Folge 9, Staffel 3: "Die Autopsie / Nisei"
(Kopie von SciFi-Forum)
Nach mehreren Einzelepisoden ist jetzt wieder ein Mythologie-Zweiteiler am Start. Verglichen mit den letzten Mythologiefolgen gibt es in "Nisei" keine dramatischen Enthüllungen, trotzdem ist wieder jede Menge los. Mulder kauft auf ein Zeitungsinserat hin (die guten alten Zeiten...) ein Videotape, auf dem angeblich eine Autopsie an einem Außerirdischen gezeigt wird. Als die Agenten den Verkäufer aufsuchen wollen, finden sie ihn tot auf, Mulder nimmt einen flüchtenden Japaner fest und verursacht damit einen diplomatischen Zwischenfall. Dokumente aus der Aktentasche des Japaners führen ihn über einige Umwege zu dem Zugwaggon, in dem die Autopsie gefilmt wurde, während Scully auf eine Gruppe von Frauen trifft, die behaupten, von Außerirdischen entführt worden zu sein und wie sie einen Chip im Nacken hatten.
Die von Scully zu Anfang der Episode erwähnte Dokumentation über eine angebliche Autopsie eines Außerirdischen auf Fox (dem Sender, der auch die X-Akten ausstrahlte) hat es tatsächlich gegeben, sie wurde 1995 ausgestraht und erwies sich später als Fälschung. Das Video, das Mulder in der Episode kauft, ist - im Rahmen des X-Files-Universums - dagegen echt: Die wichtigste Enthüllung der Episode ist, dass japanische Kriegsverbrecher in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Regierung Experimente durchführten und an Alien-Mensch-Hybriden arbeiteten. Die Folge knüpft damit direkt an "Anasazi" an, wo bereits deutlich wurde, dass die Verschwörung nicht auf die USA beschränkt ist und Leichen von Alien-Mensch-Hybriden in einem vergrabenen Zugwaggon gefunden wurden. Das von Senator Matheson erwähnte "Projekt", die Einheit 731, hat ebenso wie die "Operation Paperclip" einen realen Hintergrund. Die Einheit 731 operierte während des zweiten Weltkriegs in Japan und führte dort ähnlich wie ihre Nazi-Gegenstücke in Deutschland medizinische Experimente an Menschen durch. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde ihnen von den USA im Austausch gegen ihr Wissen Immunität gewährt. Auch diese Wissenschaftler sind in der Episode nicht tot, sondern weiterhin aktiv - Ishimaru ist das Gegenstück zu Victor Klemper aus dem "Blessing Way/Paper Clip"-Zweiteiler. "Monsters begetting monsters." Von Matheson auf den Weg gebracht findet Mulder den Bahnwaggon, in dem die Experimente durchgeführt wurden.
In der Nebenhandlung um Scully beschäftigt sich die Episode wieder mit den Folgen von Scullys Entführung. Auch nach Melissas Tod tut sich Scully weiter schwer, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen. Sie verdrängt immer noch ihre Erinnerungen, reagiert defensiv und läuft beinahe davon, als Regressionshypnose zur Sprache kommt, und versucht, sich von der MUFON-Gruppe zu distanzieren. Gleichzeitig ist sie aber beunruhigt, als sie von den Krebserkrankungen der Entführten erfährt. Ihre Zweifel, ihre Verstörung und ihre Angst werden von Anderson sehr gut dargestellt. In einigen Rückblenden wird wieder angedeutet, was mit ihr geschehen ist.
Nachdem in den ersten beiden Staffeln mit Billy Miles, Max Fenig und Duane Barry die prominentesten Entführten männlich waren, verschiebt sich in der dritten Staffel der Fokus auf weibliche Entführte und die Geschichte nimmt einen feministischen Zug an, über Frauen, die von Männern für genetische Experimente missbraucht werden. Die Implantate speichern und replizieren laut Agent Pendrell, der hier seinen ersten Auftritt hat, die mentalen Prozesse der Opfer, ein neuronales Netzwerk.
Zwei schon bekannte Nebencharaktere haben auch wieder einen Auftritt. Skinner erscheint hier wieder in der Rolle des Antagonisten und ist den beiden Agenten wenig hilfreich, da ihm die ganze Sache zu heiß ist. Ähnliches gilt für X, der via Scully Mulder aufzuhalten versucht, und ihr sagt, er wisse nicht, wie die Implantate funktionieren: "There are limits to my knowledge."
Wie schon im vorangegangenen Mythologie-Dreiteiler ist eine Stärke der Episode wieder der Bezug zu den historischen Ereignissen im und in der Folge des zweiten Weltkriegs, und wieder kommen die Siegermächte nicht gut weg. Die geheimen Projekte der US-Regierung mit Kriegsverbrechern der unterlegenen Seite in fiktiver Form auf den Bildschirm zu bringen gehört zu den Anliegen der Serienmacher. Mir gefällt, wie in der Geschichte alles mit einem unbedeutenden Vorfall beginnt - Mulder kauft auf ein Zeitungsinserat hin ein merkwürdiges Video - und sich zu einem weit über die USA hinausreichenden Komplott ausweitet. Die Episode endet mit einer grandiosen Szene, als Scully auf Anweisung von X hin Mulder hindern will, auf den Zug zu springen, und dieser doch springt und dabei sein Handy verliert (anscheinend ein kleiner In-Joke, da Mulder nun endlich gelernt hat, dem ständigen Verlust seiner Waffe mit einer Zweitwaffe zu begegnen).
"Nisei" glänzt auch mit witzigen Dialoge um das Autopsievideo, einer sehr guten schauspielerischen Leistung von Gillian Anderson in der Nebenhandlung und einigen gelungenen Action-Szenen. Mein Hauptkritikpunkt an der Episode ist, die ganze Nebengeschichte um das japanische Schiff und das gesunkene U-Boot ist für meinen Geschmack zu lang geraten. Vor allem die Szenen am Hafen ziehen sich ziemlich in die Länge (das Herumgerenne auf dem Schiff hätte man sich m.E. gänzlich sparen können), und die Flucht Mulders von dem Schiff ist ein bisschen arg unplausibel dargestellt. Das passt nicht so recht in eine Episode, die ansonsten recht straff daherkommt und jede Menge Tempo hat. Ich gebe knappe fünf Videotapes mit außerirdischen Autopsien dafür.