Akte X - Staffel 2




Alles zu Chris Carters Mystery-Serien Akte X, MillenniuM und The Lone Gunmen

Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Sa 8. Sep 2018, 19:11

Folge 10, Staffel 2: "Das Rote Museum / Red Museum"

Drehbuch: Chris Carter
Regie: Win Phelps



In einem ländlichen Ort in Wisconsin wird ein Junge als vermisst gemeldet und am nächsten Morgen völlig verstört und in Unterwäsche von der Polizei aufgefunden. Auf seinen Rücken wurde mit schwarzer Farbe "He Is One" geschrieben. Es ist bereits der dritte Fall dieser Art. Verdächtigt wird eine Sekte militanter Vegetarier, die sich in diesem Ort inmitten eines amerikanischen Rinderzuchtgebiets angesiedelt hat. Der örtliche Sheriff glaubt, die entführten Jugendlichen seien besessen. Bei der Untersuchung stellt sich jedoch bald heraus, dass wesentlich mehr dahinter steckt und an den Jugendlichen seit Jahren Experimente durchgeführt wurden.

"Red Museum" beginnt wie eine typische Monster-of-the-Week-Episode, schlägt dann aber auf halbem Weg unvermittelt ein paar Haken und entpuppt sich als Mythologiefolge - man könnte die Folge auch als die Fortsetzung von "The Erlenmeyer Flask", dem Staffel 1-Finale, bezeichnen. Mulder und Scully untersuchen eine Reihe von Entführungen Jugendlicher, die alle nach mehreren Stunden völlig verstört und nicht ansprechbar, in Unterwäsche und mit einem Schriftzug "He (oder She) Is One" auf dem Rücken irgendwo in der Natur wieder auftauchen. Der örtliche Sheriff glaubt an Besessenheit, wofür auch die Aussage eines der Jungen spricht, und hat eine vor einiger Zeit zugezogene New-Age-Sekte militanter Vegetarier, das Red Museum, im Verdacht, deren Anführer Botschaften aus einer anderen Welt channelt. Ebenfalls Verdacht erregt ein offenbar pädophiler Spanner. Tatsächlich stellt sich der Fall aber als etwas ganz anderes heraus: Der örtliche Arzt hat Kinder als Versuchsobjekte für Hybridisierungsexperimente verwendet, unter dem Vorwand, ihnen Vitaminspritzen zu verabreichen. Deep Throat hat in "The Erlenmeyer Flask" solche Experimente erwähnt. Das außerirdische Material wurde sowohl den Kindern direkt gespritzt (wie die Affen in „Erlenmeyer Flask“ wurden die Kinder aggressiv), als auch Rindern injiziert, was dann über das Essen von Rindfleisch bei der örtlichen Bevölkerung ankam. Die Vegetarier-Sekte diente als Kontrollgruppe. Scully kommt der Angelegenheit auf die Spur, da sie sowohl die Purity Control-Verbindung in der Blutprobe als auch Deep Throats Mörder, hier damit beschäftigt, die Farmmitarbeiter zu töten, wiedererkennt.

In "Red Museum" ist nichts so, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Der alte Landarzt führt an Kindern geheime Experimente mit außerirdischer DNA durch, die er als "Vitaminspritzen" verkauft, die "normalen" Gemeindemitglieder neigen wegen der Experimente zu Gewalt- und Sexverbrechen, während die verdächtigte Sekte und ihr Anführer keine Endzeit-Spinner, sondern friedliche und sogar hilfsbereite Leute sind. Die Mitglieder des "Red Museum" tragen Turbane, was etwas an manche asiatischen Religionen erinnert. Sie glauben an den baldigen Beginn des Wassermann-Zeitalters, eine sehr weit verbreitete Vorstellung in der New Age-Bewegung der 1970er Jahre, verknüpfen dies aber mit dem Glauben an eine Seelenwanderung: "They're Walk-Ins [...] believers in soul transference, enlightened spirits who have taken possession of other peoples bodies. [...] it's kind of a new age religion based on an old idea. That if you, uh, lose hope or despair and want to leave this mortal coil, you become open and vulnerable." - "To inhabitation by a new spirit." - "A new enlightened spirit. According to the literature, Abe Lincoln was a walk-in. And Mikhail Gorbachev and Charles Colson, Nixon's advisor." Den Beginn des Wassermann-Zeitalters datiert das Red Museum auf 2012: "Eighteen earth years from the beginning of the new kingdom [...] we, the enlightened, must bring our teachings of the skills for survival to mankind."
Hätte Mulder (und der Zuschauer) hier aufgepasst, dann hätte er sich mindestens zweieinhalb Jahre, eigentlich sogar siebeneinhalb Jahre der Suche ersparen können. Natürlich ist der 22. Dezember 2012 das Datum, an dem die Kolonisierung beginnen sollte, wie man dann schlussendlich am Ende der neunten Staffel erfährt.
Typischerweise wird das Wassermann-Zeitalter mit einem neuen Zeitalter des Friedens und der Liebe gleichgesetzt, und ist verwandt, wenn nicht sogar gleichbedeutend mit der Vorstellung der Maya von einem neuen Zeitalter, das gemäß den verbreitetsten Interpretationen des Maya-Kalenders am 22. Dezember 2012 beginnen sollte.
Im "Patient X"-Zweiteiler in Staffel 6 vertritt Cassandra Spender zunächst dieselbe Vorstellung.

Im Glaubenssystem der Walk-Ins ist es besser, von einem erleuchteten Geist besetzt zu werden, als an gar nichts zu glauben; die Vorstellung, dass der Verlust des spirituellen Kompasses ins Unheil führt, ist eine wiederkehrende Vorstellung in Akte X.
Mulder reißt in seiner Erklärung nur die Oberfläche an: Die Walk-Ins sind eine außerirdische Bewahrer-Rasse, die Menschen in Not beistehen. Es wurde spekuliert, dass Schwester Owen aus "One Breath" eine Walk-In war. In jedem Fall tauchen die Walk-Ins später nochmal auf, in "Closure" in Staffel 7, im Zusammenhang mit dem Schicksal von Samantha.
Der Anführer des Red Museum, Odin, ist nach dem Göttervater der nordischen und germanischen Mythologie benannt, ein Seher und Prophet, der auf der Suche nach Weisheit ist.

Die Experimente, die hier durchgeführt werden, sind verwandt mit denen, die Deep Throat in "The Erlenmeyer Flask" erwähnte: "In 1987, a group of children from a southern state were given what their parents thought was a routine inoculation. What they were injected with was a clone DNA from the [fetus] as a test." Wisconsin ist kein Südstaat, es muss sich daher um eine andere Experimentreihe handeln, das Prinzip ist jedoch dasselbe. Der ausführende Arzt war Dr. Larson, der die Familien der Test-Kinder über ihre Kreditkartennummern verfolgte. Das Projekt bestand aus zwei Experimentreihen: Einerseits wurde den Kindern außerirdische DNA unter dem Deckmantel von "Vitaminspritzen" injiziert, andererseits wurde dasselbe Material zusammen mit Wachstumshormonen auch Rindern injiziert, so dass die Gemeindebewohner durch den Konsum von Fleisch mittelbar mit dem außerirdischen Material infiziert wurden. Larson war für beide Teile verantwortlich. Da die Anhänger des Red Museum kein Fleisch aßen, konnten sie als Kontrollgruppe verwendet werden; vermutlich wurde die Ansiedlung der Sekte in dieser Umgebung vom Syndikat eingefädelt. (Scully: "whoever was doing may have been using them as a control group"). Wie die Versuchsaffen in "The Erlenmeyer Flask" entwickelten die Testpersonen gewalttätiges Verhalten ("Ten, even five years ago, never would have happened. People around here have changed... gotten mean... spiteful... dog-eat-dog.") Die Injektionen schützten andererseits die Kinder vor Krankheiten - sobald sie abgesetzt wurden, wurden sie allesamt krank. Wie Scully richtig erkannte, wurden sie mit dem Purity Control-Material injiziert: "The residual substance couldn't be analyzed because it contained synthetic corticosteroids with unidentified amino acids. That's 'Purity Control', Mulder." Ebenso identifizierte sie korrekterweise den Mörder des pädophilen Spanners als den Mann, der Deep Throat erschossen hat.

Bei all den Vorgängen um das Red Museum und die Experimente an den Kindern geht etwas unter, dass die Episode noch weitere Themen anschneidet: So die ethische Debatte um Vegetarismus vs. Fleischkonsum, die Bedenken um die Produktionsmethoden der modernen Fleischindustrie (in Europa war zu dieser Zeit die BSE-Krise in vollem Gange), staatliche Experimente an nichtsahnenden Testpersonen unter vorgeschobenen anderen Behandlungen - alles Themen, die auch in anderen Episoden auftauchen - und überdies auch noch Kindesentführungen durch Pädophile, die angeblich nur das Beste für die Kinder wollen. Mit den vielen Themen und den Irrfährten mit der Sekte und dem Pädophilen wirkt "Red Museum" etwas unübersichtlich - von nicht Wenigen wird die Episode auch als zu verwirrend empfungen. Mir persönlich blieb etwas unklar, was es jetzt mit dem "Spirit" auf sich hatte, der die Kinder im Wald überkommen hat: Nebenwirkungen der Experimente? Irgendetwas, was der Pädophile mit ihnen angestellt hat? Versuchte Einflussnahme der Walk-Ins? Die Visionen und die Beschreibung von Gary Kane scheinen mir auf das Letztere hinzudeuten.

Insgesamt fand ich "Red Museum" aber eine gut gelungene Episode. Gefallen hat mir auch, dass mit dieser Sekte nicht einfach dumpfe Klischees bedient wurden, sondern mehr dahinter steckte. Auch der Bogen zur Mythologie ist gut gelungen. Die Inszenierung der Episode ist eher ruhig und von einer latenten Bedrohlichkeit geprägt. Vor allem die Szenen mit dem entführten Mädchen im Wald sowie der Showdown im Schlachthaus sind sehr gut inszeniert. Ich vergebe gute vier Spare-Ribs dafür.
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Sa 8. Sep 2018, 19:12

Folge 11, Staffel 2: "Excelsis Dei / Excelsis Dei"

Drehbuch: Paul Brown
Regie: Steven Surjik



Eine Pflegerin in einem Altenheim verklagt den Staat, weil sie von einem Unsichtbaren vergewaltigt worden sei. In dem Heim, einer Einrichtung für Alzheimerkranke, wird eine medizinische Studie durchgeführt, und der Zustand der Patienten hat sich in letzter Zeit auf eine unglaubliche Weise gebessert. Auch sonst gehen erstaunliche Dinge vor, so berichtet eine Bewohnerin, dass sie Geister sieht.

"Excelsis Dei" ist die erste und glücklicherweise auch letzte Akte X-Episode des Gespanns Brown/Surjik - glücklicherweise deshalb, weil sie ein guter Kandidat für die schlechteste Episode der Serie überhaupt ist. Eine Schwester in Altenheim "Excelsis Dei", Michelle Charters, behauptet, von einer unsichtbaren Entität vergewaltigt worden zu sein. Sie behauptet, der Täter sei der Bewohner Hal, der sie schon längere Zeit sexuell belästigt - sie habe ihn an seinem Geruch erkannt. Nicht nur die Heimleiterin und alle anderen Beteiligten, sondern auch der ansonsten in solchen Fragen sensible Mulder tun das als eine Masche ab, um aus einem ungeliebten Job herauszukommen, obwohl offensichtlich ist, dass der Schwester etwas zugestoßen ist. Einzig Scully nimmt sich des Falls an, den ihr Kollege am liebsten wie eine heiße Kartoffel fallen ließe (und sich im Übrigen zu keinem Zeitpunkt später für seine Fehleinschätzung entschuldigt oder sie auch nur eingesteht). Die Heimbewohner, Alzheimerkranke, zeigen überraschende und unerklärliche Besserungen ihrer Symptome. Die weiteren Ermittlungen bringen ans Licht, dass ein kürzlich eingestellter Pfleger aus Fernost den Patienten eine aus Pilzen hergestellte Pflanzenarznei verabreicht, die sowohl die Alzheimer-Erkrankung bessert und den Patienten erstaunliche körperliche Fitness verleiht, als auch Geister von im Heim Verstorbenen sichtbar macht, welche dann an sadistischen Pflegern Rache üben.

Das ist alles ziemlich wirr. Es fängt schon damit an, dass Schwester Charters gleichzeitig den Heimbewohner Hal und eine unsichtbare Entität der Vergewaltigung beschuldigt. Das ergibt nur Sinn, wenn die Droge Hal auch die Fähigkeit verschafft, außerhalb seines Körpers aktiv zu werden und dabei auch noch charakteristisch zu riechen. Da frage ich mich, was die Pilze eigentlich noch alles können sollen - sie bessern Alzheimer, verwandeln Greise in Superathleten, verleihen telekinetische Fähigkeiten, ermöglichen Astralreisen mit der außergewöhnlichen Note, dass der Astralkörper riecht, sie öffnen das Tor zur Anderswelt und ermöglichen die Kommunikation mit Geistern, und befähigen die Geister, ihre ehemaligen Pfleger zu ermorden. Schwester Charters selber, die ja eigentlich die Hauptprotagonistin in dem Fall ist, taucht nach der Eingangssequenz überhaupt nicht mehr auf, und wer letztlich für die Vergewaltigung verantwortlich ist, wird auch nicht aufgeklärt - war Hal der Täter, oder doch einer der Geister? Schleierhaft ist mir auch, weswegen sie die Regierung verklagt, wenn sie doch glaubt, dass Hal der Täter ist und das Heim anscheinend eine private Einrichtung ist.

Von dem ganzen logischen Wirrwarr mal abgesehen ärgert mich an der Episode so ziemlich alles. Die für mein Empfinden diffamierende Darstellung der Pfleger, an denen abgesehen vom "Weisen aus Fernost" samt und sonders kein gutes Haar gelassen wird, die Klischees über lüsterne alte Männer, die junge Frauen betatschen und ihnen nachstellen, die Art und Weise, wie Schwester Charltons Aussagen abgestempelt werden, und schließlich auch der weise Orientale selber, der zwar Predigten über die Behandlung der Alten in einer Gesellschaft hält, in seiner Weisheit aber nicht auf die Idee kommt, dass es vielleicht keine so gute Idee ist, Demenzkranken Drogen mit starken psychokinetischen Eigenschaften zu verabreichen, die die Kommunikation mit Geistern ermöglichen - oder zumindest seine Tabletten so sicher zu verwahren, dass sie von den Patienten nicht eigenmächtig konsumiert werden können.

Hilfreich ist auch nicht, dass die beiden Agenten in der Episode völlig Out Of Character sind. Dass Mulder der Schwester nicht glaubt, passt weder zu seiner charakteristischen Bereitschaft, an paranormale Phänomene zu glauben, noch zu seinem ansonsten immer stark ausgeprägten Mitgefühl mit Opfern von Übergriffen - besonders dann, wenn sie sonst von niemandem ernst genommen werden. Und wenn er sich schon derart sonderbar verhält, sollte man meinen, dass zumindest Scully ihn darauf hinweist, wie daneben sein Verhalten ist. Oder dass sie nach einer rationalen Erklärung für die Geschehnisse sucht - aber auch da kommmt nichts

Was das alles soll, bleibt mir schleierhaft. Vielleicht - das wäre eine wohlwollende Interpretation - wollte man einen Kommentar über sexistische Vorurteile gegenüber Vergewaltigsopfern abgeben, aber das ist aufgrund des merkwürdigen Humors in der Episode und weil man sich mit Mulder den völlig Falschen als "Feindbild" auserkoren hat, gründlich missglückt. Auch die Chance, auf ein paar möglicherweise interessante Ideen näher einzugehen - was es mit den Geistern auf sich hat, warum gerade Charters angegriffen wurde, die noch die sympathischste Pflegerin in der Einrichtung ist - wird nicht ergriffen.

Mit dem wirren Drehbuch, den Stereotypen über sadistische Pfleger, lüsterne greise Männer und weise Eingewanderte aus Fernost, und der schwer verdaulichen Behandlung des Themas Vergewaltigung ist "Excelsis Dei" ein Tiefpunkt der X-Akten. Allenfalls rettet die Episode wieder einmal die Inszenierung, besonders die Szenen mit den Geistern. Auch der Showdown im überfluteten Badezimmer war gut inszeniert, wenn sich mir auch der Sinn der Szene nicht erschließt; es wirkt eher wie Effekthascherei auf mich. Insgesamt eine ärgerliche Episode, ich gebe knapp zwei chinesische Pilze dafür.
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Sa 8. Sep 2018, 19:13

Folge 12, Staffel 2: "Böse geboren / Aubrey"

Drehbuch: Sara Charno
Regie: Rob Bowman



In Missouri findet eine schwangere Polizistin auf einem Feld die Überreste eines seit 50 Jahren vermissten FBI-Agenten, der eine mysteriöse Mordserie untersuchte. Eine Vision hat sie an die Stelle, an der die Leiche vergraben war, geführt. Kurz nach dem Fund kommt es zu einem neuen Mord mit derselben Methode. Der damals verurteilte Täter ist zwar wieder auf freiem Fuß, kommt aber aufgrund seines Alters und Gesundheitszustandes nicht für die Morde in Frage. Als die Polizistin weitere und immer brutalere Visionen hat, entwickelt Mulder die Theorie, dass eine genetische Verbindung zwischen dem Mörder von früher und dem von heute besteht.

"Aubrey" ist die erste in einer Reihe von Episoden in Staffel 2, in denen deutlich wird, dass Chris Carter gerade dabei war, die dunklere Schwesterserie zu Akte X, Millenium, zu entwickeln. Die Folge kann man sich mit nur wenigen Anpassungen auch gut als Millenium-Episode vorstellen. In der Kleinstadt Aubrey in Missouri geschieht eine Serie von Morden, die erstaunliche Ähnlichkeiten zu einem 50 Jahre alten Fall aufweisen, der von einem der ersten Profiler des FBI, Sam Chaney, untersucht wurde. Profiling war seinerzeit eine Avantgarde-Methode, von den meisten nicht ernst genommen; man könnte Chaney als eine Art Vorläufer von Mulder betrachten. (Auch die Vorliebe für bedeutungsschwangere Monologe scheint Mulder von ihm geerbt zu haben.) Das Skelett Chaneys wird von einer örtlichen Polizistin, B.J. Morrow, unter mysteriösen Umständen auf einem Feld ausgegraben. Die aus einer außerehelichen Affäre mit ihrem Vorgesetzten schwangere Morrow hat Visionen und präkognitive Träume, von denen einer sie zu der vergrabenen Leiche führte. Die Opfer des von Chaney verfolgten Mörders seinerzeit waren alle Frauen, und in ihre Brust war das Wort "Sister" eingeritzt. Der Mörder von damals wurde zwar gefasst, ist jedoch inzwischen wieder auf freiem Fuß und zunächst Mulders und Scullys Hauptverdächtiger.

Aufgrund ihrer Träume kann Morrow den Mann auf alten Polizeifotos identifizieren, aber als Mulder und Scully den inzwischen 77-jährigen Harry Cokely besuchen, stellt sich heraus, dass ans Haus gebunden und auf ein Atemgerät angewiesen ist. Als Morrow in einem weiteren Alptraum die Leiche von Chaneys früherem Partner ausgräbt und behauptet, den jungen Cokely im Raum gesehen zu haben, beginnt Mulder zu vermuten, dass zwischen Morrow und Cokely eine genetische Verbindung existiert. Nach weiteren Nachforschungen stellt sich heraus, dass Morrow Cokelys Enkelin ist und ihr Vater das Kind aus einer von Cokely begangenen Vergewaltigung ist. Der Vater wurde von seiner Mutter Mrs Thibedeaux sofort nach der Geburt zur Adoption freigegeben; sie hielt das Kind für eine Ausgeburt des Bösen. Cokelys mörderische Veranlagung wurde genetisch vererbt und hat eine Generation übersprungen, so dass nicht Cokelys Sohn selber, sondern die Enkelin Morrow zur Mörderin wurde.

"Aubrey" thematisiert eine Reihe von Ideen, die in Akte X eine zentrale Rolle spielen, wie die Frage, was das Böse ist und woher es kommt, und die Thematik von Kindern, die die Konsequenzen der Sünden ihrer Ahnen austragen müssen. "One must wonder how these monsters are created. Did their home life mold them into creatures that must maim and kill, or are they demons from birth?" wird er ermordete Profiler Chaney zitiert, und spricht damit die Debatte an, wieviel von einer Persönlichkeit angeboren und wieviel anerzogen ist. Die Frage ist nach wie vor umstritten; Mulder spricht Resultate der Zwillingsforschung an, die darauf hinweisen, dass Persönlichkeitseigenschaften zumindest teilweise vererbt werden können, und auch Chris Carters wissenschaftliche Beraterin weist in ihrem Buch (allerdings im Zusammenhang mit einer anderen X-Files-Episode, "The End", das Staffelfinale von Staffel 5) auf solche Forschungsergebnisse hin. In der Frage "angeboren vs. anerzogen" nimmt Morrows Großmutter eine klare Haltung ein: "They tried to explain at the trial how his father used to beat him and how he was the only son in a family of five daughters, and how he was brutally punished for everything wrong that happened. But if you ask me, that man was born evil."

Morrow ist in "Aubrey" zwar die Täterin, sie ist aber auch ein Opfer, ihre Taten sind ein direktes Resultat der Verbrechen ihres Großvater Cokley. Insofern schwingt in der Episode auch die Idee der Erbsünde mit: "Martin used to say not to blame the child, that it was just a little thing… an innocent. But it was the spawn of evil.". Via Mrs Thibedeaux macht die Episode klar, dass Morrow nicht verantwortlich ist: "He's done this to both of us. No! You don't know what you're doing! He's the one to blame!" Morrow wird hier mit einer ererbten Sünde konfrontiert, die ihr genetisch mitgegeben worden ist. Cokely selber weigert sich, die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen: "Someone's gotta take the blame, little sister, and it's not gonna me." Selbst nach fünfzig Jahren gesteht er die Schuld nicht ein: "I don't remember much about that. Doctors said I was sick back then. They gave me some pills. I served my time, and now I'm better." (Die Vorstellung, dass die Kinder mit den Folgen der unerledigten Hausaufgaben ihrer Vorfahren fertig werden müssen, zieht sich durch die ganze Serie, besonders offensichtlich in Staffel 3.)

B.J. Morrow ist ein für eine nur in einer Episode auftretende Figur sehr komplexer, gut entwickelter Charakter, eine Polizistin, die eigentlich nur ihre Arbeit richtig machen will: "My father was a cop. A good cop. That's all I ever wanted to be." Sie findet sich in dieser genetisch verursachten Gewaltspirale wieder, in deren Zentrum sie selber steht, geplagt von Alpträumen und Visionen und den Problemen, die ihre ungeplante Schwangerschaft verursacht. Am Ende ist ihr ganzes Leben zerstört, und sie weiß nicht, was für eine Art Kind sie zur Welt bringen wird.

Die Ideen, die "Aubrey" antreiben, sind sehr interessant, und mit Detective Morrow hat die Episode eine Hauptprotagonistin mit einem sehr gut entwickelten Charakterbogen. Leider hapert es mit der Logik aber doch an der einen oder anderen Stelle. Wenn man die Hypothese des ererbten Mordimpulses akzeptiert, stellt sich für mich immer noch die Frage, weswegen Morrow erst zur Mörderin wurde, als sie schwanger wurde. War dann nicht Morrow selber, sondern das Ungeborene mörderisch? Dann aber ist mir unverständlich, weswegen sich die Bösartigkeit so früh manifestierte – man sollte eigentlich annehmen, dass das Gehirn des Fötus einigermaßen ausgebildet sein muss, bevor die Verhaltensmuster auftreten und die Kontrolle über die Mutter übernehmen können. Unklar ist mir auch, was das Kollektive Unbewusste nach Jung, das Mulder erwähnt, mit all dem zu tun haben soll. In "Aubrey" wird ja nicht nur der Mordimpuls, sondern auch die Erinnerung an die Taten vererbt. Soweit ich weiß, geht es aber beim Kollektiven Unbewussten um kollektive Erinnerungen, mit einer genetischen Verknüpfung hat das m.W. nichts zu tun. Die Szene gegen Ende der Episode, als Morrow dann auf Mulder losgeht und sogar mit Cokelys Stimme spricht, deutet wiederum mehr auf eine Übernahme von Morrows Körper durch Cokely hin als auf ererbte Verhaltensmuster – der Spuk hört ja auch auf, als Cokely stirbt. Es ist schade, dass das nicht besser durchdacht wurde, und der logische Wirrwarr der Episode einiges von ihrer Wirkung nimmt.

Eine wesentliche Stärke von "Aubrey" sind die schauspielerischen Leistungen der Gaststars. An erster Stelle ist hier Deborah Strang in der Rolle der B.J. Morrow zu nennen. Egal ob es um die gequälte Geliebte, das verwirrte Opfer, das nicht weiß, wie ihr geschieht, oder die eiskalte Killerin geht, Strang meistert sämtliche Aufgaben, vor die sie gestellt wird, mit Bravour. Auch Terry O'Quinn in der Rolle von Morrows Chef und Liebhaber Tillman (heute vor allem als John Locke aus "Lost" bekannt), und Morgan Woodward in der Rolle des bösen alten Cokley haben mir gut gefallen. Mulder hat hier eine der denkwürdigen Akte-X Dialogzeilen: "Dreams are answers to questions that we haven't yet figured out how to ask", und besonders die Szenen, in denen Morrow unter dem Einfluss ihrer Visionen erst das Skelett auf dem Feld, dann die andere Leiche unter dem Dielenboden in ihrem Haus ausgräbt, sind atemberaubend inszeniert. Insgesamt gefällt mir die Episode sehr viel besser als "Excelsis Dei", wo ich zu keinem der Charaktere irgendeinen Draht bekam. In "Aubrey" finde ich owohl Morrows Schicksal als auch das ihrer Großmutter berührend. Das liegt zum Teil an den sehr guten schauspielerischen Leistungen, zum Teil aber auch am Drehbuch und der Geschichte selbst. Vor allem werden die Vergewaltigung und ihre Folgen thematisiert und dienen nicht nur als Vehikel, das dann in der Luft hängen gelassen wird. Über den Wirrwarr mit den vererbten Verhaltensmustern lässt das etwas hinwegsehen. Ich vergebe gute vier auf dem Feld vergrabene Skelette dafür.
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Mo 10. Sep 2018, 22:47

Folge 13, Staffel 2: "Todestrieb / Irresistible"

Drehbuch: Chris Carter
Regie: David Nutter



Mulder und Scully werden nach Minneapolis zu einem Fall von Leichenschändung gerufen, bei dem der weiblichen Leiche Haare und Fingernägel entfernt wurden. Der örtliche Sheriff hält die Tat für das Werk von Außerirdischen, Mulder schließt dies jedoch aus und vermutet einen menschlichen Täter. Kurz darauf wird die ähnlich verstümmelte Leiche einer Prostituierten gefunden, und Mulder vermutet, dass sich der Täter bald an lebenden Frauen vergreifen wird. Sein nächstes Opfer wird Scully selbst, die der Täter entführt.

„Irresistible“ ist die erste wirklich verstörende Episode, gerade weil sie keine lupenreine X-Akte ist, sondern Verbrecher wie Donald Pfaster auch ohne paranormale Einflüsse existieren können. Die Vermutung des örtlichen Sheriffs gleich zu Beginn, Außerirdische hätten die Schändung zu verantworten, ist ein Hinweis auf die Unmenschlichkeit des Falls: Er kann sich nicht vorstellen, dass ein Mensch so eine Tat begehen kann. Besser noch als "Aubrey" hätte auch "Irresistible" in die Schwesterserie "Millennium" gepasst. Donny Pfaster ist ein Todesfetischist, der auf einem Friedhof in Minneapolis weibliche Leichen ausgräbt und schändet. Mulder vermutet, dass dem Täter die Leichen bald nicht mehr ausreichen werden, und er zu morden beginnen wird - was sich als zutreffend erweist, als wenig später die verstümmelte Leiche einer Prostituierten aufgefunden wird. Währenddessen macht Scully der ganze Fall schwer zu schaffen, bringt er doch die Erinnerungen an ihre eigene Entführung zurück. Sie fährt zurück nach Washington, einerseits, um den Fall dort weiter zu untersuchen, andererseits, um die psychologische Beraterin des FBI zu konsultieren. Als sie nach Minneapolis zurückkehrt, wird sie von Pfaster von der Straße abgedrängt und entführt.

„Irresistible“ ist vor allem ein sehr gelungenes Charakterstück über Scully, die große Probleme mit dem Fall hat. Nach ihrer Entführung wurde in der Serie bzw. von ihr selbst nicht wirklich aufgearbeitet, was ihr widerfahren ist, es blieb bei ein paar lapidaren Bemerkungen, dass sie besser gleich wieder arbeiten wolle. Scully wollte sich am liebsten gar nicht mit ihrer Entführung und dem, was mit ihr gemacht wurde, auseinandersetzen. Bei den drei vorhergehenden Fällen klappte das noch, aber Pfaster mit seiner Schändung weiblicher Leichen lässt ihr nun keine andere Wahl. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal im Ansatz bekannt ist, was mit Scully bei ihrer Entführung geschehen ist, ist doch klar, dass Gemeinsamkeiten mit Pfasters Opfern vorhanden sind: Die Entführung selbst, das Ausgeliefert-Sein, der Missbrauch des eigenen Körpers.

So verletzbar wie in dieser Episode hat man Scully bisher in der Serie noch nicht gesehen. Sie geht von sich aus zur Psychologin und vertraut sich ihr an, nachdem sie Mulders Fragen aus dem Weg gegangen ist. Auch wenn sie wiederholt darauf hinweist, dass sie FBI-Agentin ist und ihr Beruf ist, andere zu schützen, macht die Sitzung doch klar, dass mit dem bloßen Weiterarbeiten-wie-bisher der Vorfall nicht verarbeitet ist. Scully will vor allem Mulder gegenüber keine Schwäche zeigen, und sich auf keinen Fall in eine emotionale Abhängigkeit von ihrem Partner begeben, was auch ein Hinweis ist, an welchem Punkt diese Beziehung gerade ist. "I don't want him to know how much this is bothering me. I don't want him to think he has to protect me." Nach ihrer abermaligen Entführung Pfaster bricht Scullys Schutzmauer dann aber endgültig zusammen und sie heult sich an Mulders Schulter wie ein verängstigtes Kind den ganzen Horror von der Seele.

Pfaster selber wirkt äußerlich wie ein Jedermann, "the devil in a buttoned-down shirt", wie Mulder es ausdrückt. Dass Pfaster so einfach in der Menge verschwinden kann und die Leute nichts Verdächtiges an ihm erkennen, ihn sogar Vertrauen erweckend finden, könnte mit einer Fähigkeit zur emotionalen Einflussnahme zu tun haben. Die Figur scheint meinen Recherchen zufolge vor allem von zwei in den USA sehr bekannten Serienkillern inspiriert zu sein, Ted Bundy und Jeffrey Dahmer, die die Wahrnehmung von Serienkillern in der amerikanischen Pop-Culture besonders beeinflussten. Wie Bundy nähert sich Pfaster seinen Opfern auf Parkplätzen in der Nähe eines Colleges, auch das Waschen der Haare und Auftragen von Make-Up an den Leichen waren Gewohnheiten von Bundy. Wie Dahmer bewahrt Pfaster Leichenteile im Kühlschrank auf. Vor allem Bundy wusste sich offenbar sehr geschickt zu verkleiden; es heißt, dass keine zwei Fotos von ihm sich glichen: In der Entführungsszene scheint Scully Pfaster mit vielen verschiedenen Gesichtern zu sehen. Die Folge lässt die Interpretation offen; es könnte ein Hinweis auf paranormale Fähigkeiten sein, die ihm erlauben, in der Menge unterzutauchen, oder eine Metapher, dass hinter allen möglichen Gesichtern ein Donald Pfaster verborgen sein kann: Als "extraordinary only in his ordinaryness", beschreibt ihn Mulder, und eine Prostituierte sagt: "He was ordinary. He didn't look like no freak."

Nichtsdestoweniger hat Pfaster, wie er von Nick Chinlund gespielt wird, etwas Bedrohliches, Verstörendes an sich; er erinnert mich in dieser Hinsicht an Tooms. Man merkt nach kurzer Zeit, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt. Seine Wohnung, die mit Blumen und Satin dekoriert ist, wirkt wie ein Leichenschauhaus und passt zu diesem Eindruck. Mehrmals in der Episode sieht man Pfasters Silhouette wie ein Dämon aussehen. Wie Carter sagt, sind diese Szene wiederum von Berichten über den realen Serienkiller Dahmer inspiriert:
"There are reports of people who had been under the spell of Jeffrey Dahmer, who actually claimed that he shape-shifted during those hours when they were held hostage; that his image actually changed."

Ebenso wie bei den verschiedenen Gesichtern, die Scully sieht, bleibt offen, ob Pfaster ein Dämon ist, oder nur als ein solcher wahrgenommen wird. Die Bilder könnten aber auch bedeuten, dass Scully hier mit ihren eigenen Dämonen kämpft, oder dass sie mit dem Bild von ihrem Entführer als etwas Nicht-Menschlichem ihre Entführung unter mutmaßlicher Beteiligung Außerirdischer zu Beginn von Staffel 2 aufarbeitet.

Notwendig ist der Erklärungsansatz mit dem Dämonen für die Episode nicht. "Irresistible" ist eine der eher seltenen Folgen, in denen das Paranormale allenfalls am Rande eine Rolle spielt. Statt dessen ist Mulders Hintergrund als Profiler hier von großer Bedeutung; er ist es, der Mulder hilft, Pfaster zu identifizieren und seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. "As nasty as it seems, we've got to get into this guy's head. How he thinks."

"Irresistible" lebt sehr von den schauspielerischen Leistungen Nick Chinlunds und Gillian Andersons und von David Nutters Regie. Vor allem Chinlund spielt Pfaster hervorragend als einen eigentlich gewöhnlich aussehenden Typen, der aber dennoch durch seine kühle, geradezu sterile Art und seine monotone Sprechweise irgendwie merkwürdig und bedrohlich wirkt. Durch die Art, wie David Nutter ihn in Szene setzt, wird dies noch verstärkt. Die merkwürdige Einrichtung von Pfasters Wohnung ist bei mir besonders hängengeblieben. Auch Mark Snows ominöse, minimalistische Musik tut das ihre, um eine bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen. "Irresistible" ist eine der denkwürdigsten Akte X-Episoden dieser frühen Phase der Serie. Ich vergebe knappe sechs ausgerupfte Fingernägel dafür.
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Di 11. Sep 2018, 21:24

Folge 14, Staffel 2: "Satan / Die Hand die verletzt"

(Kopie von SciFi Forum)


Fünf vom Himmel fallende Kröten. Als in einer Nacht Teenager im Wald aus einem schwarzmagischen Buch rezitieren, beschwören sie ohne es zu wollen einen Dämon herbei, der eines der Kinder tötet. Der Sheriff, dem die seltsamen Umstände des Mords nicht geheuer sind, ruft Mulder und Scully herbei. Es stellt sich heraus, dass sich hinter der Lehrer-Eltern-Versammlung der örtlichen Highschool ein Satanistenkult verbirgt, der im Keller satanische Rituale praktiziert.

„Die Hand, die verletzt“ ist eine Mischung aus schwarzer Komödie und Horror, in der sich Akte X auch selbst parodiert. Schon die Prämisse – der Teufel bestraft eine Gruppe von Satanisten, weil sie nicht religiös genug sind – ist herrlich. Die Satanistengruppe hat vor sieben Generationen als eine Gruppe religiös Verfolgter begonnen, ist aber mittlerweile völlig zu Pseudo-Gläubigen, deren Glaube nur noch aus Lippenbekenntnissen besteht, degeneriert. Nicht nur werden Rituale, die ihnen nicht behagen, ausgelassen, sie bringen es nicht einmal fertig, ihre regelmäßigen Sitzungen abzuhalten. Ein Teilnehmer würde sie am liebsten ausfallen lassen, weil irgendein Sportevent auf dem Programm steht, der ihm offenbar wichtiger ist. Eine offensichtliche Parodie auf die Haltung zur Religion im zeitgenössischen Amerika (und nicht nur dort). Alles sucht nach einer okkultistischen Verschwörung (Schuld sind nach Auffassung des Sheriffs die Heavy-Metal-Bands), die Satanisten kommen aber nicht auf die Idee, dass sie selber die Verantwortlichen sind.

Auch sonst ist die Folge voll von parodistischen Elementen. Die Schule heißt Crowley High School (nach dem berüchtigten britischen Okkultisten), die Eltern-Lehrer-Versammlung hat ein Problem mit „Jesus Christ Superstar“, weil das nicht zur Schule passt, und vollends zum Schreien ist, dass sich die Satanisten bei „Grease“ am F-Wort stören. In der Beschwörungszeremonie der Kinder tauchen plötzlich Ratten auf, es regnet Kröten vom Himmel (eine der Szenen, die bei mir seit der Erstausstrahlung hängen geblieben sind) und das Wasser dreht sich verkehrt herum beim Abfließen. Der als Aushilfslehrerin fungierende Dämon, Mrs Paddock (benannt nach dem Krötendämon in Shakespeares Macbeth), sieht schon äußerlich teuflisch aus, hat ein blutiges Herz in der Schublade und lässt im Unterricht Schweine-Embryos sezieren, die noch lebendig zu sein scheinen. Die Geschichte des für satanische Rituale missbrauchten Mädchens fängt verstörend an, wird dann aber mit jedem Satz immer nur schlimmer und schlimmer, bis sie am Ende sämtliche Boulevard-Horrorstories über satanische Rituale enthält und völlig unglaubwürdig ist.

Als der Lehrer-Eltern-Versammlung klar wird, was vor sich geht, wenden sie sich dem Fundamentalismus zu. Sie wollen dem Teufel ein traditionelles Menschenopfer bringen, um ihn gnädig zu stimmen. Mulder und Scully sind die Ausersehenen. Der sich von der Sekte abwendende Ausbury wird von einer Schlange gefressen. Die Reue kommt offenbar zu spät, denn der Rest der Versammlung wird von Paddock getötet, die daraufhin spurlos verschwindet.

Gut gefallen hat mir, dass die Episode bei aller Mischung aus Klamauk und Horror auch nachdenkliche Töne hat. Vor allem in der Szene, in der Ausbury über die Heuchelei der Christen reflektiert, die seine Religion verachtet, um dann dazu zu kommen, was mit der Denkweise seiner Gruppe alles verkehrt ist. Den Drehbuchautoren ist auch hoch anzurechnen, dass die Episode klar macht, dass dieser Kult weder mit Wicca oder anderen heidnischen Religionen noch mit der Church of Satan etwas gemein hat.

Ungewöhnlich ist, dass Mulder und Scully die ganze Folge nur den Ereignissen hinterherlaufen und Paddock eigentlich die einzig Handelnde ist. Sinnbildlich die Szene, als Mulder und Scully an den Füßen durch die Schule gezogen werden. So hilflos hat man die beiden Helden der Serie bisher noch nicht gesehen.

Die Nachricht an der Tafel am Ende der Episode, „Goodbye, it’s been fun working with you“, ist übrigens ein In-Joke der Drehbuchautoren, Lords of Darkness Morgan & Wong, die nach dieser Episode die Serie vorläufig verlassen haben, um an ihrer eigenen Show „Space – Above and Beyond“ zu arbeiten.
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Mo 17. Sep 2018, 12:26

Folge 15, Staffel 2: "Frische Knochen / Fresh Bones"

(Kopie von SciFi Forum)


Wieder mal so eine Episode, die mir schwerfällt zu bewerten. Mulder und Scully untersuchen den vermeintlichen Selbstmord eines Soldaten und finden am Ort des Geschehens ein Voodoo-Zeichen. Die Untersuchung führt zu einem Militärcamp, in dem Flüchtlinge aus Haiti untergebracht sind. Nach ein paar Irrwegen, die einen Voodoo-Priester im Camp, verschwundene Leichen, das Wiederauftauchen des totgeglaubten Soldaten als Zombie und ein mysteriöses Kind, das ebenfalls eigentlich für tot gehalten wurde, beinhalten, finden die Agenten heraus, dass Colonel Wharton, der das Camp leitet, der Schuldige ist.

Die Episode reißt mal wieder alle möglichen Themen an: Soldaten-Traumata und all ihre Folgen, Misshandlung von Flüchtlingen und die Fehlbesetzung der Campführung mit Militärpersonal, politisch-philosophische Überlegungen von X über die amerikanische Definition von Freiheit, und als paranormale Elemente die Voodoo-Thematik komplett mit zugehörigen Zombies sowie ein Kind, das als eine Art Schutzgeist agiert. Einen wirklichen Bezug zur Rahmenhandlung hat die Episode nicht, wenn man von X absieht, dessen Aussagen über die Vorgänge wieder ein schlechtes Licht auf das Militär werfen (so richtig verstanden habe ich nicht, weswegen X in dieser Folge auftaucht; es fällt aber auf, dass X hier zum zweiten Mal schon nach „Sleepless“ in einer Nicht-Arc-Episode auftaucht, in der es um traumatisierte Soldaten und dubiose Vorgänge beim Militär geht).

Wharton macht Voodoo für die Unruhen im Camp verantwortlich und versucht erst gar nicht, die Situation anders anzugehen. Die Flüchtlinge wollen nach Hause und der im Camp untergebrachte Voodoo-Priester will, so stellt es Wharton da, mit magischer Hilfe dieses Ziel erreichen. Tatsächlich ist er selbst der eigentlich Schuldige und missbraucht die Voodoo-Religion, um sich am Tod zweier unter seinem Kommando auf Haiti stationierter Soldaten zu rächen und Zeugen der Vorgänge aus dem Weg zu schaffen. Vom haitianischen Jungen dagegen wird Voodoo benutzt, um Scully zu schützen.

Scully sagt, Voodoo funktioniere nur, wenn die Opfer sich davor fürchten. Das Verhalten des totgeglaubten Soldaten und seiner Frau scheinen diese Aussage zu stützen, ebenso die Geschehnisse bei der Attacke auf Scully selbst, die den Spuk mithilfe des Talismans zum Verschwinden bringt. Leider bin ich, was Voodoo angeht, wirklich vollkommen blank und habe keine Ahnung, ob Scullys Aussage zutreffend sein könnte oder nicht.

Schleierhaft ist mir auch, wer oder was Chester letztlich war. Ein Walk-In, eine Art Schutzgeist wie Schwester Owen in „One Breath“? Dem widerspricht die Szene beim Essen im Fast Food-Restaurant (Geister essen nicht). Ein Zombie? Der Soldaten-Zombie hatte ein völlig anderes Erscheinen und Verhalten. War er gar nicht tot und wurde nur dafür gehalten? Wie kann er dann am Hafenkai spurlos verschwinden bzw. sich in eine schwarze Katze verwandeln?

Gut inszeniert fand ich vor allem die Horrorelemente (der Angriff auf Scully im Auto, die Szene am Ende, als der tote Priester wieder auftaucht und Wharton lebendig begraben wird). Insgesamt lässt mich die Episode aber etwas ratlos zurück. Ich gebe knapp vier Voodoosymbole dafür.
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Do 20. Sep 2018, 22:10

Folge 16, Staffel 2: "Die Kolonie I / Colony"

(Kopie von SciFi Forum)


Sechs außerirdische Skalpelle. Mulder und Scully untersuchen eine Serie von Todesfällen dreier Abtreibungsärzte, die völlig identisch aussehen. Ein angeblicher CIA-Agent behauptet, sie seien das Produkt genetischer Experimente der Sowjets und eingeschleust, um die amerikanische Gesellschaft zu infiltrieren. Nun versucht jemand, sie alle zu töten. Im Lauf der Ermittlungen stellt sich heraus, dass der CIA-Agent nicht ist, was er vorgibt zu sein, Scully stößt auf ein verlassenes Labor mit nicht-menschlichen Föten und eine vermeintliche Samantha Mulder taucht bei Mulders Eltern auf.

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll bei dieser Episode. Mit "Colony" wird endgültig ein Punkt erreicht, an dem die Anwesenheit von Aliens unbezweifelbar ist. Konnte man vorher noch die Geschehnisse anders erklären, so taucht hier ein Gestaltwandler auf, der in Terminator-Manier unterwegs ist und sich vor aller, inkl. Scullys, Augen als jemand beliebiges Anderes ausgibt (die Idee für den Kopfgeldjäger hatte David Duchovny). Er weiß genug über die Menschen, um eine plausible Lügengeschichte über die Sowjets und den kalten Krieg zu erzählen. Wie Dr Secare aus "The Erlenmeyer-Flask" blutet er grün, sein Blut ist toxisch und schon die Dämpfe sind für Menschen tödlich. Neu sind auch die geklonten Hybriden, die er verfolgt. Dass das keine "russischen Klone" sind, wird klar, als der erste "Gregor"-Klon getötet wird - auch er blutet grün und löst sich in einen giftigen Schleim auf, als er stirbt. Anders als der Kopfgeldjäger können diese Klone aber nicht ihre Gestalt wandeln. Der Kopfgeldjäger sagt zu einem von ihnen, ihr Plan werde nicht funktionieren, was heißt, die Aliens sind nicht nur hier, sie haben auch ein Ziel.

Abgesehen von dem Kick-Off für den außerirdischen Kolonisierungsplan ist "Colony" eine interessante Geschichte über Mulder und seine Familie. Bill Mulder hat sich völlig von seinem Sohn abgeschottet und will ihn selbst in dieser Situation nicht umarmen, sondern gibt ihm nur sehr förmlich die Hand. Mrs Mulder scheint ein emotionales Wrack zu sein, und mit allem, was passiert ist, völlig überfordert. Sie ist sich nicht ganz sicher, ob die Zurückgekehrte wirklich Samantha ist, und obwohl er ihr etwas anderes sagt, scheint auch Mulder nicht ganz sicher zu sein. Was ich mich frage, ist, ob Bill Mulder sich dessen sicher ist? Der Info-Dump, den Samantha da ablädt, ist etwas zu mundgerecht zubereitet - u.a. auch, dass sich Samantha ausgerechnet einer Regressionshypnose unterzogen hat, um an ihre verschütteten Erinnerungen heranzukommen.

Interessant war auch die Szene zuvor mit Scully und Mulder im X-Files-Büro, als es darum ging, wie weit sie bei der Suche nach der Wahrheit gehen dürfen. Schon früher hat Scully mit ihrer Entführung einen hohen Preis bezahlt (wie hoch, ist hier noch gar nicht klar) und jetzt ist ein FBI-Agent tot. Mulder sagt, jeder müsse seine eigene Linie ziehen, wie weit man gehen darf, und man fragt sich, wie weit Mulder eigentlich gehen würde. Scully bezweifelte auch schon früh die Geschichte des angeblichen CIA-Agenten, während Mulder da viel zu leichtgläubig war.

Abgesehen davon, dass "Colony" die Charakterentwicklung und Rahmenhandlung ein großes Stück weiter bringt, hat mir auch die Inszenierung der Folge selbst sehr gut gefallen. Der Einführungsmonolog von Mulder - die Szene spielt eigentlich am Ende der Folgeepisode "End Game" - klingt wie historischer Literatur nachempfunden. Bei der Recherche fand ich heraus, dass Chris Carters Lieblingsroman Mary Shelleys "Frankenstein" ist. Die Prämisse des Zweiteilers hat große Ähnlichkeit mit Shelleys Roman: Ein Mann fährt zum Nordpol und birgt dort den fast erfrorenen Dr Frankenstein, der in der Eiswüste nach dem Monster und wissenschaftlichen Erkenntnissen sucht. Die ganzen Szenen mit dem Gestaltwandler und den Klonen sind für damalige Verhältnisse sehr glaubhaft umgesetzt, und besonders die Szene im zerstörten Labor blieb mir im Gedächtnis. Schließlich ist das Ende ein absoluter Alptraum-Cliffhanger, als Scully den vermeintlichen Mulder im Motelzimmer entsetzt als den Gestaltwandler erkennt.
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Fr 21. Sep 2018, 21:48

Folge 17, Staffel 2: "Die Kolonie II / End Game"

(Kopie von SciFi Forum)


Sechs inaktive Retroviren auch für diese tolle Folgeepisode. Nach einem Teaser mit einer Szene in der Arktis, als ein U-Boot den Befehl erhält, das abgestürzte UFO anzugreifen, geht es weiter mit Scully, die im Motel vom Kopfgeldjäger in Gestalt von Mulder gefangen genommen wird. Der Kopfgeldjäger will einen Austausch von Scully gegen Samantha arrangieren, der jedoch fehlschlägt: Samantha stürzt ebenso wie der Kopfgeldjäger von einer Brücke. Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass Samantha ebenso wie die Gregors ein Klon ist. Mulders Nachforschungen führen ihn zu weiteren Klonen und schließlich bei der Verfolgung bis in die Arktis, wo er das U-Boot findet, das das UFO angreifen sollte, und den Kopfgeldjäger trifft. Der Beginn der Episode mit dem Angriffsbefehl auf das UFO stellt den Bezug zu E.B.E aus der ersten Season wieder her, als Deep Throat von der UN-Resolution 1013 erzählte, nach der bei einem UFO-Absturz jedes Alien zu exekutieren ist.

In der Episode erfährt man, wie ein Kopfgeldjäger getötet werden kann (nur an einem bestimmten Punkt im Nacken) und dass die Klone Alien-Mensch-Hybriden sind. Die Hybridisierung wird in Jeanne Cavelos Science-Buch ausführlich beschrieben, in Kurzfassung auch auf http://www.eatthecorn.com/eps/2X16_2X17.htm. Im Unterschied zu Dr Secare in "The Erlenmeyer Flask" können diese Hybriden nicht einfach erschossen werden und sie können telepathisch kommunizieren (Samantha kann den Kopfgeldjäger in jeder Gestalt erkennen). Ihr Blut ist giftig, aber nicht tödlich wie das Blut des Kopfgeldjägers. Es ist anzunehmen, dass der Kopfgeldjäger vom Syndikat geschickt wurde, um die Klone auszulöschen. Der Kopfgeldjäger hingegen ist ein Alien. Bei der Autopsie von Agt Weiss stellt sich heraus, dass dessen Tod durch ein Retrovirus unbekannten Ursprungs verursacht wurde, das bei Kälte inaktiv wird. Eine Information, die Mulder am Ende das Leben rettet.

Was die Charaktere angeht, beschäftigt sich die Episode weiter mit der Mulder-Familie. Bill Mulder wird in "Colony" im Halbschatten und eine Zigarette rauchend eingeführt; Ähnlichkeiten mit dem Raucher sind vermutlich nicht rein zufällig. War Bill Mulder schon in "Colony" unnahbar, so wird er hier regelrecht unausstehlich, als Mulder ihm den Verlust von Samantha gesteht (eine großartige Szene, von beiden exzellent gespielt). Als ob Mulder daran erinnert werden müsste, was der erneute Verlust von Samantha für seine Mutter bedeutet. Man muss sich wirklich nicht wundern, dass er in dieser Familie einen Schaden abbekommen hat. Wieder fragte ich mich, inwieweit Bill Mulder über die wahre Natur von Samantha im Bilde ist. Interessant ist nämlich, dass Bill Mulder die Worte "your sister", als es um Samantha geht, nicht über die Lippen bringt: "Your sis.... Samantha".
Es könnte auch darauf hindeuten, dass Bill Mulder seine eigene Schuld auf seinen Sohn projiziert. Wie sich später in der Serie zeigt, musste Bill eine ganz ähnliche Entscheidung treffen wie hier sein Sohn, als er zwischen Fox und Samantha wählen musste. Überhaupt bringen die Autoren Mulder ein ums andere Mal in Situationen, in denen er ähnliche Entscheidungen wie sein Vater oder der Raucher - der ja sein wirklicher Vater ist - treffen muss.

Eine zentrale Rolle spielen auch Skinner und X. Skinner, der es mit Mulder wirklich nicht leicht hat, entscheidet sich hier, Mulder zu helfen, obwohl er keinerlei Informationen von diesem bekommt und Mulder bisher nicht wirklich viel getan hat, um sich blindes Vertrauen seitens Skinner zu verdienen. Nicht nur lässt er ihn, obwohl eigentlich unter Disziplinarmaßnahme stehend, sofort zu seinen Eltern gehen und stellt ihm Scharfschützen zur Verfügung, er schlägt sich sogar mit X herum. (Der notorisch missgelaunte X, mein absoluter Liebling unter Mulders Informanten und einer meiner Lieblings-Nebencharaktere, hat hier wieder eine herrliche Szene: "How was the Opera?" - "Wonderful. I've never slept better." :lol: ) Angesichts dessen, dass Mulder ihm bisher nur Ärger machte und jegliche Wertschätzung seinem Chef gegenüber vermissen lässt, ist das schon bemerkenswert. Skinner wirkt etwas wie ein Vater eines aufmüpfigen Jugendlichen auf mich: Er versucht Mulder zu disziplinieren, aber wenn es hart auf hart kommt, kann sich Mulder auf ihn verlassen. Eine Art Ersatz-Vater für seinen eigentlichen, mit dem anscheinend nicht allzuviel anzufangen ist.

In "Colony" und "Endgame" beginnt sich Mulders Charakterbogen immer deutlicher herauszukristallisieren. War er zu Anfang nur ein verspotteter Außenseiter, der wegen eines spinnerten Glaubens eine vielversprechende Karriere weggeworfen hat, so nimmt seine Suche nun klare Züge einer klassischen Queste an. Mulder reist buchstäblich ans Ende der Welt und riskiert sein Leben, um die Wahrheit über den Verbleib seiner Schwester herauszufinden. David Duchovny, der Input zu diesen und anderen Folgen leistete, ist, wie ich herausfand, ein Fan von Joseph Campbells "Heldenreise". Mulders Charakterbogen weist viele offensichtliche Elemente dieser klassischen Geschichte auf: Der Aufbruch ins Unbekannte, die Konfrontation mit dem Vater und die Vergebung, die Begegnung mit dem weiblichen Gegenstück, das Erweckungserlebnis etc. Die Suche nach Samantha ist eine Art heiliger Gral für ihn. Typisch ist, dass er am Ende wieder ohne Beweise da steht und auch der Kopfgeldjäger noch am Leben ist, aber dennoch war seine Reise erfolgreich, denn sie hat ihm seinen Glauben wieder gegeben, wie auch schon in "Little Green Men".

Scully wiederum ist auf ihrer eigenen Reise und auch sie hat, wie die Voiceovers zeigen, den Glauben an die Wissenschaft trotz aller unerklärlichen Ereignisse nicht verloren. Die von ihr initiierten wissenschaftlichen Untersuchungen sind es, die Mulder am Ende retten.

"End Game" ist nicht zuletzt auch großartig inszeniert und besonders die Szenen in der Arktis haben mehr Ähnlichkeit mit einem Kinofilm als mit einer TV-Show. Wie Drehbuchautor Spotnitz zu Protokoll gab, entstand dies eher unfreiwillig: Er war Neuling im TV-Bereich und ihm war nicht klar, welchen Grenzen TV-Shows im Hinblick auf Kosten- und Zeitbudget unterliegen. Wie Carter es ausdrückte: "This is where a certain amount of inexperience actually comes in handy. I'd say that we didn't know what we couldn't do."
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Mo 15. Okt 2018, 21:19

Folge 18, Staffel 2: "Sophie / Fearful Symmetry"

(Kopie von SciFi Forum)


Zwei unsichtbare Elefanten. Eine Spur der Verwüstung in einer Stadt und der Tod eines Bauarbeiters durch einen unsichtbaren Elefanten führen Mulder und Scully zu einem Zoo, in dem ein Angestellter Tiere misshandelt und seine Vorgesetzte um die Vormundschaft für eine Gorilla-Dame kämpft. Eine Organisation von militanten Zoogegnern versucht beides zu verhindern. Als weitere Tiere aus dem Zoo verschwinden, vermutet Mulder eine Entführung durch Außerirdische.

Also diese Episode ist wirklich abstrus. Es fängt ja recht eindrucksvoll an, mit der verwüsteten Innenstadt und dem plötzlich auf der Landstraße aus dem Nichts auftauchenden Elefanten. Auch die Szenen im Zoo mit dem unsichtbaren Tiger waren nicht schlecht inszeniert, und die Szene mit der Elefanten-Autopsie war skurril. Und die Idee an sich ist ja durchaus interessant.

Aber insgesamt - und es fällt auf, dass so etwas meistens in Episoden von Freelance-Autoren passiert - ergibt die ganze Geschichte doch nicht viel Sinn. Die Aliens wollten die Tiere für eine Art Arche Noah entführen? Warum müssen das Tiere aus einem Zoo sein - es wäre doch viel einfacher, Tiere aus der Wildnis dafür zu nehmen. Warum tauchen die Tiere unsichtbar und irgendwo ganz anders wieder auf? "An astrological variation, a trouble with the time-space continuum"? Was für ein hanebüchener Unsinn - was hat Astrologie damit zu tun? Und wieso machen Probleme mit dem Raum-Zeit-Kontinuum die Tiere temporär unsichtbar und lassen sie zur Unzeit wieder sichtbar werden? Manchmal muss man sich wirklich wundern, wie es Duchovny schafft, diesen Blödsinn von sich zu geben, ohne in Gelächter auszubrechen. Das mit der Entführung zum Zweck einer Arche Noah lasse ich ja mit viel gutem Willen noch angehen - auch wenn das irgendwie nicht zu dem passt, was wir sonst von den Aliens gesehen haben - aber "Probleme mit dem Raum-Zeit-Kontinuum", da wird es mir doch zu viel.

Neben dieser reichlich abstrusen Story hat mich auch wieder die holzschnittartige Darstellung der Gastcharaktere sehr gestört. Sowohl der WAO-Mensch als auch der Tierpfleger waren sehr eindimensional charakterisiert, die ganze Botschaft eher holzhammerartig (erinnerte alles ein wenig an "Darkness Falls" aus der ersten Staffel, der Mitarbeiter der Holzfirma vs. der Öko-Aktivist). Die Frage, ob das Gefangenhalten von Sophie durch Willa zu rechtfertigen ist, wird nie wirklich diskutiert.

Irgendwie scheint es, als habe man krampfhaft versucht, mit der Entführungsgeschichte das Ganze zur Mythologie der Show in Verbindung zu bringen. So wirklich gelungen ist das nicht. Mir erschließt sich nicht, warum die Aliens diese Arche Noah erschaffen sollten, oder warum sie dazu Tiere aus einem Zoo benutzen. Oder sind das andere Aliens - und wenn ja, was für welche? Das ist nach den "Kindred" das zweite Mal, dass irgendwie Aliens auftauchen, deren Motive reichlich rätselhaft sind und man danach nie wieder etwas davon hört.
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Re: Akte X - Staffel 2

Beitragvon nevermore » Di 16. Okt 2018, 19:41

Folge 19, Staffel 2: "Totenstille / Død Kalm"

(Kopie von SciFi Forum)


Mulder und Scully finden vor Norwegen ein Schiff vor, auf dem die Besatzung innerhalb von Stunden um Jahrzehnte gealtert zu sein scheint. Während Mulder geheime Experimente um Zeitreisen vermutet, theoretisiert Scully über freie Radikale. Auch Mulder und Scully zeigen schon bald starke Alterungssymptome, und da ihr angeheuertes Schiff gestohlen wird, ist auch kein Entkommen. Sie müssen unter Zeitdruck die Ursache finden.

Von der Anlage her ähnelt Død Kalm wieder den Episoden "Ice" und "Darkness Falls", die Agenten sind mit einer unbekannten Bedrohung irgendwo eingesperrt und haben es mit feindseligen Mitreisenden zu tun. Entsprechend klaustrophobisch ist die Atmosphäre, und die Mulder-Scully-Partnerschaft und Freundschaft wird durch die Wasserknappheit und Mulders rascheres Altern auf die Probe gestellt. Ähnliche Episoden mit rascher Alterung gab es auch schon in anderen Science Fiction-Serien, besonders in den diversen Star Trek-Serien fallen mir einige ein. Also sonderlich originell ist die Grundidee nicht, und das Make-up finde ich fürchterlich. Die Erklärung mit dem Trinkwasser hakt an allen Ecken und Enden; wenn die beiden letztlich nicht gealtert, sondern nur dehydriert waren, hätte Scully das doch auch irgendwann klar werden müssen? Und inwiefern hat kontaminiertes Trinkwasser mit dem Alterungsprozess des Schiffes selber zu tun? Scully riss das mit ihrer Meteoriten-Theorie an, aber mir war das nicht ganz klar; abgesehen davon haben sie diese Theorie doch ad acta gelegt? Zur Geschichte des Captains mit dem Zeitverlut und dem hellen Licht passte das alles auch nicht.

Was die Episode rettet, ist letztlich die Interaktion der Charaktere und die Art, wie sie mit der eigenen, in bedrohlichem Tempo näher rückenden Sterblichkeit umgehen. Mulder scheint sich damit schwerer zu tun, teilweise, weil der Prozess bei ihm schneller voranschreitet, während Scully gelassen bleibt und sich auf ihre Nachforschungen konzentriert. Scullys Haltung mag etwas mit ihren Erlebnissen in dieser Staffel zu tun haben, vor allem mit ihrer Entführung und Nahtodeserfahrung. “When they found me… I experienced something that I never told you about. Even now it’s hard to find the words. But there’s one thing I’m certain of. As certain as I am of this life, we have nothing to fear when it’s over.” Letztlich ist es Scullys Ruhe und Konzentration, sowie die gegenseitige Solidarität, die den beiden letztlich das Leben rettet. Kontrastiert wird das mit Trondheim, der sich mit seiner Selbstsüchtigkeit letztlich ins eigene Grab einsperrte. Dennoch schaffen es Drehbuch und Schauspieler, dass Trondheim nie zur Karikatur wird; man kann Trondheims Handeln, so ärgerlich es ist, immer irgendwie verstehen.

Sehr eindrucksvoll sind auch wieder die Bilder in der Episode, und Mark Snows gespenstischer Score. Die Art und Weise, wie Regisseur Bowman mit Licht und Schatten arbeitet, die Bilder vom Rettungsboot mit den toten Schiffbrüchigen und vom Geisterschiff im Nebel, die farbliche Visualisierung der Korrosion und des Verfalls könnten aus einem Kinofilm stammen. Sehr gut gefallen hat mir auch die Erzählung der Ragnarok-Legende, des nordischen Mythos vom Ende der Welt, der so gar nichts mit Armageddon und anderen Weltuntergangszenarien gemein hat. Ebenso Anekdoten wie die Geschichte des sterbenden Captains ... Diese Szenen mögen zu manchen Kommentaren über das "Dahindümpeln" der Episode geführt haben, mir hingegen hat grade diese Inszenierung sehr gut gefallen. Trotz der wieder mal holprigen Logik reicht es insgesamt für vier Geisterschiffe für diese ungewöhnliche Episode.
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