Drehbuch: Larry Barber & Paul Barber
Regie: Rob Bowman
Nachdem ein junger Mann in einem Hotelzimmer ermordet wurde, berichten Zeugen, der Mann hätte zusammen mit einer Frau das Zimmer betreten, aber ein anderer Mann hätte es wieder verlassen. Von der Frau fehlt jede Spur. Spuren eines charakteristischen Gesteins am Tatort führen Mulder und Scully zu einer abgeschottet lebenden Gemeinde, den Amish ähnelnd, wo sie abweisend empfangen werden und wo Merkwürdiges vor sich zu gehen scheint.
"Gender Bender" ist ein heilloses Durcheinander einer Episode, die alle möglichen Themen aufwirft und wie Puzzleteile über die ganze Folge verstreut, die aber am Ende nicht zusammenpassen und nirgendwohin führen. Mit den tödlich endenden Sex-Abenteuern von Club-Besuchern klingt die AIDS-Krise der 1990er Jahre an (Sex ist gefährlich und kann tödlich enden, wenn man den Partner nicht kennt - von Scully wird es sogar direkt angesprochen: "Hard to imagine in this day and age someone having sex with a perfect stranger.") Weiter wird die Debatte um Gender-Rollen und undefinierte Sexualität angerissen mit einem Täter, der sein Geschlecht wandeln kann. Die Annäherung an dieses Thema ist m.E. in "Gender Bender" völlig misslungen; abgesehen davon, dass die Geschlechtsumwandlung als perfekte Tarnung dient und Martys letztes Opfer mehr zu verstören scheint als der Mordanschlag auf ihn, findet eine Auseinandersetzung mit der Thematik überhaupt nicht statt. Marty selbst reagiert auf den Todeskampf seines Opfers völlig gleichgültig. Die undefinierte Sexualität bzw. die Möglichkeit der Umwandlung wird ausschließlich als Bedrohung für die Partner von Marty interpretiert.
Die Gemeinde, aus der Marty stammt, die Kindred, erinnert einerseits an die Amish, andererseits auch an M. Night Shyamalans "The Village" (auch das Ende mit den Kornkreisen scheint von einem Shyamaln-Film, "Signs", inspiriert). Die Kindred leben abgeschottet und asketisch, wollen mit der modernen Welt nichts zu tun haben und sind streng religiös. Mit Lustmorden scheinen sie nichts zu tun zu haben. Mulder und Scully werden sehr abweisend empfangen; wenn die Kindred auch nicht offen aggressiv sind, machen sie überdeutlich, dass die Agenten nicht willkommen sind. Zuvor wurde in einer Szene in der Nachbargemeinde bereits deutlich, dass den Kindred der Kontakt zu Menschen außerhalb ihrer Gemeinde verboten ist. Mulder fällt auf, dass in der Gemeinde keine Kinder leben und er glaubt, einige der Mitglieder als dieselben Leute wiederzuerkennen, die er zuvor auf einem Foto aus den 1930er Jahren gesehen hat. Als ein Mitglied der Gemeinde einen Erstickungsanfall zu erleiden scheint, verhindern sie Scullys Eingreifen und der Mann wird weggebracht. Während Mulder ihn in unterirdischen Katakomben wiederfindet und Zeuge seiner Transformation in eine Frau wird, erleidet Scully beinahe dasselbe Schicksal wie Martys Opfer: Sie fällt unter den Einfluss von Brother Andrews Pheromonen und kann nur knapp davor bewahrt werden, vergewaltigt zu werden.
Wirklich schlau wird man aus der ganzen Geschichte nicht; weder den Vorgängen in den Katakomben noch der Sache mit den Pheromonen wird weiter nachgegangen. Die Kindred sind "anders", wie Brother Andrew es formuliert; Sex scheint für sie eine Art Droge zu sein, vor der sie abgeschottet werden müssen. Anscheinend reicht schon ein Hochglanz-Magazin, um den guten Bruder Martin vom Pfad der Tugend abzubringen und auch Bruder Andrew wird allein durch Scullys Anwesenheit, obwohl von der keinerlei Annäherungsversuche ausgehen, schon korrumpiert. Der Kindred, der den Erstickungsanfall erleidet, zeigt ähnliche Symptome wie die Opfer von Marty - und so wie Marty sich nach dem Sex in eine Frau verwandelt, wird auch der Kindred-Mann nach dem Erstickungsanfall in eine Frau transformiert. Ob und was die beiden Vorfälle miteinander zu tun haben, bleibt völlig im Dunkeln. Es könnte sein, dass dieser Erstickungsanfall eine Vorstufe zur Transformation darstellt, die Marty auf seinen/ihren Sexpartner übertragen hat und ihr so entgangen ist. Wenn der Transformation immer solche Anfälle vorangehen wie bei diesem Kindred-Mann im Dorf, dann dürfte Marty seine Transformationen ohne die Vorgänge in der Höhle ja gar nicht überleben. Ist der Sex vielleicht ein Ersatz dafür? Sind diese Transformationen das, was die Kindred unsterblich macht - und werden sie quasi mit dem anderen Geschlecht wiedergeboren? Dann hätte der Sex für Marty noch eine ganz andere Bedeutung; er wäre der Weg zur Unsterblichkeit, die allerdings auf Kosten des Lebens seines Sexualpartners geht. Ist deswegen für die Kindred der Kontakt mit Anderen ein Sakrileg?
Am Ende stellt sich heraus, dass die Kindred vermutlich Außerirdische sind. Spätestens dann wird die Episode wirklich abstrus, und ich verstehe überhaupt nicht, was "Gender Bender" damit sagen will. Was wollen diese Aliens hier? Weshalb reisen Aliens Lichtjahre durchs Weltall, um sich dann jeglicher Technologie zu entledigen und ein zurückgezogenes religiöses Leben zu führen? Und suchen sich dazu ausgerechnet einen Wald in Massachusetts aus - mitten in den USA? Gäbe es keine geeigneteren Orte dafür? Ohne irgendeinen Hinweis auf die Hintergründe dieser außerirdischen Spezies ist das für mich völlig an den Haaren herbeigezogen. Ein Benutzer im SciFi-Forum meinte, die Aliens seien vielleicht Flüchtlinge, die auf der Erde unerkannt Unterschlupf gesucht hätten. Das würde zumindest einigermaßen Sinn ergeben.
"Gender Bender" ist eine sehr merkwürdige Episode, die wie ein Experimentierfeld mit verschiedenen Ideen wirkt, am Ende aber zumindest für mich überhaupt keinen Sinn ergibt. Es tauchen etliche Elemente auf, die später in Akte X noch relevant werden.
Irgendwie schafft es Regisseur Rob Bowman in seinem ersten Einsatz für Akte X trotzdem, aus dem ganzen Wirrwarr eine durchaus ansehnliche Episode zu machen (die sehr gut gelungene Filmmusik tut ihren Teil dazu). Die Atmosphäre der Episode ist wunderbar inszeniert, von der ersten Begegnung Scullys mit dem Kindred Andrew, über die Konfrontation im Wald und die Szenen am Tisch entsteht der Eindruck einer latenten, nicht fassbaren Bedrohung. Auch Mulders Erkundung der unterirdischen Gänge und der Showdown in der dunklen Gasse sind fantastisch in Szene gesetzt. Selbst die Schlussaufnahme im Kornfeld erzielt einen Effekt, der einen beinahe über das absurde Drehbuch hinwegsehen lässt. Insofern fällt mir eine Wertung wirklich schwer. Ich gebe knapp drei Kornkreise dafür.