fremdkontrolle nimmt die Episode ein wichtiges und wiederkehrendes Thema der X-Akten wieder auf, allerdings ohne hier etwas sonderlich Originelles oder Tiefgründiges beizutragen. Was mich mehr stört, sind diverse Schlampigkeiten des Drehbuchs. So heißt es, der Schlüssel sei Modells Stimme, aber an den FBI-Kontrollen und sämtlichen FBI-Mitarbeitern kommt er mit seinem "FBI-Ausweis", dem Schild, auf dem nur "Pass" steht, ohne ein Wort zu sagen, vorbei. Weshalb konnte er Skinner nicht kontrollieren - und wenn er Skinner nicht kontrollieren konnte, weswegen schickte man dann Mulder und nicht Skinner ins Krankenhaus hinein? Überhaupt stellt sich das FBI ziemlich blöd an in der Episode; so könnte auch der FBI-Agent Burst schlicht den Hörer weglegen (oder Mulder oder Scully könnte das von ihm verlangen), wenn er schon die Leitung nicht trennen will. Auch die Logik der Entscheidung, Mulder allein ins Krankenhaus gehen zu lassen, ohne Back-Up, kann ich nicht nachvollziehen. Ich bin schon bereit, über das eine oder andere hinwegzusehen, wenn die Episode ansonsten herausragend ist. Das sehe ich aber bei "Pusher" nicht - weder ist es eine wichtige Arc-Episode, noch ein emotionales Drama der Kategorie "Oubliette". Insofern sind mir das ein paar Ungereimtheiten zu viel - ich gebe vier Revolverkugeln dafür.
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Re: Akte X - Staffel 3

Beitragvon nevermore » Do 27. Dez 2018, 13:49

Folge 18, Staffel 3: "Der Fluch / Teso Dos Bichos"

(Kopie von SciFi-Forum)


Bei archäologischen Ausgrabungsarbeiten in Ecuador wird eine Urne mit den Überresten einer Schamaniin gefunden und gegen den Willen der ansässigen Indianer in ein Museum in Boston gebracht. Im Anschluss ereignen sich um das Museum mysteriöse Todesfälle. Während Scully vermutet, jemand wolle die Rückgabe der Urne an die Indianer erpressen, glaubt Mulder, dass ein Fluch der Schamanin die Ursache ist.

"Teso Los Bichos" erinnert mich in mancherlei Hinsicht an "Fearful Symmetry" - die Episode ist ebenso abstrus und mit klischeehaften Charakteren besetzt. Dr. Roosevelt ist der typische "Old White Male" des imperialistischen Amerika, der das eigentlich den Ecuadorianern gehörende Artefakt mit fadenscheinigen Begründungen in ein Bostoner Museum bringen lässt. Die Pipeline, die gebaut werden soll, ist überhaupt kein Grund, weswegen die Urne in die USA muss und nicht den ansässigen Indianern oder zumindest einer Einrichtung in Ecuador übergeben werden kann. Leider wird, und in dieser Hinsicht ähnelt die Episode "Fearful Symmetry", auf diese Problematik kaum weiter eingegangen; statt dessen hat man mit Roosevelt und dem Museumsmanager Lewton holzschnittartige Figuren als Antagonisten, und auf der anderen Seite Dr. Bilac, der nicht weniger klischeehaft auf der Seite der "weisen Indianer" steht und von denen lernen will - was in seinem Fall anscheinend vor allem durch den Konsum der psychoaktiven Droge Yajé geschieht. (Beim Recherchieren findet man heraus, dass Yajé ein tatsächlich existierendes Halluzinogen ist, das oft Visionen von Tieren erzeugt, häufig großer Katzen, und traditionell von südamerikanischen Indianern in schamanischen Heilungsritualen verwendet wird.)

Im Kern ist "Teso Los Bichos" eine Kollage aus klassischen Horrorelementen - eine gestörte Totenstätte, indianischer Mystizismus, ein uralter Fluch und die Strafe für das imperialistische Verhalten des Weißen Mannes. Mit Tiergeistern, toten Ratten und überlaufenden Toiletten gibt es eine ganze Anzahl gruseliger und verstörender Bilder. Irgendetwas Originelles sehe ich daran nicht, und was die Botschaft angeht, kommt die Episode sehr holzhammerartig daher.

Was ich schlimmer finde ist, dass die Episode für mich einfach keinen Sinn ergibt. Der Titel heißt übersetzt "Grabhügel der kleinen Tiere", begraben war dort aber die Urne einer Schamanin. Was Tiere angeht, hat man es zu tun zunächst mit einem Jaguar-Tiergeist, dann mit toten Ratten und schließlich mit wildgewordenen Hauskatzen. Was hat das alles mit einem "Grabhügel der kleinen Tiere" zu tun? Und wer oder was hat letztlich Dr. Roosevelt und die anderen umgebracht? Der unter Drogeneinfluss stehende Bilac? Der Jaguar-Tiergeist? Mörderische Hauskatzen? Am Ende impliziert die Episode, dass die Eingeborenen irgendwie "Katzenmenschen" sind - Dr. Lewton ist anscheinend nach dem Produzenten Val Lewton benannt, der in den 1940er Jahren Horrorfilme wie "Cat People" und "The Leopard Man" produzierte. Die Idee einer Horrorstory um Katzen ist ja interessant, aber das funktioniert nicht, indem man einfach alle Arten von attackierenden Katzen irgendwie in der Geschichte verteilt.

Es hilft nicht, dass die Inszenierung so ihre Probleme hat. Während der Angriff des Jaguar-Tiergeists durchaus gelungen ist, so fällt die Episode mit der Hauskatzenarmee am Ende auf die Nase. Wie den Produktionsnotizen zu entnehmen ist, konnten die Katzen nicht dazu gebracht werden, anzugreifen, und überdies hat Gillian Anderson eine schwere Katzenallergie, so dass man sich mit ausgestopften Tieren mit Hasenfell behelfen musste. Es ist unter diesen Umständen kein Wunder, dass dieser Showdown ziemlich verunglückt ist. Ansonsten hat mich der Off-Screen-Tod von Mona auch etwas gestört. Insgesamt ist "Teso Dos Bichos" wohl der Tiefpunkt der dritten Staffel. Ich gebe zwei Dosen Katzenfutter dafür.
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