Do 27. Dez 2018, 16:55
Folge 9, Staffel 1: "Besessen / Space"Drehbuch: Chris Carter
Regie: William GrahamMulder und Scully werden von einer NASA-Mitarbeiterin kontaktiert, die vermutet, dass jemand das Space Shuttle-Programm sabotiert. Der Besuch bei der NASA ist für Mulder die Erfüllung eines Kindheitstraums. Zu Beginn der nächsten Mission scheint zunächst alles nach Plan zu verlaufen, dann jedoch kommt es zu schweren technischen Störungen, und das Leben der Astronauten steht auf dem Spiel.
Die Episode ist durch reale Vorgänge inspiriert: Einerseits durch Berichte über das so genannte "Marsgesicht" (welches sich später als eine Felsenformation auf dem Mars erwies). Zum anderen durch sich häufende und unaufgeklärte Probleme bei der NASA, die in der Challenger-Katastrophe 1986 gipfelten, wodurch die NASA zunehmend in die Schlagzeilen und in die Kritik gekommen war. Von Mulder werden in der Episode mehrere Opponenten der NASA aufgezählt: Von Terroristen über Kritiker des Programms aus Kostengründen und Gegnern großwissenschaftlicher Projekte im Allgemeinen bis zu Regierungsverschwörern, die verhindern wollten, dass die NASA womöglich Beweise für die Existenz außerirdischen Lebens zutage fördert.
Prinzipiell ist die Prämisse interessant - die Untersuchung von merkwürdigen Vorgängen in der NASA, in Verbindung mit Mulders Kindheitsschwärmerei für die Einrichtung, liefert eine Menge Stoff, die auch mit der Mythologie von Akte X in Verbindung gebracht werden könnten, wie Mulders Ausführungen über die Gegner der NASA zeigen. Tatsächlich hat es in der Episode den Anschein, als wolle irgendjemand oder irgendetwas den Vorstoß der Menschheit verhindern, indem das Shuttleprogramm sabotiert wird.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein früherer Astronaut, der Projektleiter Colonel Belt. Belt, der im Teaser gegenüber Reportern das Marsgesicht als das Resultat von Sonne und Wind und als "tricks of light and shadows" abtut, und die Idee, es handle sich um das Werk einer außerirdischen Zivilisation auf dem Mars, ins Reich der Fabeln verweist, wird tatsächlich von Erinnerungen und Alpträumen von eben diesem Gesicht verfolgt. Als Mulder und Scully ihn mit dem Sabotageverdacht konfrontieren, spielt er die Störungen herunter und weist nicht nur jeglichen Verdacht gegen Mitarbeiter der NASA weit von sich, sondern scheint dies geradezu als Beleidigung aufzufassen. Das verletzte Ehrgefühl scheint aber im Wesentlichen ein vorgeschobener Grund zu sein, weitere Untersuchungen abzulehnen. Hauptsächlich geht es um die Kosten, die ein Aufschub des nächsten Starts und eine gründliche Untersuchung des beschädigten Sicherheitsventils verursachen würden: Aufgrund der sich häufenden technischen Probleme und der hohen Kosten des Space Shuttle Programms sind die Kritiker der NASA im Kongress im Aufwind und es wird sogar die Schließung der gesamten Einrichtung befürchtet. Zwar geht der Start reibungslos vonstatten, kurz darauf jedoch verliert Zentrale die Verbindung mit dem Shuttle, die Kommunikationsoffizierin erleidet einen merkwürdigen Autounfall und an Bord des Shuttles fallen Systeme aus. Als sich herausstellt, dass die Kommunikation von Houston aus absichtlich gestört wird, ist klar, dass tatsächlich Sabotage im Spiel ist. Es stellt sich heraus, dass Colonel Belt seit seinem Aufenthalt im All vor vielen Jahren von einer außerirdischen Wesenheit besetzt war, die ihn zur Sabotage von NASA-Programmen trieb, um die Menschheit an der Erkundung des Alls zu hindern.
"Space" wird häufig als eine der schlechtesten Akte X-Folgen überhaupt bezeichnet, und auch das Produktionsteam inklusive dem Autor Chris Carter bezeichnen sie als "one of our most unloved episodes". Vielen geäußerten Kritikpunkten kann ich mich anschließen, einigen aber auch nicht. So finde ich nicht, dass die Episode und vor allem die Geschehnisse um das Shuttle und die Rettungsmission langweilig waren. Grade bei den X-Akten kann man nicht davon ausgehen, dass so etwas tatsächlich gut ausgeht. Ich fand die Sabotagevorfälle glaubhaft, ebenso den Konflikt Belts zwischen der Rettung der Astronauten und dem Risiko, dass die NASA in weitere Schwierigkeiten kommt, und mir hat auch gut gefallen, dass die Folge der NASA nicht nur mit blinder Heldenverehrung gegenüber steht. Auch die Gastdarsteller Ed Lauter als Colonel Belt und Susanna Thompson als Michelle Generoo fand ich überzeugend.
Trotzdem sind andere Kritikpunkte an der Episode auch berechtigt. Ein Teil davon liegt an der Inszenierung und den technischen Möglichkeiten. Die Special Effects, insbesondere um das Marsgesicht, sind selbst für damalige Verhältnisse schwach (offenbar ließen weder das Budget noch die verbliebene Zeit eine weitere Bearbeitung zu) und die Regie versäumt es, diese Probleme zu überdecken. Generell ist das Ganze etwas lustlos inzeniert, was zum Teil daran liegen mag, dass den Showrunnern von der NASA die Möglichkeit verwehrt wurde, die Geschehnisse innerhalb des Shuttles zu zeigen.
Abgesehen von diesen eher technischen Problemen hat aber auch das Drehbuch schon ziemliche Schwächen. Das fängt an bei Carter-typischen Dialogschwächen; hier ist es vor allem Mulder, der in einem Overload an Exposition für die Zuschauer den Erklär-Bären geben muss (insbesondere in den Anfangsszenen, als Scully nach Gründen fragt, die NASA abzulehnen, aber auch später im Kontrollraum). Auch logisch hat das Drehbuch Probleme. So ist mir schleierhaft, weswegen man am Ende glaubt, dass der Raumgeist mit Colonel Belts Tod verschwunden ist, da er doch offensichtlich unabhängig von Belts Körper agieren kann - als Generoo den Autounfall hatte, war Belt nirgendwo in der Nähe. Und war Belt auch verantwortlich für die anderen Sabotage-Fälle in der NASA? Die Episode scheint das zu implizieren - was bedeuten würde, dass die Challenger-Katastrophe auf das Konto von Raumgeistern ging. Akte X betreibt des Öfteren eine Art alternativer Geschichtsschreibung, aber offen ausgesprochen wird diese Vermutung in diesem Fall nicht. In "
NASA/Trek" argumentiert Constanze Penley, es handle sich bei "Space" um einen bissigen Kommentar zu den unbefriedigenden Erklärungen der NASA angesichts diverser Pannen und Katastrophen:
In my favourite episode, agents Scully and Mulder discover why the Challenger blew up, the Mars Observer disappeared, Galileo’s antenna got stuck, and the Hubble’s lenses were misground: they were all sabotaged by a former astronaut, now a high-up bureaucrat at NASA, whose body was taken over by an alien on one of the late sixties space flights. Why are aliens sabotaging every NASA attempt to go into space? "They" don’t want us out there, of course – it’s theirs! The X-Files taunt to NASA seems to be, "If you keep on covering up or downplaying your mistakes, we’ll create our own ingenious reasons for this sorry record." Or, "Our fictional alibi (the aliens did it) to account for all the NASA screw-ups is no more outrageous than the excuses you’ve contrived."
Es kann natürlich sein, dass das die Motivation der Episode war, aber wirklich überzeugt bin ich davon nicht.
Schließlich scheint die Episode auch überhaupt nicht in den Mytharc zu passen. Aliens dieser Art waren weder davor noch danach in der Serie zu sehen; die Chance, einen Zusammenhang mit den Ereignissen oder Themen oder Motiven der Aliens im übergeordneten Handlungsbogen herzustellen, wurde hier nicht ergriffen. So bleibt "Space" eine reine Stand-Alone-Episode. Als solche finde ich sie zwar einigermaßen unterhaltsam, aber mehr auch nicht. Ich gebe drei Raumgeister dafür.