Folge 8, Staffel 2: "An der Grenze / One Breath"Drehbuch: Glen Morgan & James Wong
Regie: R.W. GoodwinScully taucht in einem Krankenhaus auf und befindet sich in kritischem Zustand. Die Ärzte sind ratlos und aufgrund ihrer Patientenverfügung entscheidet sich die Familie, die lebenserhaltenden Maschinen abzuschalten. Mulder kann diese Entscheidung nicht einfach akzeptieren, und setzt alles in Bewegung, um Scully doch noch zu retten oder wenigstens die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
"One Breath" ist eigentlich der dritte Teil des Zweiteilers "Duane Barry / Ascension" und zählt zwar zu den Mythologie-Episoden, ist aber in erster Linie eine Charakterfolge, die sich darum dreht, wie Mulder mit Scullys Rückkehr und ihrem offenbar bevorstehenden Tod umgeht. Mrs Scully hat schon den Grabstein bestellt, da taucht ihre Tochter plötzlich bewusstlos und in kritischem Zustand in einem Krankenhaus auf. Keiner weiß, wie sie da hin gekommen ist, geschweige denn, was ihr fehlt, was Mulder vollends in Rage bringt. In seiner Verzweiflung sucht er Freund und Feind auf, um an Informationen zu kommen, die Scully helfen könnten. Erst besucht er die Lone Gunmen (ich fand die Szene, als Frohike im Smoking und mit den Blumen im Krankenhaus auftauchte, rührend), die in Scullys Datenfiles Hinweise auf gentechische Experimente finden: "... the protein chains are a result of branched DNA. [...] The cutting edge of genetic engineering [...] This technology fifty years down the line." Auf Mulders Frage hin, wozu dies dient, antworten die Lone Gunmen: "A biological equivalent of a silicon microchip [...] Could be a tracking system [...] Developmental stages of a biological marker." - "You mean a high-tech identity card?" Bereits hier taucht zum ersten Mal die Idee eines gentechnisch erzeugten Identitätscodes auf, die später in der Serie noch eine große Rolle spielen wird. Das Vorhandensein zweier verschiedener DNA-Stränge, die Langly und Co. auf den Charts sehen, zeigt die Überreste zugeführter außerirdischer oder hybrider DNA, die nach den Versuchen inaktiviert wurde und nun als toxischer Müll in Scullys Blut bleibt ("... something as insidious as grafting a human into something ... inhuman"). Scully wurde somit temporär in eine Hybridin transformiert. Einen Rat, wie Scully zu helfen ist, haben die Lone Gunmen für Mulder aber auch nicht.
X, mit dem Mulder dann in der Tiefgarage aneinandergerät, wirkte auf mich regelrecht panisch. Er verlangt von Mulder, Scully aufzugeben und hat sichtlich Angst, dass jemand ihm bzw. seiner Verbindung zu Mulder auf die Schliche kommt und er so endet wie Deep Throat. Er bezeichnet Mulder als "Schuljungen" und sein "Werkzeug", das er nur benutzt, wenn er es braucht (braucht wozu? Immer noch ist rätselhaft, was Xs Motivation eigentlich ist. Das Zitat "I used to be you. I was where you are now" lädt zu weiteren Spekulationen ein). Die eiskalte Art, mit der er den Typen abknallt, der Scullys Blutprobe mitgenommen, hat, macht den Unterschied zwischen ihm und Deep Throat wieder einmal deutlich.
Nach einem fruchtlosen Besuch bei Skinner ist der nächste, mit dem Mulder zusammenrasselt, der Raucher (amüsante Szene kurz davor in Skinners Büro, als der Raucher das "bitte nicht Rauchen"-Schild ignoriert). Mulder ist da schon ganz nahe dran, zur dunklen Seite zu wechseln und den Raucher einfach zu erschießen. Der Raucher gibt mehr oder weniger zu, hinter Scullys Entführung zu stecken, und erklärt ihm, er glaube, dass er das Richtige tue. "Don't threaten me, Mulder, I've watched presidents die" - ein klassisches Akte-X-Zitat und eine fantastische Szene. Wie schon X macht der Raucher kryptische Andeutungen, was er alles weiß, das Mulder nicht weiß und die Welt nicht erfahren darf. Als Mulder dann beim FBI kündigen will, akzeptiert Skinner das nicht. Die Gespräche mit Skinner und davor mit Melissa machen klar, dass Mulders desolate Verfassung mindestens so sehr auf Schuldgefühle und Selbstvorwürfe und Selbsthass, Scullys Schicksal verursacht zu haben, wie auf den Verlust von Scully selber zurückzuführen ist.
Nach dem nicht durchgeführten Racheversuch am Raucher (bezeichnend, dass Mulder noch nicht einmal versucht, aus ihm herauszubekommen, wie Scully vielleicht zu helfen sein könnte - das Ganze ist wirklich ein ziemlicher Ego-Trip) bekommt er von X eine zweite "Chance", auf die dunkle Seite zu wechseln und an Scullys Entführern Rache zu nehmen (wieder charakteristisch, dass so Xs Vorstellung von Hilfe in dieser Situation aussieht). Bevor die von X zu Mulders Wohnung gelotsten Einbrecher dort ankommen, steht aber Scullys Schwester vor der Tür. Melissa, die im Krankenhaus mit ihrem Kristallpendel wie das Klischee einer typischen abgedrehten New-Age-Tusse wirkte, durchschaut hier völlig, was in Mulder vorgeht, und bringt ihn dazu, den "dunklen Ort" (die ausgeschalteten Lichter meinte sie damit nicht) zu verlassen und Scully an ihrem (vermeintlichen) Totenbett zu besuchen, um sich zu verabschieden. Als Mulder dann in sein verwüstetes Apartment zurückkommt, ist endgültig alles zuviel für ihn; der emotionale Gipfel der Episode, als er im Dunkeln weinend zu Boden sinkt. Eine tolle schauspielerische Leistung, wie überhaupt in der ganzen Episode, des angeblich "hölzernen" Duchovny.
Mulders persönliche Krise in "One Breath" resultiert aus der Machtlosigkeit, die er angesichts der Situation empfindet, seiner Verzweiflung und Angst, Scully zu verlieren. "Your anger and your fear’s blocking any positive emotions she needs to feel," sagt ihm Melissa, als er sich weigert, Scullys Tod zu akzeptieren, und statt an ihrem Krankenbett zu sein, unbedingt etwas tun will, um die Geschehnisse aufzuhalten. "I need to do more than just wave my hands in the air!" (Auch X gegenüber betont er das noch einmal: "I owe her more than just sitting around doing nothing!"). Sowohl Melissa als auch Skinner und X sagen ihm, er müsse Scully gehen lassen, verbinden aber völlig unterschiedlichen Rat damit. Während X ihn geradezu auffordert, Scully zu rächen, weckt Skinner indirekt noch Schuldgefühle und verschlimmert dadurch Mulders Krise: "We all know the field we play on and we all know what can happen in the course of a game. If you were unprepared for all the potentials, then you shouldn’t step on the field." - "What if I... I knew the potential consequences but I... I never told her?" - "Then you’re as much to blame for her condition as... The Cancer Man." (Ich weiß nicht, ob das wirklich gerecht gegenüber Mulder ist; was hätte er ihr denn sagen sollen, was sie selbst als FBI-Agentin hätte wissen müssen - und vor allem, was sie ihm zu diesem Zeitpunkt auch geglaubt hätte?) Melissa schließlich bringt es auf den Punkt: "Why don't you just drop your cynicism and your paranoia and your defeat. You know, just because it's positive and good doesn't make it silly or trite! Why is it so much easier for you to run around trying to get even than just expressing to her how you feel? I expect more from you. Dana expects more." Es geht "One Breath" und den Autoren darum, dass Mulders Krise zu einem erheblichen Teil auf Selbstmitleid und anderen letztlich egoistischen Motiven basiert als auf dem Wunsch, Scully zu helfen - denn Racheaktionen helfen Scully nichts.
Am Ende ist es bemerkenswert, dass Mulder Melissas Ratschlag folgt und, statt die von X ihm angebotene Rachemöglichkeit zu ergreifen, zu Scully geht. Es erinnerte mich sehr an die Szene in Star Wars: Die Rückkehr der Jedi-Ritter, als Luke Skywalker, statt den Imperator zu töten, sein Lichtschwert wegwirft. Ob Mulders Anwesenheit an ihrem Krankenbett, als Scully im Zwischenreich ihre Entscheidung traf, irgendetwas bewirkte, lässt die Episode offen. Wichtig für Mulder ist, dass er hier der dunklen Seite nicht verfallen ist.
"One Breath" ist schließlich m.W. auch die erste Episode, in der man etwas mehr über Walter Skinner erfährt. Interessant ist hier vor allem die zweite Szene, in der er über seinen Einsatz in Vietman erzählt. Skinner war freiwillig dort im Einsatz: "I did it on a blind faith. I did it because I believed it was the right thing to do." Die Erlebnisse dort ließen ihn diesen Glauben verlieren: "I lost my faith. Not in my country or in myself, but in everything. There was just no point to anything anymore." Er fügt hinzu, er wisse nicht, ob er nun glaube oder nicht, dass es das richtige war. Skinner erzählt dann von einer Nahtodeserfahrung, er fiel auf einer Patrouille, wurde für tot erklärt und sagt, er habe - wie aus klassischen Nahtodeserzählungen bekannt - seinen eigenen Körper von außerhalb gesehen. "I'm afraid to look any further beyond that experience. You? You are not. Your resignation is unacceptable." Er weist hier auf einen wichtigen Unterschied zwischen ihm selbst und Mulder hin - Skinner ist einer der Vernünftigesten, vielleicht der Vernünftigste aller Charaktere, wagt sich aber über bestimmte Grenzen nicht hinaus und wird im Zweifel Kompromisse machen, was im Verlauf der Serie noch wichtig werden wird. Interessant war auch eine andere Aussage von ihm, als Mulder ihm sagt, er habe sein Leben riskiert: "Agent Mulder, every life, everyday is in danger. That's just life." Man vergleiche das mit der Panik, mit der X reagiert.
Insgesamt ist "One Breath" eine tolle Episode, über die man nicht nur über Mulder, sondern auch über X, den Raucher und Skinner erfährt. Das Übersinnliche nimmt in "One Breath" klar die Rolle des Positiven ein, vor allem in Gestalt der mysteriösen Schwester Owen, die nur Scully sieht und die es laut Auskunft einer anderen Schwester gar nicht gibt. Es ist nicht klar, ob Schwester Owen nur in Scullys Gedanken existiert, oder eine unerklärliche Wesenheit ist.
Im Hinblick auf die schauspielerischen Leistungen ist die in dieser Episode überragende Vorstellung von David Duchovny hervorzuheben, der hier alle Aufgaben, vor die mit Mulders Gefühlschaos gestellt wird, mit Bravour meistert. William Davies hat als der Raucher seinen ersten größeren Auftritt und gefiel mir ebenso gut wie Steven Williams als der paranoide X. Was die Inszenierung angeht, haben mir besonders die verschiedenen Szenen Scullys im Zwischenreicht (im Ruderboot sowie beim Aufeinandertreffen mit ihrem Vater) sehr gut gefallen. Die Szenen im Boot, das nur von einer Leine gehalten wird, dienen als Metapher für die sich weit vom rettenden Land (dem Diesseits) entfernt befindliche Scully, von dem aus die Lebenden mit ihr zu kommunizieren versuchen. Scully scheint sie zu hören, aber aufgrund der Entfernung nicht zu verstehen. Besonders eindrucksvoll die Szene, in der die Leine dann reißt. Sehr gut gemacht sind auch die Konfrontationen Mulders mit dem Raucher, X und schließlich die Interaktion mit Melissa in seiner Wohnung. "One Breath" ist mit gutem Grund eine der beliebtesten Akte X-Episoden überhaupt. Ich kann mich dem nur anschließen und gebe sechs Ruderboote dafür.